Ein Fall aus der Beratung sorgt derzeit für Verunsicherung: Eine Bürgergeld-Bezieherin erhält zunächst eine Einladung vom Jobcenter zu einer vermeintlichen „Karriereveranstaltung“, erscheint dort pflichtgemäß – und findet sich wenige Tage später mit einer Zehn-Prozent-Sanktionsandrohung konfrontiert, weil sie angeblich nicht teilgenommen habe.
Doch so einfach geht das und Betroffene können dagegen vorgehen, wie der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt erklärt.
Jobmesse oder Jobcenter-Infoveranstaltung?
Die Betroffene hat ein Schreiben eines fachfremden Jobcenter erhalten. Darin wird sie mit ausdrücklicher Rechtsfolgenbelehrung zu einem Termin geladen, dessen Betreff sich vage liest: Man wolle „spannende Callcenter- und Büro-Zeitarbeitsangebote“ präsentieren, verbunden mit dem Slogan „Jetzt Karriere machen“. Begriffe wie „Jobmesse“ oder „Bewerbertag“ fehlen. Rechtlich ist das aber wichtig.
Nach ständiger Rechtsprechung dürfen Jobcenter zu rein privaten Jobmessen nicht verpflichtend vorladen, weil dort – anders als bei einer offiziellen „Infoveranstaltung“ der Behörde – weder Vermittlungsvorschläge noch konkrete Leistungsangebote im Sinne des § 15 SGB II ausgesprochen werden.
Geladen werden kann nur, wenn die Veranstaltung behördlich verantwortet, also organisatorisch und inhaltlich von Jobcenter- oder Arbeitsagentur-Mitarbeitenden getragen wird. Andernfalls fehlt es an einem zulässigen „Meldezweck“ im Sinne des § 59 SGB II.
“Schon dieser Punkt lässt Zweifel aufkommen, ob das Einladungsschreiben formal korrekt war. Die weit verbreitete Praxis der Jobcenter, Recruiting-Events als behördliche Termine zu tarnen, ist rechtlich meher als fraglich”, so der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt.
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Teilnahme ohne Beleg – und plötzlich will das Jobcenter sanktionieren
Die Betroffene erscheint am angegebenen Tag. Sie schildert, dass es weder Anwesenheitsliste noch Empfangsstempel gab und dass die anwesenden Zeitarbeitsfirmen kein akutes Interesse an ihrem Profil zeigten.
Wenige Tage später liegt trotzdem Post ihres „eigentlichen“ Jobcenters im Briefkasten: eine Folgeeinladung mit Anhörung nach § 24 SGB X und der Androhung einer zehnprozentigen Kürzung nach § 31a SGB II, weil sie dem vorherigen Termin angeblich ferngeblieben sei.
Bemerkenswert ist, dass die neue Einladung nicht etwa den ursprünglichen Termin thematisiert, sondern „über die aktuelle berufliche Situation“ sprechen will. In der Logik der Verwaltung ist es jedoch nur eine Folgeeinladung, wenn sie sich auf genau denselben Meldezweck bezieht wie der Ersttermin. Wird ein anderer Sachverhalt angesetzt, fehlt die Grundlage für die Sanktionsdrohung.
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Rechtliche Stolperfallen: Anhörung, Nachweispflicht und Beweisprobleme
Die Anhörung ist ein vorgeschriebenes Prozedere der Behörden für ein Sanktionsverfahren. Grundsätzlich trifft das Jobcenter die Pflicht, den Zugang des ursprünglichen Schreibens nachzuweisen. Lagen Einladung und Rechtsfolgenbelehrung nur in einem Standardbrief ohne förmliche Zustellung, steht das Amt im Zweifel in der Beweispflicht.
Zugleich bestimmt § 31a Abs. 2 SGB II, dass eine Anhörung auf Wunsch der leistungsberechtigten Person persönlich stattfinden soll. Verlangt die Behörde eine persönliche Vorsprache ohne ausdrückliches Verlangen der Kundin, bewegt sie sich außerhalb der gesetzlichen Vorgabe.
Kommt noch hinzu, dass bei der Veranstaltung keinerlei Anwesenheitsnachweis geführt wurde, entsteht ein Beweisdilemma: Die Betroffene kann ihre Anwesenheit kaum belegen; das Jobcenter kann ihr Fernbleiben ebenso wenig gerichtsfest beweisen. “Diese Lücke öffnet Raum für Willkür oder schlichtes Büroversehen – im schlimmsten Fall aber auch für systematische Fehlzuweisungen”, kritisiert Anhalt.
So kann man dagegen vorgehen
Dr. Utz Anhalt empfiehlt in vergleichbaren Fällen “eine schriftliche Stellungnahme vor Ablauf der Anhörungsfrist”. Möglich sei etwa, den Zugang der ersten Einladung zu bestreiten – gerade wenn sie nicht als förmliche Zustellung erfolgte. “Da die Behörde im Zweifel nicht darlegen kann, wann der Brief tatsächlich zuging, wird ein Sanktionsbescheid vor Gericht regelmäßig kassiert.”
Alternativ kann man wahrheitsgemäß darlegen, dass man am Termin teilnahm, das Fehlen einer Anwesenheitsliste beklagen und das Jobcenter auffordern, seinerseits einen ordnungsgemäßen Nachweis für das angebliche Fernbleiben zu erbringen.
“In manchen Fällen lässt sich die Situation durch Vorlage von Zeuginnen- oder Zeugenangaben entschärfen; häufig fehlen solche Belege jedoch”, so Anhalt.
Ein dritter – aufwendigerer – Weg wäre, die Zulässigkeit der ursprünglichen Einladung grundsätzlich in Frage zu stellen: War die Veranstaltung in Wirklichkeit eine Jobmesse, wäre die gesamte Sanktionsgrundlage nichtig.
Wer diesen Weg gehen will, argumentiert mit den einschlägigen Urteilen und kann parallel eine Fachaufsichtsbeschwerde an die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit richten oder sogar eine Feststellungsklage beim Sozialgericht anstrengen.
Welche Strategie erfolgversprechend ist, hängt vom Einzelfall ab. Viele Betroffene wählen zunächst den pragmatischen Weg des fehlenden Einladungseingangs, weil er erfahrungsgemäß schnell und ohne großen Begründungsaufwand zur Einstampfung der Sanktion führt.
Fazit
Über formale Sanktionsdrohungen Druck aufzubauen, ist im Bürgergeld-System angelegt. Denn selbst wenn ein Teil der Bescheide später einkassiert wird, schreckt die bloße Androhung möglicher Kürzungen viele Menschen davon ab, ihre Rechte aktiv einzufordern.
Ob hier bereits eine „Sparstrategie“ oder schlicht ein Mangel an personellen Ressourcen und Schulung vorliegt, lässt sich von außen nur schwer beurteilen. Klar ist jedoch, dass jede nicht gerechtfertigte Sanktion das Vertrauen in die Institution nachhaltig beschädigt.
Der hier geschilderte Fall zeigt, wie schnell eine harmlos wirkende Einladung zur ernsten Gefahr für das Existenzminimum werden kann. Aber auch dann sind Bürgergeld-Bezieher nicht machtlos, wenn sie wissen, wie man sich dagegen wehren kann.