Mindestlohn statt Ausbeutung für 24-Stunden-Betreuung

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Für eine „24-Stunden-Pflege zu Hause“ muss auch für 24 Stunden der gesetzliche Mindestlohn bezahlt werden. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg in einem am Montag, 5. September 2022, verkündeten Urteil klargestellt (Az.: 21 Sa 1900/19).

Es sprach damit einer osteuropäischen früheren Betreuungskraft für sieben Arbeitsmonate einen Lohn in Höhe von 38.709 Euro zu. Die Berliner Richter hatten eine umfangreiche Beweisaufnahme über reguläre Arbeits- sowie Bereitschaftszeiten durchgeführt.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hatte zuvor am 24. Juni 2021 bereits der Klägerin dem Grunde nach recht gegeben, das bundesweit beachtete Verfahren aber wegen unzureichender Ermittlung der geleisteten Arbeitsstunden an das LAG zurückverwiesen (Az.: 5 AZR 505/20).

Pflegekraft arbeitete 24 Stunden

Vor Gericht war eine bulgarische Betreuungskraft eines bulgarischen Unternehmens gezogen, die 2015 in Deutschland über sieben Monate lang nach ihren Angaben Rund-um-die-Uhr eine über 90-jährige Frau betreut hat.

Ihr Arbeitsvertrag als „Sozialassistentin“ lief dagegen nur über 30 Wochenstunden. Die Beschäftigte wurde über eine deutsche Agentur zu der betreuungsbedürftigen alten Dame vermittelt.

Die Agentur versprach allerdings eine „24-Stunden-Pflege zu Hause“. Die bulgarische Arbeitnehmerin sollte die Körperpflege sicherstellen, Hilfe beim Essen leisten, den Haushalt führen und Gesellschaft leisten. Die Betreuungskraft sollte hierfür in der Wohnung der alten Frau wohnen und übernachten.

Doch den in Deutschland zwingend geltenden gesetzlichen Mindestlohn erhielt die Betreuungskraft nicht. Sie verlangte daher für die sieben Monate einen Lohnnachschlag. Sie habe von morgens 6.00 Uhr bis etwa 22.00/23.00 Uhr jeden Tag durchgearbeitet. Nachts habe sie Bereitschaftsdienste geleistet. Sie habe bei offener Tür geschlafen, um immer ansprechbar sein zu können.

LAG Berlin: Ausländischer Pflegekraft steht 38.377 Euro Lohn zu

Mit Urteil vom 17. August 2020 hatte das LAG der Frau im Wesentlichen recht gegeben. Die Berliner Richter schätzten, dass der Arbeitnehmerin für 21 Stunden am Tag eine Vergütung nach dem Mindestlohn zustehe, insgesamt 38.377 Euro. Der bulgarische Arbeitgeber hatte ihr bislang nur 6.680 Euro gezahlt.

Das BAG hob diese Entscheidung jedoch auf, da die Schätzung „völlig in der Luft“ hänge. Die obersten Arbeitsrichter verwiesen das Verfahren an das LAG zurück, damit die genaue Arbeitszeit ermittelt werden kann.

Mindestlohn steht auch ausländischen Arbeitskräften zu

Allerdings betonte das BAG, dass die Pflicht zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns auch ausländische Arbeitgeber bindet. Die Vorschrift habe „international zwingende Wirkung“. Dies diene nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmer, sondern auch dem Gemeinwohl. EU-Recht lasse einen bindenden Mindestlohn zu – und zwar je Zeitstunde auch für Bereitschaftsdienste.

Im zweiten Durchlauf hörte nun das LAG die Klägerin sowie die Kinder der alten Dame als Zeugen an, bewerteten noch einmal die genauen Tätigkeiten und die Arbeitszeit, die dafür notwendig war.

Danach habe die Betreuung der älteren, pflegebedürftigen Dame 24 Stunden am Tag sichergestellt werden müssen. Die klagende Arbeitnehmerin habe neben ihren vergüteten Arbeitszeiten „in erheblichen Umfang vergütungspflichtige Bereitschaftszeiten zur Sicherstellung der Betreuung erbringen müssen“. Dies gelte für Zeiten, in denen keine andere Person die Betreuung der alten Frau durchführen konnte.

Zeiten, in denen die Kinder der alten Frau sich um diese kümmern konnten, sah das LAG nicht als vergütungspflichtig an. Insgesamt stehe der Kläger nach Rechnung des LAG ein Lohn von 38.709 Euro zu. Davon habe der Arbeitgeber bislang nur 6.680 Euro geleistet. fle/mwo

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