Vom Krankengeld direkt in die Rente

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Der Wechsel โ€žvom Krankengeld in die Renteโ€œ ist selten eine Entscheidung aus freien Stรผcken. Meist steht am Anfang eine Krankheit, die nicht nur den Alltag, sondern auch die Arbeitsfรคhigkeit รผber Monate beeintrรคchtigt.

Irgendwann rรผckt dann eine Frage in den Vordergrund, die viele zunรคchst wegschieben: Was passiert, wenn das Krankengeld auslรคuft, die Rรผckkehr in den Beruf aber weiterhin nicht realistisch ist?

In dieser Situation treffen drei Systeme aufeinander, die jeweils eigene Regeln, Gutachten und Fristen haben: die gesetzliche Krankenversicherung, die Rentenversicherung und โ€“ als โ€žBrรผckeโ€œ in vielen Fรคllen โ€“ die Arbeitsfรถrderung. Wer die Spielregeln kennt, kann finanzielle Lรผcken vermeiden, besser planen und typische Missverstรคndnisse ausrรคumen.

Krankengeld: Ersatz fรผr Lohn โ€“ aber mit Ablaufdatum

Fรผr Beschรคftigte beginnt die lange Strecke hรคufig mit sechs Wochen Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Danach springt die Krankenkasse mit Krankengeld ein. Die Leistung soll den Verdienstausfall abfedern, solange eine Arbeitsunfรคhigkeit รคrztlich festgestellt ist und die Voraussetzungen erfรผllt sind.

Das Krankengeld ist zeitlich begrenzt. Bei Arbeitsunfรคhigkeit wegen derselben Krankheit ist es โ€“ gerechnet ab Beginn der Arbeitsunfรคhigkeit โ€“ auf 78 Wochen innerhalb von drei Jahren begrenzt.

Weil die ersten sechs Wochen in dieser Spanne mitlaufen, wird Krankengeld in der Praxis oft hรถchstens rund 72 Wochen tatsรคchlich ausgezahlt, wenn es eine durchgehende Arbeitsunfรคhigkeit gibt. Diese Grenze wird im Alltag hรคufig unterschรคtzt, weil โ€ž78 Wochenโ€œ nach viel klingt, aber im Kalender schneller erreicht ist, als man erwartet.

Hinzu kommt die Logik der sogenannten Blockfrist: Die Drei-Jahres-Spanne bezieht sich auf die jeweilige Krankheit und den Beginn der Arbeitsunfรคhigkeit. Wer zwischenzeitlich wieder arbeitsfรคhig wird, kann in bestimmten Konstellationen spรคter erneut Anspruch bekommen; wann ein neuer Anspruch entsteht und wann nicht, hรคngt jedoch stark vom Verlauf und den Unterbrechungen ab. Genau an dieser Stelle entstehen viele falsche Hoffnungen โ€“ und spรคter harte รœberraschungen.

โ€žAussteuerungโ€œ: Wenn das Ende absehbar wird

Lรคuft der Anspruch aus, sprechen Krankenkassen und Beratungsstellen von โ€žAussteuerungโ€œ. Das bedeutet nicht, dass das Arbeitsverhรคltnis endet. Es heiรŸt vor allem: Die Krankenkasse zahlt nach Erreichen der Hรถchstdauer kein Krankengeld mehr, auch wenn die Arbeitsunfรคhigkeit fortbesteht.

In der Praxis kommt das Ende selten vรถllig aus heiterem Himmel. Hรคufig gibt es Schreiben, die auf das voraussichtliche Ende hinweisen und auf nรคchste Schritte verweisen.

Trotzdem geraten Betroffene unter Druck, weil die wirtschaftliche Frage sofort im Raum steht: Wovon leben, wenn das Krankengeld wegfรคllt โ€“ und die Gesundheit weiter keine Rรผckkehr erlaubt?

Genau hier beginnt der รœbergang zur Rente oft nicht als โ€žWunschโ€œ, sondern als Prรผfung: Ist die Erwerbsfรคhigkeit dauerhaft so eingeschrรคnkt, dass eine Erwerbsminderungsrente in Betracht kommt? Oder gibt es realistische Chancen, รผber medizinische oder berufliche Rehabilitation wieder in Arbeit zu kommen?

