Nach Rentenurteil: Ansonsten legaler Steuertrick kostet Witwenrente

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Wie stark Steuerrecht und Sozialrecht auseinanderlaufen kรถnnen, zeigt ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichts (BSG). Eine Schaustellerin muss mehr als 12.600 Euro ihrer Witwenrente erstatten, weil steuerliche Verlustvortrรคge bei der sozialrechtlichen Einkommensanrechnung unberรผcksichtigt bleiben.

Fรผr Betroffene ist das weitreichend: Was in der Einkommensteuer sinnvoll ist, kann bei der Rente zum Bumerang werden. Das BSG hat diese Trennlinie am 22. Februar 2024 klar gezogen (Az. B 5 R 3/23 R).

Der Fall: Gewinne, die โ€žsteuerlich verschwindenโ€œ, sozialrechtlich aber zรคhlen

Die Klรคgerin, Jahrgang 1952, bezieht seit 1992 eine Hinterbliebenenrente. Zwischen 2007 und 2016 erwirtschaftete sie aus ihrem Gewerbe Gewinne, die das Finanzamt mit Verlustvortrรคgen aus Vorjahren vollstรคndig verrechnete. Sozialrechtlich รคnderte das nichts: Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) rechnete die Gewinne als Einkommen an, ohne die steuerlichen Verlustvortrรคge gegenzurechnen, und verlangte รผber 12.600 Euro zurรผck.

Der Rechtsweg fรผhrte รผber das Sozialgericht Potsdam und das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg bis zum BSG โ€“ erfolglos fรผr die Witwe. Das hรถchste Sozialgericht bestรคtigte, dass die Rรผckforderung rechtmรครŸig ist, weil nur das tatsรคchlich verfรผgbare Einkommen zรคhlt, nicht dessen steuerliche Gestaltung.

BSG: MaรŸgeblich ist die reale wirtschaftliche Lage

Die Kasseler Richter machten deutlich: Ein von der Finanzverwaltung anerkannter Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des anzurechnenden Arbeitseinkommens fรผr die Witwenrente auรŸen vor. Hinterbliebenenversorgung soll den aktuellen Lebensunterhalt sichern; Verlustvortrรคge bilden aber Vergangenes ab und verzerren die Gegenwart.

Deshalb dรผrfen sie die sozialrechtliche Einkommensanrechnung nicht mindern. Damit betont das BSG die Schutzfunktion des Sozialrechts und schlieรŸt ein โ€žSteuerschlupflochโ€œ fรผr die Rentenberechnung aus.

Der Rechtsrahmen: Wie die Einkommensanrechnung funktioniert

Rechtsgrundlage der Anrechnung ist ยง 97 SGB VI in Verbindung mit ยง 18a SGB IV. Danach wird Einkommen โ€“ dazu zรคhlen insbesondere Erwerbseinkommen, Erwerbsersatzleistungen und Vermรถgenseinkรผnfte โ€“ auf Witwen-, Witwer- und Erziehungsrenten angerechnet. Entscheidend ist das fรผr denselben Zeitraum tatsรคchlich erzielte monatliche Einkommen. Steuerliche GrรถรŸen wie Verlustvortrรคge gehรถren nicht zum sozialrechtlichen Einkommensbegriff.

Wichtig ist der Freibetrag: Anrechenbar ist nur der Teil des bereinigten Einkommens, der den Freibetrag รผbersteigt. Der Freibetrag entspricht dem 26,4-fachen des aktuellen Rentenwerts und erhรถht sich je waisenrentenberechtigtem Kind um das 5,6-fache des Rentenwerts. Vom รผbersteigenden Betrag werden 40 Prozent auf die Rente angerechnet. Das schรผtzt Erwerbstรคtigkeit und verhindert, dass schon geringe Zuverdienste die Rente vollstรคndig aufzehren.

Zur Einordnung: Von Juli 2025 bis Juni 2026 liegt der allgemeine Freibetrag โ€“ wegen des Rentenwerts von 40,79 Euro โ€“ bei 1.076,86 Euro im Monat; je waisenrentenberechtigtem Kind kommen 228,42 Euro hinzu. Erst das, was darรผber liegt, reduziert die Witwen- oder Witwerrente zu 40 Prozent.

Steuerlich richtig, rentenrechtlich riskant: Warum der Verlustvortrag hier nicht hilft

Steuerrechtlich glรคttet der Verlustvortrag die Steuerlast รผber mehrere Jahre: Frรผhere Verluste werden mit spรคteren Gewinnen verrechnet, sodass Einkommensteuer sinkt oder entfรคllt. Das BSG stellt jedoch klar, dass die Rentenversicherung die gegenwรคrtige wirtschaftliche Leistungsfรคhigkeit betrachtet. Gewinne, die im Betrachtungszeitraum tatsรคchlich geflossen sind, gelten als Einkommen โ€“ auch wenn sie im Steuerbescheid โ€žuntergehenโ€œ.

