Bundesministerin Ursula von der Leyen, Langzeitarbeitslose und das „statistisch geteilte Deutschland
20.10.2011
Am 15. September 2011 berichtete das „Presseteam der Bundesagentur für Arbeit“ unter der Überschrift „Der Sockel bröckelt“: Der Bestand an Langzeitarbeitslosen habe sich in den vergangenen fünf Jahren nahezu halbiert – „auf 886.000 im Juni 2011“. Seitdem kursiert diese Zahl in den Medien: „886.000 Langzeitarbeitslose“. Und auch die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen (CDU), verbreitete diese Zahl in ihrer Rede zum Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt“ am 23. September 2011 im Bundestag – selbstverständlich
abgerundet: „Allein in den letzten fünf Jahren ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen von 1,7 Millionen fast auf die Hälfte gesunken, nämlich auf 880.000.“
Was die für die Fachaufsicht über die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zuständige Ministerin (§ 283 SGB III) dabei vergaß: Bis Juni 2011, dem 78. Monat nach Inkrafttreten des SGB II (Hartz IV) (!), hat die Statistik der Bundesagentur für Arbeit lediglich den Bestand an Langzeitarbeitslosen im Rechtskreis SGB III insgesamt (144.854 im Juni 2011) und den Bestand an Langzeitarbeitslosen im Rechtskreis SGB II ohne die „Optionskommunen“ (741.172) berichtet. Diese 144.854 Langzeitarbeitslosen im Rechtskreis SGB III und 741.172 im Rechtskreis SGB II ohne die „Optionskommunen“ (!) ergeben die
immer wieder genannten, von der Bundesministerin abgerundeten 886.000 (genau: 886.026). Im Monatsbericht Juli 2011 (!) der Bundesagentur für Arbeit (1) hätte die Bundesministerin dazu folgendes lesen können: „Die Zahl der Arbeitslosen, die länger als 12 Monate arbeitslos waren, ist gegenüber dem Vorjahr um 67.000 oder 7 Prozent auf 962.000 gesunken.“ Und in der Fußnote heißt es dazu: „Erstmals in diesem Monat enthalten die Angaben zur Langzeitarbeitslosigkeit auch Daten von zugelassenen kommunalen Trägern. Um unverzerrte Zeitreihenvergleiche zu ermöglichen, werden nur die Langzeitarbeitslosendaten von den zugelassenen kommunalen Trägern berücksichtigt, die innerhalb der letzten zwei Jahre durchgehend plausible Arbeitslosenzahlen übermittelt haben. In der aktuellen Auswertung blieben deshalb 10 zugelassene kommunale Träger … unberücksichtigt.“ (2)
Im Monatsbericht August 2011 der Bundesagentur für Arbeit, veröffentlicht am 31. August 2011, also ebenfalls noch vor der Rede der Bundesministerin im Bundestag, heißt es: „Die Zahl der Personen, die länger als 12 Monate arbeitslos waren, ist im August … auf 960.000 gesunken.“ Und im Monatsbericht September 2011 (29. September 2011) heißt es: „… auf 942.000 gesunken. (3) Wann der Bestand der amtlich registrierten Langzeitarbeitslosen in einem „statistisch nicht mehr geteilten
Deutschland“ auf die von der Bundesministerin genannten 880.000 sinken wird, ist nicht bekannt. (Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ)
1. http://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Monatsbericht-ArbeitsAusbildungsmarkt-Deutschland/Monatsberichte/Generische-Publikationen/Monatsbericht-201107.pdf
2. Seite 13 von 87; Hervorhebung durch Verfasser
3. Die Zahl der noch unberücksichtigt gebliebenen zugelassenen kommunalen Träger wurde hier nicht mehr genannt.
4. Dass die Zahl der registrierten Langzeitarbeitslosen das tatsächliche Ausmaß der Langzeitarbeitslosigkeit nur sehr
unzureichend widerspiegelt, soll an dieser Stelle nur erwähnt werden. (siehe dazu § 18 Abs. 2 und 3 SGB III)
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