Die Krankenkasse darf auffordern: Reha- oder Rentenantrag mit Frist

Ein Punkt, der viele รผberrascht: Die Krankenkasse kann Versicherte auffordern, einen Antrag auf medizinische Rehabilitation oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen, wenn die Erwerbsfรคhigkeit erheblich gefรคhrdet oder gemindert erscheint.

Diese Aufforderung ist nicht bloรŸ ein gut gemeinter Hinweis. Sie kann mit einer Frist verbunden sein โ€“ und wenn der Antrag nicht rechtzeitig gestellt wird, kann der Anspruch auf Krankengeld enden.

Praktisch lรคuft das so: Die Krankenkasse stรผtzt sich auf medizinische Einschรคtzungen, hรคufig unter Einbindung des Medizinischen Dienstes. Ziel ist, die Perspektive zu klรคren: Rรผckkehr in Arbeit durch Reha und Teilhabe โ€“ oder, wenn das nicht realistisch ist, der Weg in eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Fรผr Betroffene fรผhlt es sich manchmal an wie ein Schubser in Richtung Rentenantrag. Tatsรคchlich ist es zunรคchst eine Weichenstellung hin zur Klรคrung der Erwerbsfรคhigkeit.

Wichtig ist dabei das Timing. Wer sich zu lange Zeit lรคsst, riskiert, dass das Krankengeld (vorรผbergehend oder dauerhaft) nicht weitergezahlt wird. Gleichzeitig sollte niemand vorschnell etwas unterschreiben oder beantragen, ohne zu verstehen, was der Antrag auslรถst. Denn im Hintergrund gibt es eine zweite Regel, die enorme Bedeutung hat.

โ€žReha vor Renteโ€œ โ€“ und warum ein Reha-Antrag zur Rentenfrage werden kann

In der Rentenversicherung gilt der Grundsatz โ€žReha vor Renteโ€œ: Bevor eine dauerhafte Rente gezahlt wird, soll geprรผft werden, ob Leistungen zur Rehabilitation die Erwerbsfรคhigkeit wiederherstellen oder verbessern kรถnnen. Das ist im System angelegt und erklรคrt, warum die Rentenversicherung bei einem Rentenantrag hรคufig zuerst prรผft, ob eine Reha sinnvoll ist โ€“ und umgekehrt.

Besonders folgenreich ist die Antragslogik: Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein Reha-Antrag als Rentenantrag gelten. Das ist kein Detail, sondern kann den Startpunkt des Rentenverfahrens bestimmen โ€“ und damit Fragen von Beginn, Rรผckwirkung und Zustรคndigkeit beeinflussen. Wer also โ€žnurโ€œ Reha beantragt, kann โ€“ wenn die Voraussetzungen vorliegen โ€“ plรถtzlich in einem Rentenprรผfverfahren landen.

Das ist nicht automatisch schlecht. Im Gegenteil: Es kann verhindern, dass Zeit verloren geht. Aber es bedeutet auch, dass Betroffene gut beraten sind, das Verfahren bewusst zu fรผhren: Welche medizinischen Unterlagen liegen vor? Welche Tรคtigkeiten waren zuletzt prรคgend? Gibt es bereits Entlassungsberichte aus Klinik oder Reha? Und wie ist die Prognose?

Die Erwerbsminderungsrente: MaรŸstab ist der allgemeine Arbeitsmarkt

Viele denken bei Erwerbsminderung zuerst an den erlernten Beruf. Die gesetzliche Erwerbsminderungsrente funktioniert jedoch anders: MaรŸstab ist grundsรคtzlich, ob eine Person auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch arbeiten kann โ€“ also nicht nur im bisherigen Job, sondern in allen Tรคtigkeiten, die in Betracht kommen.

Die Rentenversicherung unterscheidet grob zwischen voller und teilweiser Erwerbsminderung. Volle Erwerbsminderung liegt vor, wenn wegen Krankheit oder Behinderung weniger als drei Stunden tรคgliche Arbeit mรถglich sind. Teilweise Erwerbsminderung liegt vor, wenn noch mindestens drei, aber weniger als sechs Stunden tรคgliche Arbeit mรถglich sind. Diese Einschรคtzung basiert auf รคrztlichen Unterlagen und hรคufig auf zusรคtzlichen Gutachten.

