Bürgergeld: Jobcenter verrechnet sich – Dieses Urteil rettet Freibetrag

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Wer mehrere Monatslöhne auf einmal erhält oder ehrenamtlich Entschädigungen bezieht, kann schnell unter Druck geraten, wenn das Jobcenter alles in einem Monat verrechnet.

Ein Urteil des Landessozialgerichts (L5 AS 79/23, 12.12.2024) bestätigt nun verbraucherfreundliche Freibetragsregeln und grenzt gleichzeitig deren Reichweite klar ab.

Warum dieses Urteil für Bürgergeld‑Beziehende zählt

Späte Lohnzahlungen, Minijobs plus Ehrenamt, dauerhafte Kostensenkungsaufforderungen beim Wohnen – all das trifft viele Erwerbslose gleichermaßen. Das Urteil vereint diese Alltagsthemen in einem Verfahren und macht deutlich:

Das Monatsprinzip bleibt die Leitplanke bei der Einkommensanrechnung.
Ehrenamts‑ und Erwerbseinkommen lassen sich nicht unendlich kombinieren, ohne dass Freibeträge deckeln.
Jobcenter müssen ihre Kostensenkungsaufforderungen sauber begründen und den Dialog mit den Betroffenen ermöglichen.

Der Fall in Kürze

Eine 1957 geborene Stadträtin beantragte Grund­sicherungs­leistungen. Sie wohnte teuer, bezog quartalsweise Sitzungsgelder und jobbte als Stadtführerin. Mehrere Monate lang floss ihr Lohn verspätet oder gebündelt zu. Das Jobcenter berücksichtigte die Zahlungen jeweils im Zuflussmonat und kürzte massiv.

Es verlangte zudem Rückerstattung für vermeintliche Überzahlungen und setzte eine harte Kostensenkungsfrist. Nach Widersprüchen und Teilerfolgen landete der Streit vor dem LSG Sachsen‑Anhalt.

Drei Leitlinien des LSG

  • Geteilter Freibetrag bei gebündeltem Lohn
    Erarbeitet ein Mensch in mehreren Monaten Einkommen, das erst später gesammelt eingeht, steht für jeden verdienten Monat ein eigener 100‑Euro‑Grundfreibetrag zu (Anschluss an BSG 17.07.2014, B 14 AS 25/13 R).
  • Quartalsweise Ehrenamts­vergütung
    Sitzungsgelder zählen vollständig im Monat ihres tatsächlichen Zuflusses. Absetzbar sind lediglich die regulären Freibeträge dieses einen Monats (§ 11b Abs. 2 Satz 3 alte Fassung).
  • Kombi aus Ehrenamt und Minijob
    Treffen Sitzungsgeld und 520‑Euro‑Job aufeinander, greift der erhöhte Grundfreibetrag von 200 Euro, nicht zweimal 100 Euro (Anschluss an BSG 28.10.2014, B 14 AS 61/13 R).

Konkreter Nutzen für Leistungsbeziehende

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Arbeitgeber zahlen Weihnachtsgeld oder Restmonatslöhne oft gebündelt. Das Urteil stellt klar: Jeder betroffene Monat bringt seinen eigenen Freibetrag. Betroffene können damit Überzahlungen abwehren oder Nachforderungen sichern.

Ehrenamtliche bleiben geschützt, aber nur bis 30.06.2023

Für Zeiträume vor Juli 2023 mussten Stadträt\innen das Quartalssalär noch als einmaliges Einkommen hinnehmen. Seit dem Bürgergeld‑Update (§ 11a Abs. 1 Nr. 5 SGB II) sind bis zu 3 000 Euro im Jahr sogar völlig frei. Wer alte Bescheide prüft, nutzt das Urteil; wer neue Bescheide erhält, verweist auf die Gesetzesänderung.

Kombi‑Regel verhindert doppelte Freibeträge

Jobcenter dürfen ehrenamtliche Einkünfte nicht zusätzlich mit 100 Euro begünstigen, wenn bereits ein Minijob angesetzt wird. Leistungsbeziehende gewinnen Planungssicherheit und vermeiden Überraschungen bei der Anrechnung.

Alte Rechtslage vs. Bürgergeld

Thema Urteil & praktischer Nutzen
Mehrere Monatslöhne fließen gebündelt Für jeden verdienten Monat gilt ein eigener 100‑€‑Grundfreibetrag. Betroffene können so höhere Anrechnungen kippen und Nachzahlungen beanspruchen.
Aufwands­entschädigung für Ehrenamt (Stadtrat u. Ä.) Quartalszahlung zählt vollständig im Zufluss­monat; nur die üblichen Freibeträge dieses Monats sind absetzbar. Gilt für Alt‑Zeiträume bis 30.06.2023.
Kombination Ehrenamt + Mini‑Job Treffen Sitzungsgeld und 520‑€‑Job zusammen, greift ein einzelner 200‑€‑Grundfreibetrag (plus regulärer Erwerbsfreibetrag). Doppelte Grundfreibeträge sind ausgeschlossen.

 

Schritt‑für‑Schritt: So wehren Sie falsche Bescheide ab

  1. Bescheid prüfen: Stehen mehrere Monatslöhne in einer Summe? Wurden Freibeträge sauber multipliziert?
  2. Widerspruch einlegen: Argumentieren Sie mit dem LSG‑Urteil L 5 AS 79/23 und den BSG‑Referenzen.
  3. Zahlungsnachweise beibringen: Kontoauszüge, Lohn­abrechnungen, Stadtrats­satzung.
  4. Fristen beachten: Widerspruch binnen eines Monats, Überprüfungs­antrag (§ 44 SGB X) bis vier Jahre rückwirkend.
  5. Notfalls klagen: Sozialgerichte arbeiten gebührenfrei; Erfolgsaussichten steigen mit eindeutiger Rechtsprechung.

Wohnungskosten: Wann Kostensenkung zumutbar ist

Das LSG bestätigte die abgesenkte Bruttokaltmiete. Es verwies auf die sogenannte Produkttheorie und eine sechsmonatige Umzugsfrist. Nur wer aktiv nach günstigem Wohnraum sucht und dies belegt, kann längere Fristen bekommen. Beispiel Q‑Stadt: Angemessene Warmmiete laut Konzept 339,50 Euro; tatsächliche Miete der Klägerin 440 Euro. Einsparpotenzial lag über 100 Euro und galt als zumutbar.