Mythos Bürgergeld – die “Doppelverdiener”-Familie mit 3 Kindern

Lesedauer 3 Minuten

Zum ersten Januar 2023 soll Hartz IV in ein sog. Bürgergeld umgewandelt werden. Mit Bürgergeld wird sich Arbeit nicht mehr lohnen – diese Meinung wird aktuell von vielen vertreten. Stimmt das? Eine faktenbasierte Rechnung.

Grundlegende Annahmen:

Vater: Arbeitet beim Bauhof (3000€ Brutto)
Mutter: Arbeitet Teilzeit als Verkäuferin (1000€ Brutto)

3 Kinder – Schüler (10, 13, 15)

Wohnkosten:
Kaltmiete: 850€, Nebenkosten: 120€, Heizung: 200€
Sie leben in Hamburg

Methodischer Ansatz zur Klärung

Um zu klären, ob sich Arbeit wirklich nicht mehr lohnt, muss die Haushaltskasse der Familie jeweils mit und ohne Arbeit berechnet werden. Dabei werde ich versuchen, die Berechnungsschritte zu erklären.

1. Bürgergeld ohne Arbeit
2. Bürgergeld mit Arbeit
3. Alternative zum Bürgergeld mit Arbeit: Kinderzuschlag und Wohngeld

1. Bürgergeld ohne Arbeit

Das Bürgergeld wird berechnet, indem von einem Bedarf ein anzurechnendes Einkommen abgezogen wird.
Das Ergebnis ist die Höhe des zustehenden Bürgergelds.

Bedarf

Zunächst die Berechnung des Bedarfs, der mit und ohne Einkommen gleich bleibt.

451€ Regelbedarf Vater
451€ Regelbedarf Mutter
420€ Regelbedarf Kind (15)
348€ Regelbedarf Kind (13)
348€ Regelbedarf Kind (10)
850€ Kaltmiete
120€ Nebenkosten
200€ Heizung
——-
3188€ Bedarf

Einkommen

Vom Einkommen werden je nach Einkommensart verschiedene Freibeträge abgezogen und so das angerechnete Einkommen berechnet.

3x 237€ Kindergeld – keine Freibeträge
———
711€ angerechnetes Einkommen

Leistungsanspruch

Berechnung Leistungsanspruch durch Abzug des angerechneten Einkommens vom Bedarf:

3188€ Bedarf
– 711€ angerechnetes Einkommen
——–
2477€ Bürgergeld

Haushaltskasse

Die Haushaltskasse enthält folglich:
2477€ Bürgergeld
+ 711€ Kindergeld
——–
3188€ Haushaltseinkommen

2. Bürgergeld mit Arbeit

Der Bedarf bleibt gleich wie beim Bürgergeld ohne Arbeit, es verändert sich nur die Einkommenssituation.

Einkommen

Vom Einkommen werden je nach Einkommensart verschiedene Freibeträge abgezogen und so das angerechnete Einkommen berechnet.

Einkommen Kinder:
3x 237€ Kindergeld – keine Freibeträge

Beim Erwerbseinkommen gibt es folgende Freibeträge:
100€ Grundpauschale
20% des Bruttos von 100 bis 520€
30% des Bruttos von 520 bis 1000€
10% des Bruttos von 1000 bis 1200€
10% des Bruttos von 1200 bis 1500€ (nur mit Kind)

Vater:
3000€ Brutto
2282€ Netto (StKl 3)

Freibeträge:
100€ (Grundpauschale)
84€ (20% v. 100-520)
144€ (30% v. 520-1000)
20€ (10% v. 1000-1200)
30€ (10% v. 1200-1500)
——-
378€ Freibetrag

2282€ Netto
– 378€ Feibetrag
——
1904€ angerechnetes Einkommen des Vaters

Mutter:
1000€ Brutto
695€ Netto (StKl 5)

Freibeträge:
100€ (Grundpauschale)
84€ (20% v. 100-520)
144€ (30% v. 520-1000)
——-
328€ Freibetrag

695€ Netto
-328€ Feibetrag
——
367€ angerechnetes Einkommen

Leistungsanspruch

Berechnung Leistungsanspruch durch Abzug des angerechneten Einkommens vom Bedarf:

3188€ Bedarf
– 711€ Kindergeld
-1904€ anger. Einkommen Vater
– 367€ anger. Einkommen Mutter
——–
206€ Bürgergeld

Die Familie hat trotz dessen, dass beide Elternteile arbeiten, ergänzenden Anspruch auf 206€ Bürgergeld.

