Bei einer Flucht ins Frauenhaus muss das Jobcenter doppelte Kosten der Unterkunft bezahlen, wenn diese vorübergehend anfallen. So urteilte das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (L5 AS 725/17).
Die Betroffene lebte mit ihrem Sohn im Raum Halle und bezog Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (heute Bürgergeld). Das Jobcenter zahlte Kosten der Unterkunft in Höhe von 414 Euro.
Flucht vor häuslicher Gewalt in ein Frauenhaus
Die Frau floh mit ihrem Sohn vor der häuslichen Gewalt ihres Partners und Kindsvaters in ein Frauenhaus und kündigte ihre Wohnung mit einer Frist von drei Monaten.
Beim Bürgergeld muss das Jobcenter die Kosten der Unterkunft in einem Frauenhaus bezahlen. Liegt das Frauenhaus außerhalb der Zuständigkeit des bisherigen Jobcenters, dann erstattet dieses dem neu zuständigen Jobcenter die Kosten. Das besagt der Paragraf 36 a des Sozialgesetzbuches II.
Jobcenter verweigert Mietzahlung
Das Jobcenter übernahm die Kosten für die Unterbringung im Frauenhaus, weigerte sich aber, die Miete für die Wohnung bis zur Kündigung weiter zu leisten. Die Betroffene hatte sich vergeblich bemüht, bei ihrem alten Vermieter eine kürzere Kündigungsfrist durchzusetzen.
Die Bedürftige bleibt auf den Kosten sitzen
Nach Abzug einer Gutschrift blieb die bedürftige Frau auf 775 Euro Kosten sitzen und forderte diese ein. Das Jobcenter lehnte es ab, zu zahlen und behauptete, es sei nur in der Pflicht, für die tatsächlich genutzte Wohnung aufzukommen. Die Mietschulden während der Kündigungsfrist fielen hingegen nicht in die Zuständigkeit der Behörde.
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Das Landessozialgericht sieht eine Ausnahme von der Regel
Das Landessozialgericht sah das anders. Es stimmte dem Jobcenter zwar zu, dass die Sozialbehörde grundsätzlich nur die Kosten der Unterkunft trage, die Leistungsberechtigte tatsächlich bewohnen.
Wenn Leistungsbezieher zwei Wohnungen nutzten, dann müsse das Jobcenter nur die Kosten decken, die für die Hauptunterkunft notwendig seien. Es gebe jedoch für bestimmte Zeiten und konkrete Situationen Ausnahmen.
Dieser Fall sei eine solche Ausnahme. Es stünde außer Zweifel, dass der Umzug in das Frauenhaus notwendig war, weil der Vater die Mutter und den Sohn unbestreitbar bedrohte. Außerdem hätte sich die Klägerin bemüht, vorzeitig aus dem Mietvertrag entlassen zu werden.
Die gesetzliche Kündigungsfrist hätte unvermeidliche Folgen verursacht, die der Grundbedarf Wohnen zu decken habe. Das Jobcenter müsste diese Kosten tragen, so entschied das Landessozialgericht.
Besonderer Schutz von Leistungsberechtigten in Frauenhäusern
Sozialgerichte haben bereits mehrfach entschieden, dass Frauen, die Sozialleistungen beziehen und in Frauenhäusern Zuflucht suchen, einen Anspruch auf besondere Unterstützung haben, die sich aus ihrer Notlage ergibt.
So entschied das Sozialgericht München, dass das Jobcenter die Kosten für Unterbringung und Betreuung auch dann zu tragen hat, wenn diese besonders hoch sind. Dies war bei der Betroffenen der Fall, weil die Einrichtung zur entsprechenden Zeit nur gering belegt war. (S 52 AS 538/13)
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen stellte klar, dass Frauen, die vor der Gewalt ihres Partners in ein Frauenhaus fliehen, auch einen Anspruch darauf haben können, dass Jobcenter für psychosoziale Unterstützung aufkommen, um sich in den Arbeitsmarkt wieder einzugliedern. (L 6 AS 1315/15).
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.