Hinzu kommen versicherungsrechtliche Hรผrden: In vielen Fรคllen mรผssen mindestens fรผnf Jahre Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegen, und in den letzten fรผnf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mรผssen typischerweise mindestens drei Jahre Pflichtbeitrรคge gezahlt worden sein. Es gibt Ausnahmen, etwa bei bestimmten Sachverhalten oder fรผr besondere Personengruppen, aber fรผr die Mehrheit sind diese Bedingungen die Eintrittskarte ins Verfahren.

Ein weiterer Punkt, der oft erst spรคt verstanden wird: Selbst bei โ€žteilweiserโ€œ Erwerbsminderung kann es in der Praxis zu einer Rente in Hรถhe der vollen Erwerbsminderungsrente kommen, wenn kein geeigneter Teilzeitarbeitsplatz verfรผgbar ist. Umgangssprachlich wird dann hรคufig von einer โ€žArbeitsmarktrenteโ€œ gesprochen. Das ist ein Punkt, der fรผr Menschen relevant wird, die medizinisch noch drei bis unter sechs Stunden leistungsfรคhig sind, aber faktisch keinen passenden Arbeitsplatz finden.

Wenn es hakt: Ablehnung, Widerspruch, neue Gutachten

Nicht jeder Antrag fรผhrt zur Rente. Ablehnungen sind hรคufig โ€“ nicht zwingend, weil Betroffene โ€žnicht krank genugโ€œ wรคren, sondern weil die Rentenversicherung eine andere Prognose oder ein anderes Leistungsbild sieht, weil Unterlagen fehlen oder weil sie Reha fรผr aussichtsreich hรคlt.

Dann beginnt fรผr viele ein zweiter, belastender Abschnitt: der Streit um die Einschรคtzung. Sozialrechtliche Verfahren sind formal, aber sie folgen Regeln. Gegen Bescheide gibt es Fristen, und medizinische Fragen werden รผber Gutachten und Befundberichte entschieden.

Wer in dieser Lage ist, merkt schnell, dass die Qualitรคt der Dokumentation entscheidend sein kann: Der Unterschied zwischen einer Diagnose und einer nachvollziehbaren Aussage zur Leistungsfรคhigkeit im Alltag ist groรŸ.

Die Brรผcke nach dem Krankengeld: Arbeitslosengeld trotz Krankheit

Wenn das Krankengeld endet und die Rentenentscheidung noch aussteht, droht ein Loch. Genau dafรผr existiert im Arbeitslosengeld eine besondere Regelung: die Nahtlosigkeitsregelung. Sie ermรถglicht Arbeitslosengeld auch dann, wenn jemand dem Arbeitsmarkt wegen gesundheitlicher Einschrรคnkungen eigentlich nicht โ€žnormalโ€œ zur Verfรผgung steht โ€“ solange die Rentenversicherung eine Erwerbsminderung noch nicht festgestellt hat.

In der Praxis verlangt die Agentur fรผr Arbeit dann meist eine zรผgige Mitwirkung: Betroffene kรถnnen aufgefordert werden, innerhalb kurzer Frist einen Reha- oder Teilhabeantrag zu stellen; bei Nichtmitwirkung kann der Anspruch ruhen. Das wirkt wie ein weiteres System aus Fristen und Schreiben โ€“ ist aber fรผr viele der entscheidende Schutz davor, nach der Aussteuerung ohne laufende Leistung dazustehen.

Wann Krankengeld endet, wenn Rente beginnt โ€“ und warum Rรผckwirkung wichtig ist

Ein verbreitetes Missverstรคndnis lautet: โ€žWenn ich Rente bekomme, muss ich das Krankengeld zurรผckzahlen.โ€œ In vielen Fรคllen stimmt das so nicht. Hรคufig lรคuft der finanzielle Ausgleich zwischen den Leistungstrรคgern.

Denn: Fรผr bestimmte Rentenarten ist Krankengeld ausgeschlossen, sobald die Rente beginnt, insbesondere bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung oder einer Vollrente wegen Alters. Wird eine Rente rรผckwirkend bewilligt, รผberschneiden sich auf dem Papier Krankengeldzeiten und Rentenzeiten.

Dann greift hรคufig eine Erstattungsregel zwischen Krankenkasse und Rentenversicherung: Die Rentenversicherung zahlt rรผckwirkend, die Krankenkasse macht Erstattungsansprรผche geltend, und Betroffene erhalten โ€“ vereinfacht gesagt โ€“ nicht โ€ždoppeltโ€œ, mรผssen aber oft auch nicht aus eigener Tasche an die Krankenkasse รผberweisen. Im Ergebnis ist es oft eine Verrechnung im Hintergrund, die in Bescheiden und Abrechnungen sichtbar wird.

