Bürgergeld: Muss man zur ärztlichen Untersuchung vom Jobcenter?

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Die Aufforderung zu einer psychologischen oder medizinischen Untersuchung versetzt viele Leistungsberechtigte im Bürgergeld in Alarmbereitschaft. Hinter dem nüchternen Verweis auf § 62 SGB I steht eine klare Botschaft: Wer an der Aufklärung relevanter Gesundheitsfragen nicht mitwirkt, riskiert nach § 66 SGB I eine teilweise oder vollständige Einstellung der Leistungen.

Dennoch gilt – selbst in dieser Pflichtsituation bleiben Grundrechte, Datenschutz und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit voll erhalten.

Mitwirkungspflicht und ihre Grenzen

§ 62 SGB I verpflichtet Leistungsberechtigte, sich untersuchen zu lassen, wenn dies „zur Feststellung von Tatsachen erforderlich“ ist.

Zulässig ist die Untersuchung jedoch nur, wenn der auftraggebende Leistungsträger auch für die Entscheidung zuständig ist und das Ziel der Untersuchung konkret benennen kann. Fachkommentare betonen, dass bloße Mutmaßungen keine rechtliche Basis bieten.

Kommt die betroffene Person einer ordnungsgemäß begründeten Einladung nicht nach, darf das Jobcenter erst nach schriftlicher Fristsetzung und Belehrung über Konsequenzen Leistungen versagen oder entziehen.

Das Jobcenter trägt die Darlegungs- und Beweislast, dass die Mitwirkung erforderlich und zumutbar ist.

Was der Ärztliche Dienst der BA prüft

Der Ärztliche Dienst der Bundesagentur für Arbeit – auf den auch kommunale Jobcenter zugreifen – erstellt keine Diagnosen für die Akte der Vermittlungsfachkraft.

Er liefert eine rein sozialmedizinische Stellungnahme, in der nur festgehalten wird, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen die erwerbsfähige Person dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen kann. Diagnosen bleiben der Schweigepflicht unterworfen und werden der Fallmanagerin nicht offenbart.

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Eigene Atteste als Alternative zur Untersuchung

Der Gesetzgeber will eine angemessene Ermittlungsökonomie. Wer bereits aktuelle, aussagekräftige Fachgutachten oder Atteste vorlegt, kann damit in vielen Fällen den Untersuchungszweck erfüllen, ohne sich einer zusätzlichen Begutachtung aussetzen zu müssen.

Utz Anhalt, Sozialrechtsexperte bei Gegen-Hartz.de rät, Unterlagen zunächst nur zur Einsicht vorzulegen, um unkontrollierte Kopien sensibler Daten zu verhindern.

Ein Versand per Post an den Ärztlichen Dienst ist ebenfalls möglich; wird der Sachverhalt dadurch geklärt, kann der persönliche Termin entfallen.

Die Entscheidung liegt jedoch beim Dienst; ein Rechtsanspruch auf Entbindung von der Untersuchung besteht nur, wenn nachweislich keinerlei zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten sind.

Anspruch auf eine schlüssige Begründung

Ist die Einladung knapp oder lückenhaft, dürfen Betroffene schriftlich nachhaken.

Die Behörde muss darlegen, welche Fragen der Untersuchung zugrunde liegen, welche Untersuchungsmethoden vorgesehen sind und warum vorhandene Unterlagen angeblich nicht ausreichen. Solange diese Begründung fehlt, gilt die Mitwirkungspflicht als vorläufig suspendiert, weil eine unklare Rechtslage niemandem zugemutet werden kann.

Körperliche und seelische Zumutbarkeit

Untersuchungen, die gesundheitliche Risiken bergen oder mit erheblichen Schmerzen verbunden sind, können abgelehnt werden.

Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten findet seine Grenze erst dort, wo der Gesetzgeber zur Gefahrenabwehr ausdrücklich eine Pflichtuntersuchung vorsieht – etwa bei meldepflichtigen Infektionskrankheiten. Für normale sozialmedizinische Begutachtungen gilt der Vorrang schonender Verfahren.

Patientenverfügung: Hebel oder Illusion?

Nach Ansicht der Initiative „PatVerfü“ lässt sich mit einer speziellen Psychiatrie-Patientenverfügung jede Form von diagnostischer Untersuchung im Voraus untersagen.

Fachverbände wie die DGPPN halten dagegen: Eine Patientenverfügung kann Behandlungen ablehnen, nicht jedoch eine reine Diagnosestellung, wenn diese zur Klärung sozialrechtlicher Ansprüche erforderlich ist.

Im Extremfall führt eine Ablehnung zu  Bürgergeld-Leistungskürzungen, weil der Sachverhalt mangels Befund nicht klärbar ist.

Beistand als soziale Rückendeckung

Niemand muss allein erscheinen. § 13 Abs. 4 SGB X erlaubt es, zu jedem behördlichen Termin – auch zur ärztlichen Begutachtung – eine Vertrauensperson mitzubringen.

Der Beistand benötigt keine Vollmacht und darf Gespräche verfolgen, Fragen stellen oder schlicht als Zeuge fungieren. Für viele Betroffene ist das die wirksamste Maßnahme gegen Verunsicherung.

Wer begutachtet eigentlich wofür?

Beim Jobcenter prüft der Ärztliche Dienst der Arbeitsagentur die allgemeine Erwerbsfähigkeit im Rahmen des Bürgergelds. Der Medizinische Dienst (früher MDK) arbeitet im Auftrag der Krankenkassen und beurteilt zum Beispiel Arbeitsunfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit.

Die Deutsche Rentenversicherung beauftragt eigene Gutachter, wenn es um Erwerbsminderungsrenten oder Rehabilitationsleistungen geht.

Gemeinsam ist allen Diensten, dass sie unabhängig Gutachten erstellen, aber unterschiedlichen Rechtsvorschriften unterliegen und jeweils eigene Entscheidungsträger beraten.

Einsichts- und Korrekturrechte

Nach Abschluss erstellt der Ärztliche Dienst meist drei Dokumente: ein freies Gutachten für den Leistungsberechtigten sowie die Teile A und B für die Verwaltung. Gemäß § 83 SGB X haben Betroffene das Recht, sämtliche gespeicherten Sozialdaten einzusehen und fehlerhafte Angaben berichtigen zu lassen.

Erst ein vollständiger Blick in alle drei Teile eröffnet die Möglichkeit, inhaltliche oder handwerkliche Mängel fundiert anzugreifen.

Ausblick

Die Pflicht zur Mitwirkung ist weder Frei­brief für ungebremste Datenerhebung noch Einladung zum passiven Widerstand.

Wer seine Rechte kennt, eigene Unterlagen sammelt, eine sorgfältige Begründung verlangt und gegebenenfalls einen Beistand mitnimmt, bewahrt Augenhöhe – ohne den gesetzlichen Rahmen zu verlassen.