Ökonom: Hartz IV Sanktionen menschenunwürdig

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Ökonom kritisert die Hartz IV Sanktionen als Grundgesetzwidrig
Ein Existenzminimum ist bei Hartz IV nicht gesichert, kritisiert der renommierte Ökonom Philip Kovce gegenüber dem Deutschlandfunk. Denn durch die die Sanktionen und dem damit verbundenen Leistungsentzug seien die Sozialleistungen „Verhandlungssache“. „Wir sollten das Sozialrecht nicht länger als Strafrecht missbrauchen“, fordert daher Kovce.

Wie fortschrittlich und demokratisch eine Gesellschaft wirklich ist, zeigt sich immer im Umgang mit Minderheiten. Während die Bundesrepublik Deutschland in vielen Bereichen gesellschaftlich Fortschritte gemacht hat, geht sie mit Erwerbslosen wie mit Straftätern um. Hartz IV ist ein regelrechtes Bestrafungssystem, in dem die Menschen Angst haben müssen, das Existenzminimum weggekürzt zu bekommen.

Fundamentale Grundrechte werden missachtet
Erwerbslose müssen nahezu jede Beschäftigung annehmen. Es werden vielfach Tätigkeiten zugewiesen, die unbezahlt ist. Das hat nichts mit einer freien Berufswahl zutun, dass im Grundgesetz verankert wurde. Es lasse eher an Zwangsarbeit erinnern. Somit wird Hartz IV zur Verhandlungssache. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte forderte deshalb die Bundesrepublik auf, "die Menschenrechte in die Umsetzung des Armutsbekämpfungsprogramms einzubeziehen".

Doch die Regierenden sehen das völlig anders. Während die UN die Menschenrechte gefährdet sieht, wird Hartz IV als Reform gefeiert. „Anstatt sich in der Arbeitslosenunterstützung einzurichten, habe sich der Einzelne besonders zu engagieren, damit Deutschland auch in Zukunft mit blühenden Industrielandschaften aufwarten könne, so die Devise.“

Liberalisierung, Privatisierung, Flexibilisierung, das sind die kaum aussagenden Schlagwörter, die die Hartz IV „Reform“ beschreiben sollen. Sie wurden zu damaliger Zeit von der Schröder-Regierung geprägt. Und auch heute werden sie von denjenigen begrüßt, die das deutsche „Niedriglohn-Wunder“ bestaunen und Hartz-IV-Bezieher für dumm, faul und versoffen halten.

Wer Hartz IV als eine Lösung betrachtete, um sogenannte „Faulpelze“ das Leben schwer zu machen, mag in Einzelfällen Recht behalten haben. Denn Hartz IV macht es faktisch unmöglich, in Ruhe in Armut zu leben. Hartz IV ist kein Luxus, sondern ein Regelfall für die Menschen, deren Arbeit durch Maschinen überflüssig wurde, so der Ökonom.

Alle wirtschaftlichen Ziele gehen in Richtung Arbeitsbefreiung der Menschen. Daher sollte Erwerbslosigkeit eher als Zeichen der modernen Gesellschaft gewürdigt werden. Eine Gesellschaft, in der es dennoch jede Menge zu tun gäbe. Kovce:„Doch was wirklich zu tun ist, lässt sich nur noch freiwillig und nicht immer entlohnt ergreifen. Weil wir jedoch keine bessere Idee haben, als den Sozialstaat über Lohnnebenkosten zu finanzieren, treiben wir die Freigestellten wieder auf den Arbeitsmarkt – und halten ihnen Arbeitsunwilligkeit als moralisches Defizit vor, wo Arbeitsnachfrage faktisch fehlt und höchstens künstlich erzeugt wird. Kurzum: Wir gefährden Existenzen, die eigentlich gesichert wären. Wir leisten uns Mangel im Überfluss. Diesen Irrsinn hat jetzt auch das Sozialgericht in Gotha erkannt – und das Bundesverfassungsgericht angerufen, die Hartz-IV-Sanktionen zu prüfen.“

Wer fördern und fordern will, der darf gerade nicht strafen
Doch egal wie die Richter entscheiden werden, das Sozialrecht sollte nicht länger als Strafrecht missbraucht werden, fordert der Ökonom. „Wer fördern und fordern will, der darf gerade nicht strafen. Wir haben uns also von den unsäglichen Sanktionen zu verabschieden, die scheinbar Faulenzer bessern sollen, tatsächlich jedoch Freie knechten und Fleißigen drohen, die sich den oftmals unsinnigen Forderungen der Jobcenter widersetzen.“

Es bleibe dabei, dass sich Grundrechte nicht kürzen lassen. Wer unbedingt sanktionieren wolle, muss dabei garantieren, dass die Menschen auch dann noch genug Geld zum leben haben. „Das Ende der Hartz-IV-Sanktionen wäre der Beginn einer sozialliberalen Gesellschaft, das Vorspiel eines steuerfinanzierten bedingungslosen Grundeinkommens und ein wichtiger Schritt, unsere Demokratie lupenreiner zu machen“, sagt Philip Kovce. (sb)

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