Haushaltskasse

Die Haushaltskasse enthält folglich:
2282€ Netto Vater
+695€ Netto Mutter
+ 711€ Kindergeld
+206€ Bürgergeld
——–
3894€ Haushaltseinkommen

3. Alternative zum Bürgergeld: Wohngeld und Kinderzuschlag

Wer mit Wohngeld und Kinderzuschlag mehr Leistungen erhält, als mit Bügergeld, ist verpflichtet (und es ist ja auch logisch), diese statt des Bürgergelds in Anspruch zu nehmen.

Kinderzuschlag

Der Kinderzuschlag beträgt ab Januar 2023 maximal 250€ je Kind. Davon wird der den Elternbedarf übersteigende angerechnete Einkommensanteil zu 45% abgezogen.

Elternbedarf

Der Elternbedarf setzt sich aus den Regelbedarfen der Eltern und einem prozentualen Anteil an den Wohnkosten zusammen (siehe Tabelle)
451€ Regelbedarf Vater
451€ Regelbedarf Mutter
725€ (62% von 1170€ Warmmiete)
——
1627€ Elternbedarf

Anrechnung Elterneinkommen

Angerechnetes Einkommen der Eltern (siehe Bürgergeld mit Einkommen):
1904€ anger. Einkommen Vater
+367€ anger. Einkommen Mutter
——-
2271€ anger. Einkommen

Nun wird das den Elternbedarf übersteigende angerechnete Einkommen berechnet:
2271€ anger. Einkommen
-1672€ Elternbedarf
——-
599€ übersteigendes Einkommen

Leistungsanspruch

Das übersteigende Einkommen wird zu 45% vom maximalen Kinderzuschlag abgezogen
750€ maximaler Kinderzuschlag (3×250€)
-270€ (45% von 599€)
——
480€ Kinderzuschlag

Die Familie hat Anspruch auf 480€ Kinderzuschlag, schon nur damit hat sie mehr als mit Bürgergeld.

Wohngeld

Hinzu kommt noch das Wohngeld. Dessen Berechnung ist aber zu komplex, um sie hier darstellen zu können.

Grundlage der Berechnung:
Aktueller Gesetzentwurf zum Wohngeld-Plus-Gesetz

Das Wohngeld beträgt in diesem Fall 518€.

Haushaltskasse

Die Haushaltskasse enthält folglich:
2282€ Netto Vater
+695€ Netto Mutter
+ 711€ Kindergeld
+480€ Kinderzuschlag
+518€ Wohngeld
——–
4686€ Haushaltseinkommen

Diese Summe liegt höher als beim Bürgergeld mit Einkommen (3894€), daher muss die Familie Wohngeld+Kinderzuschlag beantragen.

Vergleich der Situation mit und ohne Arbeit

Da Kinderzuschlag und Wohngeld höher sind als das ergänzende Bürgergeld sind die Berechnungen 1 und 3 zu vergleichen, um zu bewerten ob sich Arbeit trotz Bürgergeld lohnt.

Haushaltseinkommen ohne Arbeit: 3188€/Monat
Haushaltseinkommen mit Arbeit (Wohngeld+KiZ): 4686€/Monat

Differenz: 1498€

Durch die Arbeit beider Elternteile hat die Familie jeden Monat 1498€ mehr zur Verfügung.
Das sind 47% mehr Einkommen als ohne Arbeit.

Außerem haben sie trotzdem vollen Zugriff auf das Bildungs- und Teilhabepaket und die Gebührenbefreiung von den Kinderbetreuungskosten.

Fazit

Zu dem Ergebniss, dass Arbeit sich nicht lohnt, kommt man nur, wenn man Ansprüche auf den Lohn ergänzende Sozialleistungen außer Acht lässt.

ARBEIT LOHNT SICH,
auch mit Bürgergeld!

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