Bundesverfassungsgericht rügt Einstellung der Ermittlungen
Rechtswidrige Fixierungen in Krankenhäusern und Heimen sind keine Kavaliersdelikte. Dauert eine solche Fesselung an fünf oder sieben Punkten länger als eine halbe Stunde an, darf die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen nicht wegen Geringfügigkeit einstellen, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Mittwoch, 22. Januar 2020, veröffentlichten Beschluss entschied (Az.: 2 BvR 1763/16). Als Konsequenz müssen sich Ärzte und Pflegekräfte künftig wohl häufiger für rechtswidrige Fixierungen strafrechtlich verantworten.
Ein Recht auf Strafverfolgung Dritter bestehe zwar „nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen”; ein solcher liege bei einer Fixierung im Krankenhaus aber vor. Die Patienten befänden sich dort „in einem besonderen Gewaltverhältnis”, so dass dem Staat „eine spezifische Fürsorge- und Obhutspflicht obliegt”.
Ausdrücklich betonten die Karlsruher Richter, dass das Freiheitsrecht auch bei fehlender Einsichtsfähigkeit nicht entfällt. „Die Freiheit ist auch dem psychisch Kranken und nicht voll Geschäftsfähigen garantiert.”
Die Beschwerdeführerin war vom Pferd gestürzt und wegen Gedächtnislücken und Schmerzen ins Universitätsklinikum Kiel gebracht worden. Neben diversen Prellungen wurde dort ein Schädel-Hirn-Trauma diagnostiziert. Bei einer Untersuchung mittels Computertomographie waren Einblutungen im Hirn festgestellt worden. Bei einer weiteren Untersuchung am frühen Morgen hatten sich diese nach Angaben der Beschwerdeführerin aber schon wieder zurückgebildet.
Dennoch verwehrten der Stationsarzt und das Pflegepersonal ihr am nächsten Morgen die Entlassung. Auf eigene Faust verließ sie mit ihrem Lebensgefährten die Klinik. Vom Pflegepersonal herbeigerufene Polizisten konnten sie aber überreden, zur Klärung der Angelegenheit auf die Station zurückzukehren. Am Bett waren unterdessen bereits Fixiergurte angebracht worden. Obwohl die Patientin dies energisch ablehnte, wurde sie unter Anwendung körperlicher Gewalt an Armen, Beinen und Hüfte am Bett fixiert (sogenannte Fünf-Punkte-Fixierung). Mit Verweis auf ein diagnostiziertes Schertrauma ordnete ein Amtsarzt die Unterbringung bis Ende des nachfolgenden Tages an.
Das Landgericht Kiel stellte später fest, dass die Fixierung rechtswidrig war. Dennoch stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungsverfahren gegen sämtliche Beteiligten ein.
Wie nun das Bundesverfassungsgericht entschied, wird dies dem hier bestehenden Anspruch der Beschwerdeführerin auf effektive Strafverfolgung nicht gerecht. Vielmehr hätte die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt weiter aufklären und dann inhaltlich entscheiden müssen, ob eine Anklage gerechtfertigt ist. Dabei hätten sich die Ermittler auch mit den Folgen der Zwangsfixierung beschäftigen müssen, betonten die Karlsruher Richter in ihrem jetzt schriftlich veröffentlichten Beschluss vom 15. Januar 2020. Nach eigenen Angaben hatte die Patientin eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten. mwo/fle
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