Genau deshalb lohnt sich ein nรผchterner Blick auf Daten: Beginn der Arbeitsunfรคhigkeit, Beginn und Ende des Krankengeldes, Datum der Antragstellung, festgestellter Eintritt der Erwerbsminderung, Rentenbeginn. Kleine Unterschiede im Datum kรถnnen groรŸe Unterschiede im Geldfluss machen.

Abschlรคge, Zurechnungszeit, Steuern und Beitrรคge

Auch wenn es unangenehm ist: Der Schritt in die Erwerbsminderungsrente bedeutet meist ein geringeres laufendes Einkommen als zuvor im Job โ€“ oft auch weniger als im Krankengeld, je nach individueller Situation. Dazu kommen rentenrechtliche Rechenfaktoren, die man kennen sollte.

Ein wichtiger Punkt ist die Zurechnungszeit. Vereinfacht steckt dahinter die Idee, dass so gerechnet wird, als hรคtte die betroffene Person bis zu einem bestimmten Alter weiter gearbeitet.

Diese Zeit ist in den letzten Jahren schrittweise verlรคngert worden, was neu beginnende Erwerbsminderungsrenten in vielen Fรคllen verbessert. Gleichzeitig bleiben Abschlรคge ein Thema: Je nach Konstellation kรถnnen Rentenabschlรคge anfallen, die die Monatsrente dauerhaft mindern.

Steuerlich treffen Betroffene ebenfalls oft auf รœberraschungen. Krankengeld ist zwar grundsรคtzlich steuerfrei, kann aber รผber den Progressionsvorbehalt den Steuersatz fรผr andere Einkรผnfte erhรถhen.

Bei rรผckwirkend bewilligter Rente und Erstattungen zwischen den Trรคgern kann es zudem steuerlich komplizierter werden, weil Zahlungen ย unterschiedlich eingeordnet werden kรถnnen.

Die Erwerbsminderungsrente selbst unterliegt โ€“ wie andere Renten auch โ€“ der nachgelagerten Besteuerung: Der steuerpflichtige Anteil richtet sich nach dem Jahr des Rentenbeginns und bleibt fรผr den individuellen Rentenfall grundsรคtzlich festgeschrieben.

Dazu kommen Beitrรคge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Rentnerinnen und Rentner sind hรคufig in der Krankenversicherung der Rentner versichert, wenn die Vorversicherungszeiten erfรผllt sind; Beitrรคge werden dann aus der Rente abgefรผhrt.

Wer diese Voraussetzungen nicht erfรผllt, kann als freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert bleiben, was finanziell anders aussehen kann. In jedem Fall ist es sinnvoll, diese Frage frรผh mitzudenken โ€“ nicht erst, wenn der Rentenbescheid im Briefkasten liegt.

Altersrente statt Erwerbsminderungsrente: Wenn der Ruhestand nรคher ist als gedacht

Nicht jede โ€žRente nach Krankengeldโ€œ ist eine Erwerbsminderungsrente. Wer bereits in der Nรคhe des Rentenalters ist, prรผft oft eine Altersrente โ€“ manchmal regulรคr, manchmal vorzeitig.

Der Reiz liegt auf der Hand: Eine Altersrente hรคngt nicht von der medizinischen Leistungsfรคhigkeit im Sinne der Erwerbsminderung ab. Die Kehrseite: Mit Beginn einer Vollrente wegen Alters ist Krankengeld grundsรคtzlich ausgeschlossen. Wer also vorschnell in eine Altersvollrente wechselt, beendet damit in vielen Fรคllen die Krankengeld-Option โ€“ selbst wenn die Krankheit weiter andauert.

Gleichzeitig ist der รœbergang im Rentensystem selbst geregelt: Eine Erwerbsminderungsrente wird grundsรคtzlich nur bis zur Regelaltersgrenze gezahlt und dann durch eine Altersrente ersetzt; dabei soll sichergestellt werden, dass die Altersrente nicht niedriger ausfรคllt als die vorherige Erwerbsminderungsrente. Fรผr Betroffene kann das beruhigend sein, weil es die Angst vor einem โ€žAbsturzโ€œ beim Wechsel in die Altersrente reduziert.

