Wer es positiv benennen will, kann sagen, das Bürgergeld-Gesetz, dass nach offizieller Lesart Hartz IV ablösen soll, schlägt in einigen Punkten bereits die richtige Richtung ein. Doch um Armutsbetroffenen und Arbeitssuchenden Unterstützung zu bieten sowie die Existenz zu sichern, muss das sog. Bürgergeld-Gesetz weiterentwickelt werden.
Ein paar Reformen auf den Weg gebracht
In den letzten Tagen haben wir aufgezeigt, welche Verbesserungen im Gegensatz zu Hartz IV beim Bürgergeld ab 2023 umgesetzt wurden. Beispielsweise werden Erbschaften nicht mehr als Einkommen angerechnet, Schüler können mehr Geld verdienen, der Regelsatz wurde zumindest leicht angehoben und Azubis werden finanziell besser abgesichert.
Wichtigste Reform: Streichung des Vermittlungsvorrangs im SGB II
Eine weitere Verbesserung ist bei der Anrechung von Erwerbseinkommen zu erwarten und der Vermittlungsvorrang im SGB II wurde zugunsten von Weiterbildungen und Qualifizierungen gestrichen.
Im Ergebnis ist allerdings vieles auf der Strecke geblieben. Weiterhin wird unter das Existenzminimum sanktioniert und die Regelleistungen sind immer noch nicht hoch genug, um Inflation und Armut zu beseitigen.
Der Sozialrechtsexperte Harald Thomé von der Erwerbslosen-Beratungsstelle “Tacheles e.V.” hat daher aufgezeigt, welche Eckpunkte im kommenden Jahr beim Bürgergeld bzw. SGB II fortentwickelt bzw. verbessert werden muss. Ansonsten bleibt auch das Bürgergeld “Armut, Sanktion und Drangsalierung per Gesetz.”
Diese Hausaufgaben müssen noch erledigt werden
Diese “Hausaufgaben” muss die Bundesregierung nach Ansicht Thome´s im kommenden Jahr angehen, damit aus Hartz IV tatsächlich ein Bürgergeld wird.
- höhere Regelleistungen, und zwar 724 EUR
- Herausnahme der Haushaltsenergie aus den Regelleistungen, Einfügung in die KdU. Als Zwischenlösung: höhere Stromkosten als im Regelsatz vorgesehen als „unabweisbarer Bedarf“ nach § 21 Abs. 6 SGB II/§ 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII
- Aufgabe der Kürzungen in § 22 Abs. 1 SGB II/ § 35 Abs. 2 SGB XII, die zur sog. Wohnkostenlücke führen
- gesetzliche Konkretisierung eines Anspruches auf einmalige Bedarfe wie Brillen, Elektrogeräte, Pässe (entsprechend Beschluss des BVerfG von 2014)
- Aufrechnungsmoratorium in Zeiten der Krise und Inflation muss das Existenzminimum auch Existenzminimum bleiben. Deshalb sollte für mind. zwei Jahre jedwede Aufrechnung/Leistungskürzung ausgesetzt werden
- Modifikation des Ersatzsanktionsrechts (faktische Sanktionen bis 100 %) bei fehlender Mitwirkung nach § 60 ff SGB I und der vorläufigen Zahlungseinstellung (nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II iVm § 331 SGB III)
- Einführung eines „Alten“regelsatzes von zusätzlich 20 % ab 60 Jahren im SGB II/SGB XII/AsylbLG um pauschal altenbedingte Bedarfe abzudecken.
- Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, stattdessen Existenzsicherung im SGB II/SGB XII
- Abschaffung der Leistungsausschlüsse für EU-Bürger*innen
- Aufgabe der Diskriminierung und Schlechterstellung der Menschen im SGB XII (das ist ein ganz großes Thema, Alte, Kranke und Behinderte werden im SGB XII vielfach schlechter gestellt, als im SGB II. Diese Diskriminierung muss aufhören, hier ist dringender Reformbedarf)
- Einfügung von klar benannten Behindertenbedarfen im SGB II/SGB XII, die Diskriminierung behinderter Menschen muss beendet werden
- Aufgabe der Sanktionen / und Neubürgergelddeutsch: Leistungsminderungen in § 31 SGB II
- Modifikation der „wiederholten Antragstellung“ in § 28 SGB X. Werden andere Sozialleistungen in Erstattung gebracht, muss stattdessen rückwirkend ein höherer SGB II/SGB XII-Leistungsanspruch bestehen
Die Debatte wird fortgesetzt
Die Blockadehaltung der Union und die geringe Nachhaltigkeit der Bundesregierung bei der Umsetzung hat allerdings gezeigt, dass ein wirkliches Bürgergeld nicht folgen wird.
Daher sind auch weiterhin die Sozialgerichte und auch das Bundesverfassungsgericht gefordert, den Gesetzgeber dazu zu verpflichten, Ungerechtigkeiten und Armut zu unterbinden. Die kritische Debatte um das Bürgergeld wird demnach auch im nächsten Jahr fortgesetzt.
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