Zum ersten Januar 2023 soll Hartz IV in ein sog. Bürgergeld umgewandelt werden. Mit Bürgergeld wird sich Arbeit nicht mehr lohnen – diese Meinung wird aktuell von vielen vertreten. Stimmt das? Eine faktenbasierte Rechnung.
Inhaltsverzeichnis
Grundlegende Annahmen:
Vater: Arbeitet beim Bauhof (3000€ Brutto)
Mutter: Arbeitet Teilzeit als Verkäuferin (1000€ Brutto)
3 Kinder – Schüler (10, 13, 15)
Wohnkosten:
Kaltmiete: 850€, Nebenkosten: 120€, Heizung: 200€
Sie leben in Hamburg
Methodischer Ansatz zur Klärung
Um zu klären, ob sich Arbeit wirklich nicht mehr lohnt, muss die Haushaltskasse der Familie jeweils mit und ohne Arbeit berechnet werden. Dabei werde ich versuchen, die Berechnungsschritte zu erklären.
1. Bürgergeld ohne Arbeit
2. Bürgergeld mit Arbeit
3. Alternative zum Bürgergeld mit Arbeit: Kinderzuschlag und Wohngeld
1. Bürgergeld ohne Arbeit
Das Bürgergeld wird berechnet, indem von einem Bedarf ein anzurechnendes Einkommen abgezogen wird.
Das Ergebnis ist die Höhe des zustehenden Bürgergelds.
Bedarf
Zunächst die Berechnung des Bedarfs, der mit und ohne Einkommen gleich bleibt.
451€ Regelbedarf Vater
451€ Regelbedarf Mutter
420€ Regelbedarf Kind (15)
348€ Regelbedarf Kind (13)
348€ Regelbedarf Kind (10)
850€ Kaltmiete
120€ Nebenkosten
200€ Heizung
——-
3188€ Bedarf
Einkommen
Vom Einkommen werden je nach Einkommensart verschiedene Freibeträge abgezogen und so das angerechnete Einkommen berechnet.
3x 237€ Kindergeld – keine Freibeträge
———
711€ angerechnetes Einkommen
Leistungsanspruch
Berechnung Leistungsanspruch durch Abzug des angerechneten Einkommens vom Bedarf:
3188€ Bedarf
– 711€ angerechnetes Einkommen
——–
2477€ Bürgergeld
Haushaltskasse
Die Haushaltskasse enthält folglich:
2477€ Bürgergeld
+ 711€ Kindergeld
——–
3188€ Haushaltseinkommen
2. Bürgergeld mit Arbeit
Der Bedarf bleibt gleich wie beim Bürgergeld ohne Arbeit, es verändert sich nur die Einkommenssituation.
Einkommen
Vom Einkommen werden je nach Einkommensart verschiedene Freibeträge abgezogen und so das angerechnete Einkommen berechnet.
Einkommen Kinder:
3x 237€ Kindergeld – keine Freibeträge
Beim Erwerbseinkommen gibt es folgende Freibeträge:
100€ Grundpauschale
20% des Bruttos von 100 bis 520€
30% des Bruttos von 520 bis 1000€
10% des Bruttos von 1000 bis 1200€
10% des Bruttos von 1200 bis 1500€ (nur mit Kind)
Vater:
3000€ Brutto
2282€ Netto (StKl 3)
Freibeträge:
100€ (Grundpauschale)
84€ (20% v. 100-520)
144€ (30% v. 520-1000)
20€ (10% v. 1000-1200)
30€ (10% v. 1200-1500)
——-
378€ Freibetrag
2282€ Netto
– 378€ Feibetrag
——
1904€ angerechnetes Einkommen des Vaters
Mutter:
1000€ Brutto
695€ Netto (StKl 5)
Freibeträge:
100€ (Grundpauschale)
84€ (20% v. 100-520)
144€ (30% v. 520-1000)
——-
328€ Freibetrag
695€ Netto
-328€ Feibetrag
——
367€ angerechnetes Einkommen
Leistungsanspruch
Berechnung Leistungsanspruch durch Abzug des angerechneten Einkommens vom Bedarf:
3188€ Bedarf
– 711€ Kindergeld
-1904€ anger. Einkommen Vater
– 367€ anger. Einkommen Mutter
——–
206€ Bürgergeld
Die Familie hat trotz dessen, dass beide Elternteile arbeiten, ergänzenden Anspruch auf 206€ Bürgergeld.