Rรผckkehr in Arbeit bleibt mรถglich: Wiedereingliederung und betriebliches Eingliederungsmanagement

Zwischen Krankengeld und Rente gibt es noch eine dritte Realitรคt: den Versuch, doch wieder ins Arbeitsleben zurรผckzukehren โ€“ nicht sofort voll, sondern schrittweise. Die stufenweise Wiedereingliederung (โ€žHamburger Modellโ€œ) ist dafรผr ein hรคufig genutzter Weg. Sie kann helfen, Belastbarkeit im Alltag zu testen, ohne dass sofort das volle Risiko einer รœberforderung entsteht. In dieser Phase kรถnnen je nach Konstellation weiter Entgeltersatzleistungen laufen, wรคhrend die Arbeitszeit langsam aufgebaut wird.

Parallel dazu gibt es im Betrieb das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM), das Arbeitgeber Beschรคftigten anbieten mรผssen, wenn innerhalb eines Jahres lรคnger als sechs Wochen Arbeitsunfรคhigkeit vorliegt.

Ein BEM ist keine Therapie, aber es kann โ€“ wenn es ernsthaft betrieben wird โ€“ Lรถsungen ermรถglichen, etwa Anpassungen am Arbeitsplatz oder organisatorische Verรคnderungen. Das kann den Rentenweg vermeiden oder zumindest hinauszรถgern. Manchmal bestรคtigt ein sorgfรคltiges BEM-Verfahren aber auch, dass es realistisch keine tragfรคhige Rรผckkehr gibt. Auch das ist eine Erkenntnis, die in Verfahren indirekt Gewicht bekommen kann.

Praxisbeispiel: Aus Krankengeld wird Erwerbsminderungsrente โ€“ ohne Zahlungslรผcke

Herr M., 57, arbeitet als Lagerist. Am 15. Januar 2025 wird er wegen eines schweren Bandscheibenvorfalls mit ausstrahlenden Schmerzen arbeitsunfรคhig, spรคter kommen depressive Erschรถpfungssymptome hinzu. Sein Arbeitgeber zahlt zunรคchst sechs Wochen Entgeltfortzahlung, ab Ende Februar 2025 erhรคlt er Krankengeld von der Krankenkasse.

Im Frรผhjahr 2026 bekommt er ein Schreiben, dass sein Krankengeld voraussichtlich zum 30. Juni 2026 endet, weil die Hรถchstdauer erreicht wird. Gleichzeitig wird er aufgefordert, zeitnah einen Reha-Antrag zu stellen. Herr M. reicht den Antrag fristgerecht ein; die Deutsche Rentenversicherung bewilligt eine medizinische Rehabilitation.

Die Reha endet im Juli 2026 mit einem Entlassungsbericht, der bescheinigt, dass Herr M. auf absehbare Zeit weniger als drei Stunden tรคglich arbeiten kann. Die Rentenversicherung prรผft daraufhin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Weil das Krankengeld am 30. Juni 2026 ausgelaufen ist, meldet sich Herr M. direkt zum 1. Juli 2026 bei der Agentur fรผr Arbeit und erhรคlt Arbeitslosengeld nach der Nahtlosigkeitsregelung, obwohl er weiterhin krankgeschrieben ist.

Ende Oktober 2026 kommt der Rentenbescheid: Die volle Erwerbsminderungsrente wird bewilligt, der Rentenbeginn wird rรผckwirkend auf den 1. Juli 2026 festgelegt.

Die Nachzahlung wird im Hintergrund mit der Krankenkasse und der Agentur fรผr Arbeit verrechnet, sodass Herr M. nicht โ€ždoppeltโ€œ bekommt, aber auch nicht plรถtzlich selbst groรŸe Betrรคge zurรผckรผberweisen muss.

Ab November 2026 lรคuft die Rentenzahlung regelmรครŸig, inklusive Abzug der Beitrรคge zur Kranken- und Pflegeversicherung, und die รœbergangsphase ist ohne finanzielle Lรผcke abgeschlossen.

Frage 1: Wie lange wird Krankengeld gezahlt โ€“ und wann endet es typischerweise?

