Wer über Monate arbeitsunfähig ist, kann Erholungsurlaub meist nicht nehmen. Gleichzeitig entsteht der gesetzliche Mindesturlaub weiter, auch wenn Beschäftigte dauerhaft krankgeschrieben sind. Das führt zu einem verbreiteten Eindruck: Der Urlaub „wächst und wächst“, während das Einkommen nach der Lohnfortzahlung irgendwann vom Krankengeld abhängt. Genau an dieser Stelle taucht eine Frage auf, die Betroffene in der Praxis oft erst kurz vor dem Ende des Krankengeldes stellen: Lässt sich der verbliebene Urlaub so nutzen, dass wieder Krankengeld „möglich wird“?
Von der Lohnfortzahlung zum Krankengeld: Warum oft 72 Wochen im Raum stehen
Im Krankheitsfall zahlt der Arbeitgeber das Entgelt im Regelfall bis zu sechs Wochen weiter. Danach springt die Krankenkasse mit Krankengeld ein. Häufig wird dabei mit zwei Zahlen hantiert: 78 Wochen und 72 Wochen.
Der Hintergrund ist, dass der gesetzliche Zeitraum von 78 Wochen innerhalb einer dreijährigen Blockfrist zwar als Obergrenze gilt, Zeiten mit fortgezahltem Entgelt aber beim Zeitkonto faktisch mitwirken können, weil der Krankengeldanspruch währenddessen ruht. Praktisch kommt es deshalb oft darauf hinaus, dass nach sechs Wochen Lohnfortzahlung regelmäßig höchstens noch rund 72 Wochen Krankengeld ausgezahlt werden.
Die Blockfrist: Drei Jahre laufen ab der ersten Krankschreibung
Für den Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Erkrankung ist die Blockfrist entscheidend. Sie beginnt mit dem Start der Arbeitsunfähigkeit und läuft drei Jahre. Innerhalb dieses Zeitfensters kann Krankengeld wegen derselben Krankheit nur bis zur Höchstdauer beansprucht werden.
Eine zweite, „frische“ Krankengeldphase wegen derselben Erkrankung entsteht nicht einfach dadurch, dass das erste Zeitkontingent aufgebraucht ist. Erst wenn ein neuer Dreijahreszeitraum beginnt, kann überhaupt wieder über einen neuen Anspruch nachgedacht werden.
Aussteuerung: Wenn das Krankengeld endet, rückt das Arbeitslosengeld ins Blickfeld
Läuft der Anspruch aus, sprechen viele von „Aussteuerung“. Für Betroffene ist das nicht nur ein medizinischer Einschnitt, sondern vor allem ein finanzieller. In dieser Lage führt der Weg häufig zur Agentur für Arbeit, auch wenn das Arbeitsverhältnis formal weiter besteht.
Je nach Konstellation kann Arbeitslosengeld gezahlt werden, obwohl die gesundheitliche Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Das Stichwort dafür ist die Nahtlosigkeitsregelung, die den Übergang absichern soll, etwa wenn eine Erwerbsminderungsrente im Raum steht und noch nicht entschieden ist.
Kann Resturlaub wirklich einen neuen Krankengeldanspruch ermöglichen?
Die kurze Antwort lautet: Es kann passieren, ist aber an enge Bedingungen gebunden und kommt eher in besonderen Fällen vor.
Ein neuer Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Erkrankung setzt voraus, dass ein neuer Dreijahreszeitraum begonnen hat.
Zusätzlich verlangt das Gesetz eine Phase von mindestens sechs Monaten, in der Betroffene wegen dieser Krankheit nicht arbeitsunfähig waren. In dieser Zwischenzeit müssen sie außerdem erwerbstätig gewesen sein oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden haben.
Genau hier wird Resturlaub überhaupt erst interessant: Wer nach der Aussteuerung wieder in eine Phase kommt, in der er nicht krankgeschrieben ist und stattdessen bezahlten Urlaub nimmt, erhält in dieser Zeit regulär Arbeitsentgelt.
