EuGH: Abfindung muss nach Vollzeitlohn berechnet werden
Wenn Eltern während der Elternzeit ihre Arbeitszeit reduzieren, dürfen sie im Fall von Massenentlassungen nicht benachteiligt werden. Ihre Abfindung muss dann nach der ursprünglichen Vollzeitbeschäftigung berechnet werden, urteilte am Mittwoch, 8. Mai 2019, der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zu einem Streit in Frankreich (Az.: C-486/18).
Die Klägerin war als Vertriebsassistentin bei Praxair MRC, einem Unternehmen für Dampfbeschichtungen, zunächst in Vollzeit unbefristet angestellt. Sie nahm nach der Geburt ihres ersten Kindes Mutterschaftsurlaub und ging für zwei Jahre in den französischen „Erziehungsurlaub”. Danach bekam sie ein weiteres Kind, hatte erneut Mutterschaftsurlaub und setzte dann im „Erziehungsurlaub” ihre Tätigkeit mit 80 Prozent der vollen Arbeitszeit fort.
Dieser „Erziehungsurlaub” sollte Ende Januar 2011 enden. Kurz vorher kam es bei Praxair MRC jedoch zu Massenentlassungen aus wirtschaftlichen Gründen. Am 6. Dezember 2010 wurde auch der Vertriebsassistentin gekündigt. Entsprechend den französischen Vorschriften wurden ihre Entlassungsabfindung und weitere Leistungen auf der Basis ihrer letzten Tätigkeit mit reduzierter Arbeitszeit berechnet.
Damit war die Vertriebsassistentin nicht einverstanden und klagte. Der als oberstes Gericht in Frankreich zuständige Kassationsgerichtshof legte den Streit dem EuGH vor.
Der urteilte nun, dass die französischen Regelungen mit EU-Recht, konkret der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub aus dem Jahr 1995, nicht vereinbar sind. Die Vereinbarung solle es Müttern und Vätern erleichtern, „ihren beruflichen und familiären Verpflichtungen gleichermaßen nachzukommen”.
Eine Entschädigung für die Entlassung während des Elternurlaubs müsse daher auch bei reduzierter Arbeitszeit nach der ursprünglichen Vollzeittätigkeit berechnet werden. Eine Kürzung „könnte den Arbeitnehmer nämlich davon abhalten, Elternurlaub zu nehmen, und den Arbeitgeber dazu anhalten, bevorzugt diejenigen Arbeitnehmer zu entlassen, die sich im Elternurlaub befinden”, argumentierten die Luxemburger Richter. „Das liefe unmittelbar dem Zweck der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub zuwider”.
Zudem rügte der EuGH eine indirekte Frauendiskriminierung, weil in Frankreich 96 Prozent der Arbeitnehmer, die Elternurlaub nehmen, Frauen sind.
Mittelbare Frauendiskriminierung vermutete der EuGH auch in einem weiteren Urteil zu einer Regelung in Spanien, wonach Einkünfte aus einer Tätigkeit unter zwei Dritteln einer vollen Stelle mit einem geringeren Faktor in die Rentenberechnung eingehen. Hier sollen die spanischen Gerichte prüfen, ob dies überwiegend Frauen trifft; wenn ja, verstoße auch diese spanische Regelung gegen die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie aus 1978 (Az.: C-161/18). mwo/fle
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