Eine รœbernahme der steuerlichen Verlustlogik ins Sozialrecht wรผrde die Zielsetzung der Hinterbliebenenrente verfehlen und zu ungerechtfertigten Zahlungen fรผhren, so das Gericht.

Folgen fรผr Selbststรคndige

Besonders betroffen sind Selbststรคndige mit schwankenden Ergebnissen. Wer Gewinne erzielt, muss damit rechnen, dass diese trotz frรผherer Verluste sozialrechtlich voll als Einkommen zรคhlen. Das kann Nachforderungen oder Rรผckforderungen nach sich ziehen, wenn die DRV erst im Nachhinein von den Gewinnen erfรคhrt.

Fรผr die Praxis heiรŸt das: Einkรผnfte zeitnah und vollstรคndig mitteilen, Liquiditรคtsreserven fรผr mรถgliche Erstattungen einplanen und bei der steuerlichen Verlustnutzung immer die sozialrechtliche Perspektive mitdenken. Das gilt auch fรผr Konstellationen mit mehreren Einkunftsarten, denn ยง 18a SGB IV sieht eine Zusammenrechnung vor.

Einordnung im System: Zweck der Hinterbliebenenversorgung

Hinterbliebenenrenten ersetzen den Unterhalt, der durch den Tod des Versicherten wegfรคllt. Das Anrechnungsmodell mit Freibetrag und 40-Prozent-Quote soll zwei Ziele ausbalancieren: die Sicherung des Lebensunterhalts und die Anerkennung eigener Erwerbstรคtigkeit.

Dies erklรคrt, warum sich die Berechnung am aktuellen Rentenwert orientiert und jรคhrlich mit der Rentenanpassung fortgeschrieben wird โ€“ und warum rein steuerliche KorrekturgrรถรŸen wie Verlustvortrรคge auรŸen vor bleiben.

Rentenerhรถhung 2026 und was sie fรผr die Anrechnung bedeutet

Zum 1. Juli 2025 sind die Renten um 3,74 Prozent gestiegen; der aktuelle Rentenwert betrรคgt seitdem 40,79 Euro. Offizielle Zahlen fรผr die Anpassung 2026 liegen im Oktober 2025 noch nicht vor; sie werden erfahrungsgemรครŸ erst im Frรผhjahr verรถffentlicht.

In Medien und Modellrechnungen kursieren derzeit Prognosen im Korridor um rund 3,3 Prozent. MaรŸgeblich sind Lohnentwicklung und gesetzliche Formel; Abweichungen sind รผblich. Fรผr Hinterbliebene ist dabei vor allem relevant: Steigt der Rentenwert, steigt automatisch auch der Freibetrag, der die Einkommensanrechnung abfedert.

Parallel arbeitet die Politik an strukturellen Fragen. Das sogenannte โ€žRentenpaket 2025โ€œ der Bundesregierung sieht unter anderem eine Verstetigung des Rentenniveaus bei 48 Prozent vor; Details und Finanzierung sind politisch umstritten. Diese Debatte berรผhrt das hier behandelte BSG-Thema nicht unmittelbar, zeigt aber, dass Rentenrecht und Lohnentwicklung โ€“ und damit auch die Freibetrรคge โ€“ in Bewegung bleiben.

Fazit: Saubere Trennung โ€“ und klare Konsequenzen

Das BSG hat die Trennlinie zwischen Steuerrecht und Sozialrecht unmissverstรคndlich markiert: Fรผr die Witwenrente zรคhlt, was im Betrachtungszeitraum tatsรคchlich als Einkommen zur Verfรผgung steht. Steuerliche Verlustvortrรคge mindern diesen Wert nicht. Fรผr Hinterbliebene โ€“ besonders fรผr Selbststรคndige โ€“ ist das ein deutlicher Hinweis, steuerliche Optimierung und sozialrechtliche Anrechnung nicht zu verwechseln.

Wer Gewinne erzielt, sollte frรผhzeitig prรผfen, wie sich diese auf die Rente auswirken, ob Freibetrรคge ausgeschรถpft sind und ob Rรผcklagen fรผr mรถgliche Rรผckforderungen nรถtig werden. So lรคsst sich verhindern, dass ein legitimes Steuersparmodell in der Rentenversicherung zur teuren รœberraschung gerรคt.

Hinweis: MaรŸgeblich sind die gesetzlichen Regelungen (ยง 97 SGB VI i. V. m. ยง 18a SGB IV) und die aktuelle Rechtsprechung des BSG.