Bürgergeld-Eilverfahren: Umzug in zu teure Wohnung erforderlich bei Konflikt mit dem Kindesvater

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SGB 2: Zur einstweiligen Anordnung der Erteilung einer Zusicherung gemäß § 22 Abs 4 SGB 2 für eine konkret nachgewiesene, noch nicht angemietete, aber noch verfügbare neue Unterkunft unter Berücksichtigung der Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG bei existenzsichernden Leistungen Bürgergeld.

Umzugsgrund in unangemessene Wohnung

Ein Umzugsgrund in eine nicht angemessene Wohnung kann bei einer allein erziehenden Mutter bestehen, wenn eine enge räumliche Nähe zum Kindesvater besteht, welcher im gleichem Hause wohnt und es diesbezüglich häufig zu Konflikten kommt, die sich nachteilig und belastend auf das minderjährige Kind auswirken und das Ganze vom Jugendamt bestätigt wird (Orientierungssatz Redakteur Detlef Brock) So entschieden vom Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 09.02.2022 – S 203 AS 466/22 ER -.

In einem Eilverfahren hat das SG Berlin die Zusicherung für die zu teure Wohnung bejaht. Das Jobcenter lehnte vorher die Zusicherung für die neue Wohnung wegen Unangemessenheit ab, eine Dringlichkeit sei nicht gegeben.

Das Jobcenter vertritt die Meinung, dass die neue Miete nicht angemessen wäre im Sinne der AV Wohnen Berlin.

Auch sei ein Eilbedürfnis nicht gegeben, denn es handle sich um das 1. Wohnungsangebot der Klägerin, sie müsse weiter suchen nach angemessenen Wohnraum, doch nach Ansicht des Jobcenters sind diese Bemühungen der Mutter nicht erkennbar. Dem ist die 203. Kammer des SG Berlin nicht gefolgt.

Der Eilantrag hatte Erfolg

Rechtsschutzbedürfnis war gegeben: Ein Mietvertrag war noch nicht abgeschlossen worden von der Mutter und der Umzug war noch nicht vollzogen worden, damit lag das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis vor.

Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz

Wegen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz kann in bestimmten Fällen ein Bedürfnis für eine Zusicherung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestehen. Deshalb sind hohe Anforderungen an den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund zu stellen, welche hier glaubhaft gemacht wurden.

Anordnungsanspruch wurde glaubhaft gemacht

Ein Umzug ist erforderlich, wenn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegt, von dem sich auch ein Nichtleistungsempfänger leiten lassen würde.

Die Kammer kann gut nach vollziehen, warum die aktuelle Wohnung aufgegeben werden soll und eine neue Wohnung angemietet werden soll.

Eidesstattliche Versicherung der Mutter zum Umzugsgrund glaubhaft

Das Gericht sieht die Erforderlichkeit des Umzugs in der räumliche Nähe zum Kindesvater, der im selben Haus wohnt, und es deshalb zu häufigen Konflikten, die sich gerade auch nachteilig für und belastend auf die minderjährige Tochter auswirken können.

Bestätigung des Jugendamtes machen den Umzug noch mehr erforderlicher

Denn auch ein Nicht-Leistungsempfänger würde sich von einer solchen Befürwortung des Jugendamtes leiten lassen. Die Kosten der neuen Wohnung sind entgegen der Auffassung des Jobcenters auch angemessen

Bei der AV – Wohnen Berlin handelt es sich nicht um ein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG.

Neuste höchstrichterliche Rechtsprechung besagt: Es muss ausreichend angemessener Wohnraum vorhanden sein.

Es muss auch geprüft werden (Neuste höchstrichterliche Rechtsprechung),ob zu den ermittelten Angemessenheitswerten Wohnraum tatsächlich zur Verfügung steht und in hinreichender Zahl auf dem Markt allgemein zugänglich angeboten wird (BSG, Urt. v. 03.09.2020 – B 14 AS 37/19 R; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 21.01.2021 -L 19 AS 1129/17 – ).

Somit waren die tatsächlichen Mietkosten zu übernehmen, jedoch begrenzt durch die Werte nach dem Wohngeldgesetz zuzüglich eines Zuschlages von 10 Prozent.

Anordnungsgrund war auch gegeben

Denn bei einem Verbleib in der bisherigen Wohnung kommt es weiterhin zu unfreiwilligen Begegnungen mit dem Kindesvater, wobei dieser im Beisein der kleiner Tochter die Mutter anbrüllt.

Wohnsituation für 10 jährige Tochter unzumutbar

Für Erwachsene kann solch Zustand für einen absehbaren Zeitraum zumutbar sein, doch für die 10 -jährige Tochter ist so eine Wohnsituation unzumutbar.

Anmerkung Redakteur Detlef Brock

Eine Entscheidung ganz nach meinem Geschmack, denn der alleinerziehenden Mutter und auch der minderjährigen Tochter war ein Verbleib in der alten Wohnung nicht zumutbar.

Auch konnte hier die Zusicherung für die neue Unterkunft im Eilverfahren erstritten werden, denn es besteht ja immer die Gefahr, dass die Wohnung wenig später vergeben ist.

Was kann man Betroffenen raten

Es ist nicht ausreichend, wenn der Umzug lediglich sinnvoll oder wünschenswert ist (SächsLSG, Beschluss vom 16. April 2008 – L 3 B 136/08 AS-ER).

Ein Umzug kann dann erforderlich sein, wenn ein Konflikt mit anderen Hausbewohnern nicht behebbar ist und auf Grund dessen ein weiterer Verbleib in der bisherigen Wohnung nicht zumutbar erscheint (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Juni 2007 – L 28 B 676/07 AS ER, L 28 B 843/07 AS PKH; SG Berlin, Beschluss vom 25. Mai 2007 – S 63 AS 10511/07 ER -).

Es ist immer der Einzelfall zu betrachten, wenn Schlichtungen erfolglos bleiben z. Bsp. bei Erwachsenen, sollte in der Regel ein Umzugsgrund vorliegen, wenn der Konflikt nicht abgestellt werden kann. Nachweise sollten dringend bei gebracht werden.

Es gibt nur ein Problem: Deutschland hat viel zu wenige Sozialwohnungen.

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