Damit bleibt das Arbeitsverhältnis aktiv, und sozialversicherungsrechtlich ist das in der Regel eine Phase, die als Erwerbstätigkeit gewertet werden kann. Unter günstigen Umständen kann das helfen, die geforderte Zwischenzeit zu überbrücken, ohne sofort wieder in eine neue Krankheitsphase zu rutschen.
Der Haken: Urlaub und Arbeitsunfähigkeit schließen sich praktisch aus. Wer krankgeschrieben ist, kann keinen „Erholungsurlaub aus der Krankschreibung heraus“ ziehen. Wird man im Urlaub krank, gehen diese Tage nicht als Urlaubstage verloren, sie werden vielmehr wieder gutgeschrieben. Resturlaub kann deshalb nur dann als Brücke dienen, wenn die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich beendet ist und der Urlaub in einer Phase genommen wird, in der man nicht krankgeschrieben ist.
Warum die Nahtlosigkeitsregelung die Rechnung verändern kann
Die Nahtlosigkeitsregelung beim Arbeitslosengeld zielt darauf, eine Versorgungslücke zu vermeiden, wenn jemand gesundheitlich nicht in der Lage ist, dem Arbeitsmarkt wie üblich zur Verfügung zu stehen. Für einen neuen Krankengeldanspruch wegen derselben Erkrankung ist aber genau diese Verfügbarkeit oder eine echte Erwerbstätigkeit Teil der Voraussetzungen in der Zwischenzeit.
Wer Arbeitslosengeld nach der Nahtlosigkeitsregelung bezieht, erfüllt diesen Aspekt nicht automatisch. Damit erklärt sich, warum der „Urlaub als Brücke zurück zum Krankengeld“ in der Praxis eher selten ist: Gerade die Menschen, die nach Aussteuerung weiter erheblich eingeschränkt sind, landen häufig in Konstellationen, in denen die geforderte Zwischenphase schwer zu erreichen ist.
Der unterschätzte Punkt: Urlaub verfällt bei langer Krankheit nicht endlos
Der zweite große Realitätscheck betrifft die Höhe des angesammelten Urlaubs. Zwar entsteht gesetzlicher Mindesturlaub auch während langer Krankheit. Gleichzeitig hat die Rechtsprechung Grenzen gezogen: Bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit verfällt der gesetzliche Mindesturlaub grundsätzlich 15 Monate nach Ende des jeweiligen Urlaubsjahres.
Wer also sehr lange krank ist, hat nicht automatisch einen riesigen Urlaubsberg zur Verfügung. Hinzu kommt, dass für tariflichen oder vertraglichen Mehrurlaub abweichende Regeln gelten können, die im Einzelfall sogar zu einem früheren Verfall führen.
Was Betroffene mitnehmen können
Die Idee, Resturlaub könne das Krankengeld „wieder aufladen“, ist nicht völlig abwegig, aber sie taugt nicht als Standardlösung. Sie setzt voraus, dass die Blockfrist abgelaufen ist, dass eine längere Phase ohne Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit erreicht wurde und dass in dieser Zeit eine Erwerbstätigkeit oder Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung vorlag. Resturlaub kann dabei eine Rolle spielen, weil bezahlter Urlaub eine Phase mit Arbeitsentgelt im bestehenden Arbeitsverhältnis ist.
Gleichzeitig wird der Ansatz oft durch die Wirklichkeit begrenzt: Urlaub lässt sich nicht während einer laufenden Krankschreibung nehmen, Urlaubsansprüche verfallen bei sehr langer Krankheit, und nach Aussteuerung greifen nicht selten Sonderregeln beim Arbeitslosengeld.
Wer betroffen ist, sollte frühzeitig prüfen, wie viel Urlaub tatsächlich noch besteht, ob und wann eine Rückkehr in eine Phase ohne Arbeitsunfähigkeit realistisch ist und welche Leistung gerade beansprucht werden kann. Spätestens vor der Aussteuerung lohnt sich eine belastbare Beratung, weil kleine zeitliche Verschiebungen bei Krankschreibung, Urlaubsnahme und Meldungen an die zuständigen Stellen große Auswirkungen haben können.
Quellen
Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG), § 3 Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.




