In Italien wird der Sozialabbau von den rechten Regierung wie angekündigt umgesetzt. Rund 170.000 Haushalten wurde eine SMS gesendet: Sie erhalten ab nächsten Monat keine Bürgergeld-Leistungen. Weiterer Sozialabbau sei geplant.
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Bürgergeld per SMS abgeschafft
Eine unerwartete Nachricht traf in den letzten Tagen rund 170.000 Haushalte in Italien: Ab dem 1. August wird das Bürgergeld, auch bekannt als “Reddito di cittadinanza”, eingestellt. Die Bürgergeldbeziehern wurden per SMS von der Sozialbehörde INPS über die Kürzung informiert. Besonders in Neapel, der Stadt mit den meisten Bürgergeld-Empfängern, führte diese Mitteilung zu Protesten. Hunderte Menschen stürmten die örtliche Niederlassung der INPS, da viele Betroffene von den Kürzungen überrascht waren.
Die Oppositionspolitiker kritisieren diese Vorgehensweise als “Sozialkahlschlag” und fordern die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni auf, die Kürzungen rückgängig zu machen. Die Partei von Giorgia Meloni, die Fratelli d’Italia, reagierte darauf mit einem Gegenangriff und nannte die Kritik an der “Art und Weise der Mitteilung” lächerlich. Sie warfen der oppositionellen Fünf-Sterne-Bewegung vor, in ihrer Regierungszeit bewusst nicht gegen Sozialmissbrauch vorgegangen zu sein.
Rechte Regierung will Sozialleistungen auf Minimum absenken
Die Regierung Meloni, die seit Oktober 2022 im Amt ist und aus einer Koalition von drei rechten Parteien besteht, hatte von Anfang an die Absicht, Sozialausgaben zu kürzen, um die Bürger stattdessen durch geringere Beiträge und niedrigere Steuern zu entlasten. Diese Maßnahme wird in der Innenpolitik zwischen Regierung und Opposition heftig diskutiert.
Am 1. Mai 2023 beschloss die Regierung eine Reihe von Verschärfungen bei Sozialleistungen, da sie der Meinung ist, dass Leistungen des Staates oft zu Unrecht bezogen werden. Es wird vermutet, dass einige Bürger bewusst falsche Angaben machen, um sich die Leistungen zu erschleichen.
Alleinstehende und Langzeiterwerbslose verlieren Bürgergeld-Anspruch
Ab dem 1. August werden weniger Haushalte als zuvor Bürgergeld erhalten. Vor allem Langzeitarbeitslose sowie alleinstehende Personen oder kinderlose Haushalte gehen leer aus. Die Unterstützungsleistung wird ebenfalls unter einem anderen Namen verschwinden. Bezugsberechtigt sind nunmehr nur noch verheiratete Personen mit Kindern oder Haushalte, in denen ältere Menschen über 65 oder Menschen mit Behinderungen leben. Sie erhalten eine Bonuskarte für ausgewählte Lebensmittel im Wert von 382 Euro.
Proteste in Neapel
Besonders in Neapel, wo am meisten Menschen dieses Bürgergeld beziehen, kam es zu massiven Protesten: Hunderte Betroffene stürmten das Gebäude des Istituto Nazionale della Previdenza Sociale, des zuständigen Sozialversicherungsträgers.
„Eine Sozialbombe“
Die Kürzung war offensichtlich nicht unmittelbar angekündigt und kam für viele Betroffene völlig überraschend. Politiker/innen der Opposition bezeichnen die Streichungen als „Sozialbombe“. Kommunalpolitiker:innen und Bürgermeister forderten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von der Fratelli d‘Italia (Fdl), auf, die Kürzungen zurückzunehmen.
Der Fraktionsvorsitzende der rechtsextremenen FdL bezeichnete die Kritik hingegen als „lächerlich und instrumentalisiert“. Er behauptete, die Fünf-Sterne-Bewegung (jetzt in der Opposition), sie während ihrer Regierung bewusst und aus taktischen Gründen nicht gegen Sozialmissbrauch eingeschritten.
