Jobcenter: Bürgergeld-Bezieher sollen teure Atteste zahlen

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Helena Steinhaus von Sanktionsfrei e.V. stellt fest, dass Jobcenter immer härter gegen Bürgergeld-Bezieher vorgehen, die sich krankschreiben lassen müssen.

Für Bürgergeld-Bezieher gelten seitens der Ämter Sonderregeln, die weit über das hinausgehen, was Arbeitgeber fordern und erwarten.

Erst Sonderregeln aufstellen, und dann sanktionieren

Die Jobcenter stellen Bedingungen, die den Ärzten selbst fremd sind, und wenn Bürgergeld-Berechtigte diese Extraregeln nicht bedingunglos folgen, folgen Sanktionen oder sogar Leistungseinstellungen.

Ein scharfes Schwert der Behördenmitarbeiter gegenüber Leistungsberechtigten ist die sog. Mitwirkungspflicht. Wer Bürgergeld bezieht, verpflichtet sich nach besten Kräften mitzuwirken und mit dem Jobcenetr zusammenzuarbeiten.

Krankmeldung reicht dem Jobcenter nicht

Steinhaus erklärt: “Als “unkooperativ” gilt man übrigens zum Beispiel, wenn man krank ist und zwar eine Krankschreibung hat. aber keine “Wegeunfähigkeitsbescheinigung” für den Tag, an dem der Termin stattfinden soll.” Steinhaus zufolge häufen sich solche Fälle derzeit.

Der Hausarzt kennt das nicht und will das bezahlt haben

Solche “Wegeunfähigkeitsbescheinigungen” sind keine regulären Formulare der ärztlichen Praxis, und viele Ärzte kennen sie nicht einmal. Viele fordern wegen dem Aufwand dann eine Extrazahlung.

Die Bundesärztekammer antwortete auf Anfrage:

“Muster zur Ausstellung von sogenannten Bettlägerigkeitsbescheinigungen sind uns nicht bekannt. Die Abrechnung zur Erstellung solcher Bescheinigungen und ggf. begleitender Leistungen in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) erfolgt gemäß den Beratungs-, Untersuchungs- und insbesondere den Berichts-Gebührenpositionen.”

Bürgergeld-Bezieher zu Mehrkosten genötigt

Die Jobcenter zwingen Leistungsberechtigte durch solche Forderungen dazu, Geld von ihrem kargen Regelsatz auszugeben. Das Attest zur Krankschreibung selbst zahlen die Betroffenen nicht.

Dazu heißt es in den Fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit:

“Die Kosten für die Ausstellung des Attestes können in angemessenem Umfang übernommen werden. Dies sind die nach Ziffer 70 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) vorgesehenen Gebühren für eine kurze Bescheinigung, und zwar in Höhe des bei Privatrechnungen üblichen 2,3fachen Satzes, mithin derzeit 5,36 EUR. Höhere Kosten werden nicht übernommen.“

Zusätzliche Atteste wie eine “Wegeunfähigkeitsbeschreibung” kosten Bürgergeld-Berechtigte jedoch weit mehr, und Steinhaus nennt Summen von oft 15 Euro – für Menschen am Existenzminimum eine Menge Geld.

Gebührenforderungen für Extra-Atteste liegen generell zwischen 10,00 Euro und 35,00 Euro.

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Jobcenter handeln juristisch fragwürdig

Wenn Jobcenter Leistungsbezieher sanktionieren, obwohl diese ihre Krankmeldung einreichten, und weil die Behörde zusätzliche Bescheinigungen verlangt, dann bewegen sich die Mitarbeiter hart an der Grenze des geltenden Rechts.

Zusätzliche Bescheinigung ist nicht zwingend erforderlich

Eine Frau war nicht zu einem Termin erschienen und hatte dem Jobcenter keine Bescheinigung ihrer “Bettlägerigkeit” abgegeben. Die Behörde strich ihr wegen “fehlender Mitwirkung” zehn Prozent der Leistungen.

Das Sozialgericht verwies auf Zeugenaussagen und sagte, dass eine ärztliche Bescheinigung nicht zwingend erforderlich sei.

Was sagt das Bundessozialgericht?

Das Bundessozialgericht laässt den Jobcenter Spielraum, um zusätzliche Atteste zu fordern. Die Bundesagentur für Arbeit zitiert das entsprechende Urteil ausdrücklich in den Fachlichen Hinweisen auf, nach denen die Jobcenter sich richten:

“Die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist grundsätzlich als wichtiger Grund anzuerkennen. Arbeitsunfähigkeit ist jedoch nicht in jedem Einzelfall gleichbedeutend mit einer krankheitsbedingten Unfähigkeit, zu einem Meldetermin zu erscheinen.” (Bundessozialgericht, Urteil vom 9.11.2010 – Az. B 4 AS 27/10 R – juris Rn. 32)

Damit haben die Jobcenter die Möglichkeit, zusätzliche Atteste zu verlangen, wie die Bundesagentur ausführt: “Jedenfalls nach vorheriger Aufforderung kann vom Leistungsberechtigten auch ein ärztliches Attest für die Unmöglichkeit des Erscheinens zu einem Meldetermin verlangt werden.”