Flexibilität wird bestraft: Jobcenter streicht alle Leistungen und unterstellt eine Bedarfsgemeinschaft
Nina C. (Name geändert) versteht die Welt nicht mehr. Weil sie ehrlich ist und gesteht, dass sie pendeln muss und ab und zu bei ihrem Freund übernachtet, streicht das Jobcenter alle Hartz IV-Leistungen. Würde sie nichts unternehmen, hätte sie den ganze Ärger nicht.
Nina ist gelernte Köchin. In ihrem Wohnort in Düren und der Region gibt es aber kaum Arbeitsplätze. Sie hat in der Gastronomie vieles unternommen. Doch nirgens konnte sie richtig Fuss fassen. Um aus der Misere zu entfliehen, entschließt sie sich, sich beruflich neu zu orientieren. In Wuppertal, dort wo auch ihr Freund wohnt, versucht sie einen Neuanfang. Doch das hat massive Folgen.
Am 20. Mai beantragte die 26jährige die Übernahme für die Kosten einer Wohnung in Wuppertal. In einem Nebensatz erwähnt sie, dass sie pendelt und ab und zu auch bei ihrem Freund übernachtet. Das Jobcenter sieht darin jedoch eine handfeste Bedarfsgemeinschaft. Das hat zur Folge, dass ihrem Freund sofort alle Hartz IV-Leistungen gestrichen werden. Denn Nina hat einen Job gefunden und könne ja für ihren Freund aufkommen. Selbst die Wohnung will das Jobcenter nun nicht mehr zahlen.
„Auch wenn wir schon seit zwei Jahren ein Paar sind, war klar, dass wenn Nina nach Wuppertal kommt, wir uns noch Zeit lassen wollen, bis wir mal zusammenziehen. Das haben wir so auch dem Jobcenter sofort mitgeteilt, doch genützt hat es nichts. Jetzt stehe ich buchstäblich mit dem Rücken an der Wand“ beschwert sich der Freund Sascha gegenüber der “Wuppertaler Rundschau”.
Ausbildungssuche und Neuanfang werden bestraft
Für die beiden jungen Menschen ist die Situation mehr als belastend. Nina fühlt sich für die Streichung der Regelleistungen verantwortlich. Sascha weiß nun nicht mehr, wie er ohne Geld weiterkommen kann. Er hat nun Angst seine Wohnung zu verlieren und auf der Straße zu stehen. Wegen seiner bedrückenden Vergangenheit ist er zudem psychisch erkrankt. Eiegntlich wollte Sascha eine Ausbildung anfangen. Aber wie soll das gehen, wenn ihm der Boden unter den Füßen entrissen wird. „Eigentlich wollte ich eine Ausbildung anfangen, aber bei dem Stress jetzt geht das nicht“, klagt er gegenüber der Zeitung.
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Taube Ohren in der Behörde
Beide wendeten sich an eine Beratungsstelle der Diakonie. Ein Sozialarbeiter versucht zu dem Jobcenter Kontakt aufzubauen. Er will der Behörde erklären, dass in diesem Fall keine eheähnliche Gemeinschaft und somit auch keine Bedarfsgemeinschaft vorliegt. Und was antwortet das Jobcenter? Offenbar hält es die Behörde es nicht für nötig, zu antworten, um auf dem “kurzen Dienstweg” einzulenken und den jungen Menschen eine Chance zu geben.
Am 17. Juni versucht es Sascha mit einem Widerspruch. Hier hat er aber keine große Hoffnung. Die Ungewissheit wie es weitergehen könnte, macht ihn wütend. “Es lähmt die Lebensmotivation und bereitet Zukunftsängste”, berichtet Sascha.
Jobcenter lenkt nach Presseanfrage ein
Erst als sich die regionale Presse einschaltet, lenkt das Jobcenter noch am selben Tag ein. Jobcenter-Chef Thomas Lenz gibt an, dass Sascha P. nun umgehend wieder im Leistungsbezug ist. Auch die Gelder, die seit dem vorenthalten wurden, werden rückwirkend mit einer Einmalzahlung beglichen. Wie es dazu kam, dass die Behörde willkürlich eine Bedarfsgemeinschaft unterstellte, dazu sagte Herr Lenz nichts.
Hätte sich die Presse nicht eingeschaltet, stünden die Beiden ohne Perspektive da. Sie müssten den beschwerlichen Klageweg beschreiten, dessen Ausgang ungewiss bliebe. Zudem sind die Sozialgerichte notorisch überlastet, so dass Entscheidungen häufig auf sich warten lassen. Viele Betroffene geben sich dann ihrem Schicksal hin, weil sie glauben, sie können eh nichts daran ändern. Dabei sind fast 50 Prozent der Klagen erfolgreich.
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