Schwerbehinderung: Behörde darf Merkzeichen H nicht ohne ausreichenden Nachweis entziehen

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Auch Behörden müssen sich an klare Regelungen halten und können bestehende Nachweise nicht ohne fundierte Beweisführung entziehen. Das Sozialgericht entschied zugunsten des Klägers, der die Entziehung des Merkzeichens H nach einer Aberkennung angefochten hatte.
Aktenzeichen (S 12 SB 642/16)

Gesundheitliche Einschränkungen und bestehender GdB

Der Kläger verfügte über einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 aufgrund einer Entwicklungs- und Verhaltensstörung sowie eines Herzfehlers und einer Herzklappenerkrankung. Gleichzeitig war ihm das Merkzeichen H zuerkannt worden. Im Zuge einer turnusmäßigen Nachprüfung, als der Kläger sein 18. Lebensjahr erreichte, nahm der beklagte Kreis eine Neubewertung vor.

Die Behörde bewertete den Gesamt-GdB mit 70, wobei einzelne Krankheitsbilder wie eine Entwicklungsstörung, Asthma bronchiale und eine Hüftdysplasie gesondert erfasst wurden. Gleichzeitig stellte der ärztliche Dienst fest, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H nun nicht mehr gegeben seien.

Das Merkzeichen H, welches auf besondere Hilfebedürftigkeit hinweist, wurde daher entzogen.

Behördliche Entscheidungsfindung und Widerspruch

Nachdem der Beklagte den Kläger über die beabsichtigte Entziehung des Merkzeichens H informiert hatte, nahm dieser Stellung und betonte, dass keine Verbesserung seines Gesundheitszustandes eingetreten sei. Er verwies auf seinen weiterhin bestehenden, dauerhaften Bedarf an fremder Hilfe.

Zusätzlich legte er einen weiteren Bericht des Autismus-Therapie-Zentrums B. vor. Trotz dieser Stellungnahme entschied der ärztliche Dienst, dass das Merkzeichen H nicht weiter bewilligt werden könne, da der Grundpflegebedarf lediglich 66 Minuten pro Tag betrage und die Intelligenzminderung des Klägers als leicht einzustufen sei.

Es wurde der neue GdB mit 70 sowie die Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B festgestellt, während das Merkzeichen H entzogen wurde. Der Widerspruch des Klägers gegen diese Entscheidung wurde von der Bezirksregierung als unbegründet abgelehnt. Daraufhin erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht.

Gerichtliche Prüfung der Aufhebungsentscheidung

Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens wurden zahlreiche Befundberichte von behandelnden Ärzten eingeholt. Das Gericht beauftragte zudem ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten durch eine Sachverständige, welche den Kläger ausführlich untersuchte.

Der Beklagte nahm hierzu sozialmedizinisch Stellung. Im Verlauf des Verfahrens wurde deutlich, dass der Beklagte nicht hinreichend nachweisen konnte, dass sich die gesundheitlichen Voraussetzungen des Klägers so verändert hätten, dass das Merkzeichen H gerechtfertigt entzogen werden könnte.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung von Merkzeichen

Eine mögliche rechtliche Grundlage für die Aufhebung des Merkzeichens H ist § 48 SGB X, der die Änderung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung regelt. Danach kann ein Verwaltungsakt nur dann aufgehoben werden, wenn sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben.

Dies bedeutet, dass eine wesentliche Verbesserung des Gesundheitszustandes oder eine ähnliche wesentliche Änderung notwendig sind, um ein bestehendes Merkzeichen zu entziehen.

Das Gericht stellte fest, dass solche wesentlichen Veränderungen im Fall des Klägers nicht hinreichend belegt waren. Zwar hatte der Kläger sein 18. Lebensjahr erreicht, was grundsätzlich die Prüfung der Voraussetzungen für das Merkzeichen H erforderlich macht, doch konnte keine relevante Verbesserung seines Gesundheitszustandes nachgewiesen werden.