Das Krankengeld ist bei Arbeitsunfรคhigkeit wegen derselben Krankheit zeitlich begrenzt und endet spรคtestens nach 78 Wochen innerhalb von drei Jahren, gerechnet ab Beginn der Arbeitsunfรคhigkeit. Da die ersten sechs Wochen Entgeltfortzahlung in diese Zeit eingerechnet werden, erhalten viele Betroffene in der Praxis meist weniger als 78 Wochen tatsรคchlich Krankengeld.

Frage 2: Was bedeutet โ€žAussteuerungโ€œ konkret?

โ€žAussteuerungโ€œ bedeutet, dass die Krankenkasse nach Erreichen der Hรถchstdauer kein Krankengeld mehr zahlt, auch wenn weiterhin Arbeitsunfรคhigkeit besteht. Das Arbeitsverhรคltnis endet dadurch nicht automatisch, aber es entsteht Handlungsdruck, weil eine Anschlussleistung benรถtigt wird, etwa Arbeitslosengeld nach der Nahtlosigkeitsregelung oder eine Rente.

Frage 3: Kann die Krankenkasse mich zum Reha- oder Rentenantrag verpflichten?

Die Krankenkasse kann auffordern, einen Reha- oder Teilhabeantrag zu stellen, wenn der Eindruck besteht, dass die Erwerbsfรคhigkeit erheblich gefรคhrdet oder gemindert ist. Diese Aufforderung kann eine Frist enthalten; wird sie versรคumt, kann das Krankengeld enden. Hรคufig fรผhrt ein Reha-Antrag anschlieรŸend dazu, dass auch die Rentenfrage geprรผft wird.

Frage 4: Wovon lebe ich, wenn das Krankengeld endet, die Rente aber noch nicht entschieden ist?

In vielen Fรคllen kommt dann Arbeitslosengeld nach der Nahtlosigkeitsregelung in Betracht. Damit kann die Zeit รผberbrรผckt werden, bis geklรคrt ist, ob eine Erwerbsminderungsrente bewilligt wird. Wichtig ist, sich rechtzeitig bei der Agentur fรผr Arbeit zu melden, damit keine Zahlungslรผcke entsteht.

Frage 5: Muss ich Krankengeld zurรผckzahlen, wenn die Rente rรผckwirkend bewilligt wird?

Meistens mรผssen Betroffene nicht selbst โ€žzurรผckzahlenโ€œ. Wenn sich Krankengeld und rรผckwirkende Rentenzeiten รผberschneiden, werden die Zahlungen hรคufig zwischen den Leistungstrรคgern verrechnet. Fรผr Betroffene wirkt das dann so, dass keine Doppelzahlung entsteht, aber auch keine direkte Rรผckforderung aus eigener Tasche kommt.

Warum der รœbergang so oft als unfair erlebt wird

Viele Betroffene empfinden den Weg vom Krankengeld zur Rente als zermรผrbend, weil er nicht wie ein einziger, klarer Prozess wirkt. Es sind mehrere Verfahren, die zeitlich ineinandergreifen: Krankenkasse mit Leistungsprรผfung und Fristen, Rentenversicherung mit medizinischer Begutachtung und Reha-Prรผfung, Arbeitsagentur als Absicherung gegen Lรผcken. Dazu kommen die persรถnlichen Belastungen einer langen Krankheit, hรคufig verbunden mit finanziellen Sorgen und dem Gefรผhl, sich rechtfertigen zu mรผssen.

Gerade deshalb lohnt sich ein Perspektivwechsel: Der รœbergang ist weniger eine โ€žEntscheidungโ€œ, sondern oft eine Kette von Prรผfungen, in denen der Gesundheitszustand, die Prognose und die Mรถglichkeiten der Teilhabe bewertet werden. Wer das akzeptiert, kann die nรคchsten Schritte planbarer machen โ€“ und sich Unterstรผtzung holen, bevor Fristen รผberrollen.

Quellen

Bundesministerium fรผr Gesundheit: Informationen zum Krankengeld (Dauer, Hรถhe, Einordnung).
Sozialgesetzbuch V: ยง 48 SGB V (Dauer des Krankengeldes) und ยง 49 SGB V (Ruhenstatbestรคnde).
Sozialgesetzbuch V: ยง 50 SGB V (Ausschluss/Kรผrzung des Krankengeldes bei bestimmten Renten) und
ยง 224 SGB V (Beitragsfreiheit wรคhrend des Krankengeldanspruchs)