Jobcenter dürfen Menschen, die Bürgergeld beziehen, nicht auffordern, Disposchulden anzuhäufen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Erstattungen, die Kontoschulden ausgleichen, dürfen zusätzlich nicht als Einkommen berechnet werden. Das entschied das Bundessozialgericht.(Az. B4 AS 9/20 R)
Jobcenter rechnet Disposchulden als Einkommen an
Der Leistungsbezieher war alleinerziehender Vater und erhielt im Jahr 2016 eine Steuererstattung in Höhe von insgesamt 2.382,92 Euro. Die Behörde betrachtete diese einmalige Zahlung als verfügbares Einkommen, verteilte sie auf sechs Monate und zog ihm daher monatlich 397,15 Euro von seinen Leistungen ab.
Leistungsbezieher hatte bereits einen Dispokredit
Dieses Vorgehen des Jobcenters hatte einen Haken. Der alleinerziehende Vater hatte bereits einen Dispokredit. Die Steuergutschrift linderte die finanziellen Probleme zwar, doch trotz der 2.382,92 Euro blieb das Konto im Minus – bei – 356,92 Euro.
Das Jobcenter bewertete die Gutschrift also als Einkommen, obwohl der Mann nach wie vor kein Guthaben auf dem Konto hatte. Die Überweisung des Finanzamtes tilgte nur den Dispokredit. Diesen lässt die zuständige Bank sich mit 12,55 Prozent Zinsen bezahlen.
Zurück in den Dispokredit
Der Alleinerziehende fühlte sich durch das Jobcenter erneut in den Dispo gedrängt, obwohl die Steuererstattung sein Konto gerade erst ins Plus gebracht hatte.
Er akzeptierte nicht, dass das Jobcenter einen negativen Kontostand als Einkommen berechnete und legte Widerspruch ein. Die Behörde wies seinen Widerspruch ab und bestand darauf, dass die Berechnungen korrekt seien.
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Das Bundessozialgericht urteilt gegen das Jobcenter
Der Fall ging durch alle drei Instanzen der Sozialgerichte. Das Bundessozialgericht stimmte dem Alleinerziehenden letztlich zu.
Es wies die Auffassung des Jobcenters zurück, dass der Betroffene seinen Dispokredit nutzen könne. Ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter dürfe nicht darauf verwiesen werden, auf einen Dispositionskredit zurückzugreifen.
Dies gelte erstens, weil ein Dispokredit mit hohen Zinsen kein „verfügbares Mittel“ sei, um den Lebensunterhalt zu sichern. Besonders gelte dies, wenn der Betroffene zuvor eingegangene Einnahmen genutzt habe, um seine Schulden zu begleichen.
Steuererstattung ist nur bei vorhandenem Guthaben als Einkommen zu rechnen
Das Jobcenter hätte zwar im Grundsatz das Recht, eine Steuererstattung als Einkommen anzurechnen. Dies gelte aber nur dann, wenn die Rückzahlung als “verfügbares Mittel” zur Verfügung stünde.
Eine Steuererstattung, die gleich nach der Überweisung automatisch den Dispokredit ausgleiche, decke nicht den Bedarf einer Familie. Das Jobcenter dürfe eine Rückzahlung in diesem Fall weder als Einkommen noch als “verfügbares Mittel” bewerten. Der Leistungsempfänger sei nicht verpflichtet, neue Schulden zu machen, um seinen Bedarf zu decken.
Fazit
Wir bei Gegen Hartz begrüßen dieses Urteil. Schulden sind für Menschen, die Sozialleistungen beziehen, ein enormes Problem. Menschen, die per gesetzlicher Definition am Existenzminimum leben, haben kaum Möglichkeiten, bestehende Schulden zurückzuzahlen.
Fallen nun Zinsen an, wie bei einem Dispokredit, besteht die Gefahr, dass Leistungsbezieher in eine Schuldenfalle geraten, aus der sie nur schwer wieder herausfinden. Es fehlt ihnen an finanziellen Mitteln, um die Schulden abzubauen, und durch die anfallenden Zinsen wächst der Schuldenberg stetig weiter.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.