Die Regierung des Ministerpräsidenten Giuseppe Conte, des jetzigen Vorsitzenden der Fünf-Sterne-Bewegung hatte ein Paket an Sozialmaßnahmen beschlossen, die die Nachfolgerbewegung unter Mario Draghi übernommen hatte.
Verschärfte Maßnahmen gegen Sozialleistungen zum Tag der Arbeit
Die im Oktober 2022 an die Regierung gekommene rechtsextreme Koalition unter Führung von Meloni kündigte von Anfang an, Sozialausgaben zu reduzieren. Zum symbolischen Datum des 1. Mai, des Tags der Arbeit, verschärfte die rechtsrextreme Koalition Sozialleistungen mit der Behauptung, Bürger:innen bezögen zu Unrecht Geld.
Die oppositionelle Partito Democratico (PD) hatte bereits im Mai kritisiert, die Regierung dränge Menschen verstärkt in unsichere Arbeitsplätze.
Was bedeuten die derzeitigen Kürzungen?
Die Rechtsextremen wollen ab dem 1. August weit weniger Haushalten Bürgergeld auszahlen als bisher. Betroffen sind besonders Menschen, die lange keine Arbeit haben, Alleinstehende und Kinderlose. Lediglich Verheiratete mit Kindern und Haushalte mit Senior/innen über 65 Jahren sowie solche, in denen Menschen mit Einschränkungen leben, bekommen in Zukunft Unterstützung. Diese besteht dann aus einer Karte für vorgeschriebene Lebensmittel in Höhe von 382 Euro.
Sozialkürzungen bei Kinderlosen und Alleinstehenden
Die Sozialkürzungen bei Alleinstehenden und Kinderlosen stehen in einem Kontext. So erläuterte die Politologin Sofia Ventura in der taz über Meloni: „In ihrem Buch „Io sono Giorgia“ („Ich bin Giorgia“) finden sich Passagen, in denen sie eher für ein mittelalterliches Gesellschaftsmodell plädiert, mit der Familie – nicht dem Individuum – als Grundeinheit, dann kommt das Dorf, kommen die Korporationen, die Berufsstände. Ihr schwebt eine organische Gesellschaft im Sinne eines reaktionären Katholizismus vor.“
Die betroffenen 169.000 Haushalte wurden lediglich darüber informiert, dass ihre Leistungen “ausgesetzt” wurden, und es wurde vage auf eine “mögliche Übernahme durch die Sozialdienste” verwiesen. Für etwa die Hälfte dieser Fälle könnte es eine Möglichkeit geben, wenn sie nach den neuen Kriterien als “arbeitsunfähig” gelten. Genauere Informationen sollen nach der Sommerpause bekannt gegeben werden, bis dahin bleibt das Geld aus.
Die Entscheidung der italienischen Regierung, das Bürgergeld einzuschränken, hat eine heftige Debatte in der Gesellschaft ausgelöst. Während die Regierung betont, dass viele Bürger bewusst Sozialmissbrauch betreiben und sich Leistungen des Staates erschleichen, sind die Gegner der Kürzungen der Meinung, dass dies die ärmsten Bevölkerungsschichten noch weiter in die Armut treiben wird.
Sozialleistungsleistungen von der Vorgängerregierung wieder abgeschafft
Das Bürgergeld in Italien ist seit langem ein heikles Thema. In der Regierungszeit von Ministerpräsident Giuseppe Conte, der jetzt die Fünf-Sterne-Bewegung führt, wurden zahlreiche Sozialmaßnahmen beschlossen, die nunmehr Schritt für Schritt abgeschafft werden. Italien hat zudem im Vergleich zu anderen Industriestaaten eine hohe Armutsrate.
Die Kürzungen des Bürgergeldes und die unklaren Perspektiven für die betroffenen Haushalte haben die italienische Gesellschaft polarisiert. Während die Regierung behauptet, dass die Kürzungen notwendig sind, um Missbrauch zu verhindern und die Wirtschaft anzukurbeln, sind die Kritiker der Ansicht, dass dies eine unsolidarische Maßnahme ist, die die am stärksten Benachteiligten im Land trifft.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.