Haushaltskasse
Die Haushaltskasse enthält folglich:
2282€ Netto Vater
+695€ Netto Mutter
+ 711€ Kindergeld
+206€ Bürgergeld
——–
3894€ Haushaltseinkommen
3. Alternative zum Bürgergeld: Wohngeld und Kinderzuschlag
Wer mit Wohngeld und Kinderzuschlag mehr Leistungen erhält, als mit Bügergeld, ist verpflichtet (und es ist ja auch logisch), diese statt des Bürgergelds in Anspruch zu nehmen.
Kinderzuschlag
Der Kinderzuschlag beträgt ab Januar 2023 maximal 250€ je Kind. Davon wird der den Elternbedarf übersteigende angerechnete Einkommensanteil zu 45% abgezogen.
Elternbedarf
Der Elternbedarf setzt sich aus den Regelbedarfen der Eltern und einem prozentualen Anteil an den Wohnkosten zusammen (siehe Tabelle)
451€ Regelbedarf Vater
451€ Regelbedarf Mutter
725€ (62% von 1170€ Warmmiete)
——
1627€ Elternbedarf
Anrechnung Elterneinkommen
Angerechnetes Einkommen der Eltern (siehe Bürgergeld mit Einkommen):
1904€ anger. Einkommen Vater
+367€ anger. Einkommen Mutter
——-
2271€ anger. Einkommen
Nun wird das den Elternbedarf übersteigende angerechnete Einkommen berechnet:
2271€ anger. Einkommen
-1672€ Elternbedarf
——-
599€ übersteigendes Einkommen
Leistungsanspruch
Das übersteigende Einkommen wird zu 45% vom maximalen Kinderzuschlag abgezogen
750€ maximaler Kinderzuschlag (3×250€)
-270€ (45% von 599€)
——
480€ Kinderzuschlag
Die Familie hat Anspruch auf 480€ Kinderzuschlag, schon nur damit hat sie mehr als mit Bürgergeld.
Wohngeld
Hinzu kommt noch das Wohngeld. Dessen Berechnung ist aber zu komplex, um sie hier darstellen zu können.
Grundlage der Berechnung:
Aktueller Gesetzentwurf zum Wohngeld-Plus-Gesetz
Das Wohngeld beträgt in diesem Fall 518€.
Haushaltskasse
Die Haushaltskasse enthält folglich:
2282€ Netto Vater
+695€ Netto Mutter
+ 711€ Kindergeld
+480€ Kinderzuschlag
+518€ Wohngeld
——–
4686€ Haushaltseinkommen
Diese Summe liegt höher als beim Bürgergeld mit Einkommen (3894€), daher muss die Familie Wohngeld+Kinderzuschlag beantragen.
Vergleich der Situation mit und ohne Arbeit
Da Kinderzuschlag und Wohngeld höher sind als das ergänzende Bürgergeld sind die Berechnungen 1 und 3 zu vergleichen, um zu bewerten ob sich Arbeit trotz Bürgergeld lohnt.
Haushaltseinkommen ohne Arbeit: 3188€/Monat
Haushaltseinkommen mit Arbeit (Wohngeld+KiZ): 4686€/Monat
Differenz: 1498€
Durch die Arbeit beider Elternteile hat die Familie jeden Monat 1498€ mehr zur Verfügung.
Das sind 47% mehr Einkommen als ohne Arbeit.
Außerem haben sie trotzdem vollen Zugriff auf das Bildungs- und Teilhabepaket und die Gebührenbefreiung von den Kinderbetreuungskosten.
Fazit
Zu dem Ergebniss, dass Arbeit sich nicht lohnt, kommt man nur, wenn man Ansprüche auf den Lohn ergänzende Sozialleistungen außer Acht lässt.
ARBEIT LOHNT SICH,
auch mit Bürgergeld!
Meine hier veröffentlichten Artikel findet ihr (ähnlich) auch bei Twitter
Zum Abschluss noch der Link zum Twitter-Thread für Rückfragen, Ergänzungen oder alles was ihr sonst dazu sagen wollt – natürlich auch gerne zum Retweeten: hier
- Über den Autor
- Letzte Beiträge des Autors
Simon alias “Sozi Simon” ist Sozialarbeiter aus Leidenschaft. Kämpfer für mehr Gerechtigkeit und gegen das Verschweigen/Verweigern von staatlicher Unterstützung. Er ist Mitautor des SGB II & SGB XII Leitfadens von A-Z. Simon ist insbesondere bei Twitter für seine Ratgeber-Tweets bekannt und seit 2022 freier Autor bei Gegen-Hartz.de