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Rente nach 45 Jahren: Warum die „abschlagsfreie Rente“ nicht automatisch hoch ist
„Rente nach 45 Jahren“ klingt nach einem einfachen Versprechen: Wer sehr lange gearbeitet hat, soll früher und ohne Abzüge in den Ruhestand gehen können – und dabei eine stattliche Altersrente bekommen. In der gesetzlichen Rentenversicherung ist die Realität differenzierter. Die 45 Jahre sind in erster Linie eine Zugangsvoraussetzung für eine bestimmte Rentenart, nicht automatisch ein Garant für eine hohe Auszahlung. Entscheidend für die Rentenhöhe bleibt, was im Erwerbsleben tatsächlich in die Rentenversicherung eingezahlt wurde beziehungsweise welche rentenrechtlichen Zeiten angerechnet werden.
Gemeint ist in aller Regel die Altersrente für besonders langjährig Versicherte, die umgangssprachlich weiterhin häufig „Rente mit 63“ heißt. Diese Bezeichnung trifft heute aber nur noch auf ältere Jahrgänge zu. Für jüngere Geburtsjahrgänge ist die abschlagsfreie Altersgrenze schrittweise nach oben gerückt.
Ab wann ist die Rente nach 45 Jahren möglich – und was „abschlagsfrei“ hier bedeutet
Bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte gibt es einen wichtigen Punkt, der häufig übersehen wird: Sie ist nicht als „vorzeitige Rente mit Abschlag“ konstruiert, sondern als eigener, abschlagsfreier Rentenzugang mit einer festen Altersgrenze. Wer die Bedingungen erfüllt, kann ab dieser persönlichen Altersgrenze ohne Kürzung durch Rentenabschläge in Rente gehen. Wer früher gehen möchte, muss auf andere Rentenarten ausweichen, bei denen Abschläge möglich sind, etwa bei der Altersrente für langjährig Versicherte (35 Jahre) oder – je nach Situation – bei der Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Die Altersgrenze für besonders langjährig Versicherte steigt für die Jahrgänge von 1953 bis 1963 stufenweise an. Für die Jahrgänge 1960 bis 1963 liegt sie zwischen 64 Jahren und vier Monaten und 64 Jahren und zehn Monaten; ab dem Geburtsjahrgang 1964 gilt dann 65 Jahre als abschlagsfreie Altersgrenze. Das ist der Grund, warum der Begriff „Rente mit 63“ für viele heute nicht mehr passt: Abschlagsfrei ist die Rente nach 45 Jahren in der Spitze erst mit 65 erreichbar, auch wenn das immer noch deutlich vor der Regelaltersgrenze liegen kann.
Welche Zeiten zählen für die 45 Jahre – und welche können zum Stolperstein werden
Die „45 Jahre“ sind die Wartezeit von 45 Jahren. Sie wird in Kalendermonaten gerechnet und setzt sich aus bestimmten rentenrechtlichen Zeiten zusammen. Dazu gehören typischerweise Pflichtbeitragszeiten aus Beschäftigung oder Tätigkeit, Zeiten der Kindererziehung sowie Pflegezeiten. Auch Zeiten mit Entgeltersatzleistungen, etwa bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit, können eine Rolle spielen. Gleichzeitig ist die 45-Jahres-Wartezeit strenger als die 35-Jahres-Wartezeit: Nicht alles, was bei 35 Jahren hilft, zählt automatisch auch bei 45 Jahren.
Besonders sensibel ist das Thema Arbeitslosigkeit kurz vor Rentenbeginn. Zeiten mit Arbeitslosengeld können grundsätzlich auf die 45 Jahre angerechnet werden, in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn gilt aber eine Einschränkung. In dieser Phase werden Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs in der Regel nicht berücksichtigt; Ausnahmen gibt es, wenn der Leistungsbezug durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt ist. Wer den Übergang in den Ruhestand plant, sollte deshalb frühzeitig prüfen lassen, ob die 45 Jahre tatsächlich erreicht werden – und zwar mit Blick auf die Monate, die in den letzten zwei Jahren vor dem geplanten Rentenstart liegen.
