Bei der Prüfung der Frage, ob die in § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB IX genannten Voraussetzungen vorliegen, ist nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles abzustellen, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein, also altersunabhängig, von Menschen ohne Behinderung, noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometer, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird.
Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen.
Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, etwa bei Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie- oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40.
Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an
Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen.
Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, etwa chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen.
Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, sind bei allen Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70 und bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen.
Bei Hörbehinderungen ist die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt.
Bei Menschen mit geistiger Behinderung sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn sie sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können.
Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht.
Nach Aussage des Gerichts liegen bei dem Antragsteller jedoch keine entsprechend ausgeprägten behinderungsbedingten orthopädischen, internistischen oder sonstigen Einschränkungen des Gehvermögens vor. Eine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung ist vielmehr zu verneinen (so aktuell das Landessozialgericht).
Bei ihm bestehen zunächst weder sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS, die für sich einen GdB von wenigstens 50 begründen, noch Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken würden, etwa bei Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie- oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40.
Der Kläger leidet auch nach seinem Vorbringen nicht unter inneren Leiden wie Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades, die mit einem GdB von mindestens 50 zu bewerten wären (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 1/14 R .
Für derartige innere Leiden, die sich auf das Gehvermögen auswirken würden, ist nichts ersichtlich oder damit einhergehend gar ärztlich dokumentiert, so das Gericht.
Auch wird eine Einschränkung des Gehvermögens nicht infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit begründet, denn die im Vordergrund stehende psychische Problematik wirkt sich nicht auf das Gehvermögen, sondern auf seine soziale Interaktion aus.
Bedürfnis des Klägers nach emotionaler Unterstützung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel
Denn das Bedürfnis des Klägers nach emotionaler Unterstützung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel rechtfertigt noch nicht die Annahme einer erheblichen Einschränkung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2024 – L 8 SB 634/23 – ).
Der versorgungsärztliche Dienst weist zu Recht darauf hin, dass die beim Kläger vorliegende Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ sowie die wiederkehrende depressive Störung keinen Einfluss auf die Gehfähigkeit haben.
Denn psychische Störungen können das Vorliegen einer erheblichen Gehbehinderung nicht begründen, wenn sie sich nicht spezifisch auf das Gehvermögen selbst auswirken (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 1/14 R – ).
Gehört der Kläger demnach nicht unter die in den VG Teil D. Nr. 1 a) bis f) genannten Fallgruppen, schließt das die Zuerkennung des Merkzeichens nicht aus, weil es sich nicht um eine abschließende Aufzählung, sondern um Regelbeispiele handelt.
Denn der umfassende Behindertenbegriff im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX gebietet nach der Rechtsprechung des BSG im Lichte des verfassungsrechtlichen als auch des unmittelbar anwendbaren UN-konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots (Art 3 Abs. 3 Satz 2 GG; Art 5 Abs. 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen) die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen.
Anspruch auf Merkzeichen G hat deshalb auch ein schwerbehinderter Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falles aufgrund anderer Erkrankungen als den in den VG Teil D Nr. 1 d) bis f) genannten Regelfällen dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion gleichzustellen ist (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 1/14 R –; BSG, Beschluss vom 22. November 2023 – B 9 SB 18/23 B – ).
Derartige Auswirkungen auf die Gehfunktion bestehen hier jedoch nicht – Gründe
1. Der Kläger anamnestisch über Schmerzen berichtet hatte, welche dazu führten, dass die Gehstrecke von 2 Kilometern nur mit Unterbrechungen zurückgelegt werden könne, kann dies nicht begründen. Der Orthopäde hat das nur als glaubhaft bewertet, aber keine eigene Überprüfung des Gehvermögens vorgenommen, was auch nicht seine Aufgabe als behandelnder Arzt ist.
2. Dass die klägerische Einschätzung nicht zutrifft, wird im Tatsächlichen schon dadurch bestätigt, dass der Kläger für 6 Wochen in der Türkei gewesen und dort spazieren gegangen ist (!).
3. Ebenso spricht dagegen, dass nach Angaben der Kläger bei zufälligen Begegnungen außerhalb der Arzt Praxis immer selbständig zu Fuß unterwegs gewesen ist.
4. Außerdem ist es dem Kläger ohne Weiteres möglich Ärzte aufzusuchen, wohin er mit öffentlichen Verkehrsmitteln, aber auch zu Fuß gelangen muss, was der Senat den verschiedenen Arztberichten von dort entnimmt.
Fazit:
Anspruch auf Merkzeichen G hat auch ein schwerbehinderter Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falles aufgrund anderer Erkrankungen als den in den VG Teil D Nr. 1 d) bis f) genannten Regelfällen dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion gleichzustellen ist (vgl. BSG, Beschluss vom 22. November 2023 – B 9 SB 18/23 B – ). Hier aber verneinend.