Arbeitseinkommen in Hartz IV – so hoch ist der Erwerbstätigenfreibetrag

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Es ist eine Frage der Perspektive: Arbeitet jemand in Hartz IV um mehr Geld zur Verfügung zu haben oder bekommt er Unterstützung, weil sein Lohn nicht ausreicht? Egal aus welcher Perspektive man es betrachtet, ob der “Normalzustand” Arbeit oder Leistungsbezug ist, es stellt sich die Frage, was bleibt vom Lohn?

Lohnabstandsgebot

Ein Grundprinzip unseres staatlichen Systems ist “Arbeit soll sich lohnen”, daher bleibt ein Teil des Erwerbseinkommens anrechnungsfrei.

Dieser Teil wird vom Bruttolohn berechnet, so dass hierfür die Steuerklasse keine Rolle spielt und ein Alleinstehender mit Steuerklasse 1 gleich viel behalten darf, wie der verheiratete Elternteil mit Steuerklasse 3.

Erwerbstätigenfreibetrag

Auf das Erwerbseinkommen gibt es folgende Freibeträge:

  • 100€ Grundpauschale
  • 20% des Bruttos von 100 bis 1000€
  • 10% des Bruttos von 1000 bis 1200€
  • 10% des Bruttos von 1200 bis 1500€ (nur mit Kind)

Die sich ergebenden Summen werden addiert und bilden den Freibetrag. Dieser Freibetrag wird vom Netto abgezogen und so ergibt sich das anzurechnende Einkommen. Wenn man nun das anzurechnende Einkommen vom Bedarf abzieht, ergibt sich die Leistung des Jobcenters.

Beispielrechnungen zur Verdeutlichung

Tim (alleinstehend) hat 900€ Bedarf.

1. Tim hat einen 450€-Job

100€ Grundpauschale sind anrechnungsfrei,
70€ (20%  von 350€ – der Bruttosumme, die über 100€ liegt)
➡️Freibetrag 170€

Der Freibetrag wird von seinem Netto(450€) abgezogen
➡️es werden 280€ von seinem Einkommen angerechnet.

Seine Leistung wird ermittelt, in dem sein angerechnetes Einkommen von seinem Bedarf abgezogen wird.

Er bekommt 620€ (900€ Bedarf – 280€ angerechnetes Einkommen) vom Amt zusätzlich zum Lohn und hat nun 1070€ in der Tasche.

2. Tim verdient 900€ Brutto

100€ Grundpauschale sind anrechnungsfrei
160€ (20% von 800€ – der Bruttosumme, die über 100€ liegt)
➡️Freibetrag 260€

Der Freibetrag wird von seinem Netto(720€) abgezogen
➡️es werden 460€ angerechnet.

Er bekommt 440€ (900€ Bedarf – 460€ eingerechnetes Einkomm) vom Jobcenter zusätzlich zum Lohn und hat nun 1160€ in der Tasche.

3. Tim verdient 1200€ Brutto

100€ Grundpauschale sind anrechnungsfrei
180€ (20% von 900€ – der Bruttosumme, die zwischen 100 und 1000€ liegt)
20€ (10% von 200€ – der Bruttosumme, die zwischen 1000 und 1200€ liegt)
➡️Freibetrag 300€

Der Freibetrag(300€) wird von seinem Netto(960€) abgezogen – es werden 660€ angerechnet. Er bekommt 340€ (900€ Bedarf – 660€ angerechnetes Einkommen) vom Amt zusätzlich zum Lohn und hat nun 1200€ in der Tasche.

In diesem  Beispiel wird sichtbar, dass Tim Geld vom Jobcenter bekommt, obwohl er Netto mehr als seinen Bedarf hat.

Leute bei denen dies der Fall ist, ahnen oft nicht, dass ihnen Unterstützung zusteht.

4. Tim verdient 1500€ Brutto

100€ Grundpauschale sind anrechnungsfrei
180€ (20% von 900€ – der Bruttosumme, die zwischen 100 und 1000€ liegt)
20€ (10% von 200€ – der Bruttosumme, die zwischen 1000 und 1200€ liegt)
Darüber gibt es keine Freibeträge, da er kein Kind hat
➡️Freibetrag 300€

Der Freibetrag wird von seinem Netto(1150€) abgezogen
➡️es werden 850€ angerechnet.

Er bekommt 50€ (900€ Bedarf – 850€ angerechnetes Einkommen) vom Jobcenter zusätzlich zum Lohn und hat nun 1200€ in der Tasche.

Diese 1200€ Haushaltseinkommen sind der gleiche Betrag, den er bei 1200€ zur Verfügung hat. Er hat mit 1500€ Brutto nicht mehr Geld zur Verfügung, als mit 1200€ brutto.

Fehlende Freibeträge ab 1200€/1500€ und ihre Auswirkungen

Für Leistungsberechtigte ohne Kind gibt es ab 1200€ keine Freibeträge mehr, mit Kind ab 1500€. Dadurch gibt es keine wirtschaftliche Verbesserung für Arbeitende mehr, obwohl sie mehr verdienen.

So wie es im Beispiel für Tim keinen wirtschaftlichen Unterschied macht, ob er 1200€ oder 1500€ Brutto verdient.

Dies ist ein Verstoß gegen das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit. Ein Systemfehler.

Es macht für Tim durch die fehlenden Freibeträge ab 1200€ nur für die Rente einen Unterschied, wenn er also weiß, dass er ohnehin keine ausreichende Rente erhalten wird, um ohne Grundsicherung leben zu können, fehlt für ihn jeder Anreiz, sein Einkommen über 1200€ zu steigern.

Die geringe Aufstockung von 50€ bei einem Brutto von 1500€  lohnt sich aber für Leistungsberechtigte, denn es folgen aus dem Leistungsbezug diverse Vergünstigungen. Dies sind beispielsweise die Befreiung von der Rundfunkgebühr, die Zuzahlungsbefreiung für die gesamte Bedarfsgemeinschaft bei 53/106€, kommunale Vergünstigungen (Sozialticket),…,

Optimierungsmöglichkeit für Paare und Familien

Da die Freibeträge aufs Einkommen für jede Person einzeln gelten, macht es bei Familien und Paaren mehr Sinn, dass beide Partner arbeiten.

Beispiel Paar:
Wenn ein Partner 2400€ verdient und 300€ Freibetrag hat, hat die Bedarfsgemeinschaft insgesamt 300€ Freibetrag. Wenn aber beide Partner für je 1200€ arbeiten, haben sie jeweils 300€ Freibetrag und kommen so zusammen auf 600€ Freibetrag.

Sie haben also bei gleichem “Gesamtbrutto” der Bedarfsgemeinschaft 300€ mehr im Monat zur Verfügung.

Beispiel Familie:
Wenn Papa 2400€ verdient und 330€ Freibetrag hat, hat die Bedarfsgemeinschaft insgesamt 330€ Freibetrag.

Wenn aber beide Elternteile für je 1200€ arbeiten, haben sie jeweils 300€ Freibetrag und kommen so zusammen auf 600€ Freibetrag.

Sie haben also bei gleichem “Gesamtbrutto” der Eltern 270€ mehr im Monat zur Verfügung.

Wenn Arbeit zu teuer ist – die Absetzbeträge

Ab einem Brutto von über 400€, gibt es die Möglichkeit statt der Grundpauschale von 100€ diverse Absetzbeträge zu nutzen.

Dazu folgt ein Artikel in den nächsten Tagen, den ich dann hier noch verlinken werde.

Rechtsgrundlage

§11b Abs2+3 SGB II

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