So wird die Altersrente berechnet: Entgeltpunkte statt „Arbeitsjahre“
Die Höhe der gesetzlichen Altersrente hängt nicht daran, dass 45 Jahre „voll“ sind, sondern an den Entgeltpunkten. Entgeltpunkte bilden vereinfacht ab, wie das eigene beitragspflichtige Einkommen im Verhältnis zum Durchschnittsverdienst aller Versicherten lag. Wer in einem Jahr genau den Durchschnitt verdient, bekommt ungefähr einen Entgeltpunkt. Bei einem halben Durchschnittsverdienst entsteht ungefähr ein halber Entgeltpunkt, bei 150 Prozent des Durchschnitts entsprechend etwa 1,5 Entgeltpunkte. Über das Erwerbsleben summiert sich das.
Für die Monatsrente gilt in der Praxis (stark vereinfacht) diese Logik: Monatsrente ≈ Entgeltpunkte × aktueller Rentenwert. Der aktuelle Rentenwert ist dabei der Euro-Betrag, den ein Entgeltpunkt pro Monat wert ist. Er wird jährlich zum 1. Juli angepasst. Seit dem 1. Juli 2025 liegt der aktuelle Rentenwert bei 40,79 Euro. Auf dieser Grundlage lässt sich mit Beispielrechnungen sehr anschaulich zeigen, warum 45 Versicherungsjahre sehr unterschiedliche Rentenhöhen bedeuten können.
Tabelle: Bruttorente nach 45 Jahren – abhängig vom Verdienstniveau
Die folgende Tabelle zeigt grobe Orientierungswerte für eine monatliche Bruttorente, wenn über 45 Jahre hinweg ein gleichbleibendes Verdienstniveau im Verhältnis zum Durchschnitt unterstellt wird. Sie rechnet mit dem aktuellen Rentenwert von 40,79 Euro (Stand: seit 1. Juli 2025) und geht von einer regulären Altersrente ohne Abschläge aus. In der Realität sind Erwerbsbiografien meist wechselhaft; außerdem können Kindererziehungszeiten, Pflegezeiten oder zusätzliche Zuschläge die Entgeltpunkte beeinflussen.
| Verdienst über 45 Jahre (im Verhältnis zum Durchschnitt) | Monatliche Bruttorente nach 45 Jahren (ca.) |
|---|---|
| 50 % des Durchschnitts | 918 € |
| 75 % des Durchschnitts | 1.377 € |
| 100 % des Durchschnitts („Standardrente“) | 1.836 € |
| 125 % des Durchschnitts | 2.294 € |
| 150 % des Durchschnitts | 2.753 € |
Die „Standardrente“ ist in der öffentlichen Debatte ein häufiger Bezugspunkt: Sie beschreibt das Niveau, das rechnerisch herauskäme, wenn jemand 45 Jahre lang im Durchschnitt verdient und Beiträge gezahlt hätte. Das ist ein Rechenmodell, nicht das typische Leben. Schon moderate Abweichungen – etwa Phasen in Teilzeit, längere Niedriglohnzeiten oder Erwerbsunterbrechungen – drücken die Entgeltpunkte deutlich und damit auch die Monatsrente.
Warum die Rente nach 45 Jahren oft niedriger ist als erwartet
Ein häufiger Denkfehler lautet: „45 Jahre gearbeitet, also muss die Rente gut sein.“ Tatsächlich können 45 Jahre Wartezeit auch dann erreicht werden, wenn nicht in allen Monaten hohe Beiträge geflossen sind. Teilzeit, Minijobs ohne oder mit nur geringen Rentenbeiträgen, längere Phasen mit niedrigen Einkommen und familienbedingte Unterbrechungen wirken direkt auf die Entgeltpunkte. Die Rente honoriert die Dauer zwar indirekt, weil viele Beitragsjahre überhaupt erst viele Entgeltpunkte ermöglichen. Sie belohnt aber nicht die Dauer an sich, sondern das Verhältnis von Beitragshöhe und Beitragszeit.
Hinzu kommt ein zweiter Effekt: Wer über die Altersgrenze hinaus weiterarbeitet, sammelt zusätzliche Entgeltpunkte. Wer dagegen mit der Rente nach 45 Jahren früher aus dem Erwerbsleben ausscheidet, verzichtet auf diese zusätzlichen Punkte. Abschlagsfrei heißt dann zwar: keine Kürzung wegen eines früheren Rentenbeginns. Es heißt aber nicht: gleiche Rentenhöhe wie nach zwei weiteren Arbeitsjahren.