Fehlende Nachweise seitens der Behörde

Das Gericht betonte, dass der Beklagte die Beweislast trägt, um nachzuweisen, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H nicht mehr vorliegen. Dieser Nachweis konnte im Verfahren nicht erbracht werden.

Der Kläger litt weiterhin unter verschiedenen gesundheitlichen Einschränkungen, darunter leichte Intelligenzminderung mit Verhaltensstörungen, frühkindlicher Autismus, Herzfehler und Asthma bronchiale.

Die Sachverständige kam nach eingehender Untersuchung zu dem Schluss, dass der Kläger einen erheblichen Hilfebedarf von etwa zwei Stunden täglich habe. Dieser Hilfebedarf sei erheblich genug, um das Merkzeichen H zu rechtfertigen.

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Anforderungen an die Feststellung der Hilflosigkeit

Das Merkzeichen H wird gemäß § 33b EStG Personen zuerkannt, die aufgrund von Gesundheitsstörungen dauerhaft auf fremde Hilfe für regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen des täglichen Lebens angewiesen sind. Dazu gehören beispielsweise An- und Auskleiden, Körperpflege, Nahrungsaufnahme und das Verrichten der Notdurft.

Die Hilfsbedürftigkeit muss einen erheblichen Umfang erreichen, was in der Regel bei einem täglichen Hilfebedarf von mindestens zwei Stunden der Fall ist. Im vorliegenden Fall stellte die Gutachterin fest, dass der Kläger in vielen Bereichen des täglichen Lebens Hilfe benötigt und eine erhebliche Einschränkung seiner Alltagskompetenz vorliegt.

Das Gericht folgte dieser Einschätzung und entschied, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens H weiterhin gegeben sind.

Formale Fehler der Behörde bei der Aufhebung

Das Gericht hob hervor, dass die Entscheidung der Behörde, das Merkzeichen H zu entziehen, auf formalen Fehlern beruhte. Insbesondere wurde der Gesundheitszustand des Klägers nicht ausreichend untersucht, bevor die Entscheidung getroffen wurde.

Eine persönliche Untersuchung des Klägers durch den ärztlichen Dienst des Beklagten fand nicht statt. Stattdessen stützte sich die Behörde auf Pflegegutachten und ärztliche Stellungnahmen, die jedoch keine vollumfängliche Einschätzung des individuellen Hilfebedarfs des Klägers erlaubten.

Das Gericht wies darauf hin, dass die Beurteilung des Hilfebedarfs nicht allein auf Pflegegutachten basieren darf, sondern eine individuelle und umfassende Begutachtung erforderlich ist.

Unzureichende Berücksichtigung des individuellen Bedarfs

Das Gericht kritisierte auch die unzureichende Berücksichtigung des individuellen Hilfebedarfs des Klägers durch die Behörde. Der Kläger leidet an einer erheblichen Diskrepanz zwischen seiner subjektiven Einschätzung seiner Fähigkeiten und der tatsächlichen Leistungsfähigkeit.

Diese Diskrepanz wurde von der Sachverständigen klar herausgearbeitet, und sie wies darauf hin, dass der Kläger in vielen Situationen des Alltags überfordert sei und dauerhafte Anleitung und Überwachung benötige. Der zeitliche Hilfebedarf wurde auf etwa zwei Stunden pro Tag geschätzt, wobei zusätzliche Faktoren, wie die geringe Alltagskompetenz des Klägers, die Bedeutung des Hilfebedarfs weiter erhöhen.

Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen

Das neurologisch-psychiatrische Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen war entscheidend für die gerichtliche Entscheidung. Die Sachverständige untersuchte den Kläger umfassend und dokumentierte den täglichen Hilfebedarf detailliert. Sie kam zu dem Ergebnis, dass der Bedarf an fremder Hilfe erheblich ist und der Kläger in zahlreichen Bereichen des täglichen Lebens auf Unterstützung angewiesen ist.

Das Gericht befand das Gutachten für vollständig und nachvollziehbar und konnte keinen Anlass erkennen, die darin enthaltenen Feststellungen zu bezweifeln. Das Gutachten stellte somit einen wesentlichen Gegenbeweis zu den Annahmen des Beklagten dar.