Brutto ist nicht netto: Was von der Rente tatsächlich ankommt
Die Werte in der Tabelle sind Bruttorenten. In der Auszahlungspraxis gehen davon in vielen Fällen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab. Bei gesetzlich krankenversicherten Rentnerinnen und Rentnern gilt: Der allgemeine Beitragssatz zur Krankenversicherung beträgt 14,6 Prozent; der Beitrag wird zwischen Rentner und Rentenversicherungsträger hälftig geteilt.
Zusätzlich kommt der kassenindividuelle Zusatzbeitrag hinzu, an dem sich der Rentenversicherungsträger ebenfalls zur Hälfte beteiligt. Wie hoch dieser Zusatzbeitrag im konkreten Fall ist, hängt von der gewählten Krankenkasse ab; als Orientierungsgröße wird ein durchschnittlicher Zusatzbeitrag veröffentlicht.
Bei der Pflegeversicherung tragen Rentnerinnen und Rentner den Beitrag grundsätzlich allein. Der Beitragssatz ist zum 1. Januar 2025 angehoben worden; bei Renten wird die Umstellung in der Praxis zeitversetzt umgesetzt, was in einzelnen Monaten zu Sondereffekten führen kann. Für viele Haushalte ist das unterm Strich spürbar, weil Pflegeversicherungsbeiträge vollständig aus der Rente gezahlt werden.
Außerdem kann Einkommensteuer anfallen.
Ob und in welcher Höhe hängt nicht nur von der Rentenhöhe ab, sondern unter anderem vom Jahr des Rentenbeginns, vom individuellen Rentenfreibetrag, vom Grundfreibetrag, von weiteren Einkünften sowie von absetzbaren Ausgaben. Für Neurentner des Jahres 2025 liegt der Besteuerungsanteil bei 83,5 Prozent. Das bedeutet nicht, dass 83,5 Prozent automatisch „versteuert werden müssen“, sondern dass dieser Anteil als steuerpflichtiger Teil in die Berechnung eingeht; die tatsächliche Steuer hängt von der gesamten persönlichen Situation ab.
Was Versicherte vor dem Rentenantrag prüfen sollten
Wer die Rente nach 45 Jahren anpeilt, sollte frühzeitig zwei Fragen trennen: Erreiche ich die 45-Jahres-Wartezeit tatsächlich, und wie hoch wird meine Rente bei dem geplanten Beginn voraussichtlich sein. Die Wartezeitfrage ist juristisch und kann an wenigen Monaten hängen, etwa wenn Zeiten der Arbeitslosigkeit kurz vor Rentenbeginn in die kritische Zwei-Jahres-Phase fallen. Die Frage der Rentenhöhe ist rechnerisch und hängt an den Entgeltpunkten, also am Verlauf des Arbeitslebens.
In der Praxis lohnt sich häufig ein Blick in die Renteninformation beziehungsweise in das Versicherungskonto. Dort lässt sich erkennen, welche Zeiten bereits gespeichert sind und ob Lücken vorhanden sind. Gerade bei Kindererziehungs- oder Pflegezeiten, bei Zeiten der Ausbildung oder bei Arbeitgeberwechseln kann es vorkommen, dass Angaben fehlen oder noch geklärt werden müssen. Wer erst kurz vor dem gewünschten Rentenstart feststellt, dass Monate fehlen, verliert Gestaltungsspielraum.
Fazit: 45 Jahre öffnen die Tür – die Höhe bestimmen die Entgeltpunkte
Die Rente nach 45 Jahren ist eine wichtige Option für Menschen mit langen Erwerbsbiografien, weil sie einen abschlagsfreien Rentenstart vor der Regelaltersgrenze ermöglichen kann. Für die Rentenhöhe ist diese Zahl aber nur indirekt relevant. Entscheidend ist, wie viele Entgeltpunkte über die Jahre zusammengekommen sind – und damit, wie hoch das beitragspflichtige Einkommen im Verhältnis zum Durchschnitt war. Wer die eigene voraussichtliche Monatsrente realistisch einschätzen will, kommt daher an einer individuellen Kontenklärung und einer konkreten Rentenberechnung nicht vorbei.
Quellen
Deutsche Rentenversicherung: „Rentenanpassung 2025“ (Rentenwert 40,79 Euro seit 1. Juli 2025). Deutsche Rentenversicherung: Broschüre „Die richtige Altersrente für Sie“ (Stand 01.07.2025; Altersgrenzen der Altersrente für besonders langjährig Versicherte), § 236b SGB VI „Altersrente für besonders langjährig Versicherte“ (Anspruchsvoraussetzungen).




