Sechs Jahre früher in Rente ohne Abschläge

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Wer möchte nicht früher in Rente gehen? Auf den ersten Blick erscheint es zwar paradox, dass Arbeitslosigkeit dabei helfen kann, die Zeit bis zur Rente zu überbrücken. Tatsächlich kann das Arbeitslosengeld 1 (ALG I) in bestimmten Fällen helfen, weil es oft höher ausfallen kann als die frühzeitige Rente.

Es handelt sich hierbei nicht um einen Trick zur Umgehung sozialer Regeln, sondern um eine Möglichkeit, die sich aus den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches ergibt.

Mit Arbeitslosengeld 1 zur früheren Rente

Das Arbeitslosengeld 1 wird maximal für 24 Monate gewährt, sofern die Antragstellenden bei Beantragung mindestens 58 Jahre alt sind und zuvor mindestens 48 Monate versicherungspflichtig beschäftigt waren oder entsprechende Zeiten vorweisen können.

Als versicherungspflichtige Zeiten gelten nicht nur reguläre Arbeitsjahre, sondern zum Beispiel auch Phasen der Kindererziehung, der freiwilligen Einzahlung in die Rentenkasse sowie Zeiten von Krankengeld oder Wehrdienst. Wichtig ist dabei, dass Bürgergeld (ehemals Arbeitslosengeld 2) andere Bedingungen hat und hier Vermögen und Einkommen angerechnet werden.

ALG I hingegen richtet sich ausschließlich nach dem früheren Gehalt und der Beitragszeit und unterliegt keiner Vermögensprüfung.

Wie wird das Arbeitslosengeld 1 berechnet?

Für die Höhe des Arbeitslosengeldes 1 spielt das durchschnittliche Nettogehalt der letzten zwölf Monate vor Eintritt in die Arbeitslosigkeit eine wesentliche Rolle.

Im Regelfall beträgt das ALG I etwa 60 Prozent des früheren Nettogehalts, während Menschen mit Kindern ungefähr 67 Prozent erhalten.

Besonders in Berufen, in denen kurz vor dem geplanten Rentenbeginn ein relativ hohes Einkommen erzielt wird, kann das ALG I dadurch tatsächlich über dem Betrag liegen, den man als vorgezogene oder sogar reguläre Rente erhalten würde.

Dieser Unterschied wird größer, wenn die tatsächliche Rente (nach Steuern und Sozialabgaben) niedriger ausfällt als erwartet.

Arbeitslosenzeiten sind für die Rente positiv

Ein häufig unterschätztes Detail ist die Anrechnung von Arbeitslosenzeiten auf die Rentenversicherung. Wer ALG I bezieht, sammelt weiter Versicherungsjahre, die für bestimmte Rentenregelungen entscheidend sein können, etwa für die 35 Jahre Wartezeit, die in manchen Fällen einen früheren Rentenbezug ermöglichen, oder für die 45 Jahre, die den abschlagsfreien Eintritt in die Rente erlauben.

In diesem Zusammenhang zahlt die Bundesagentur für Arbeit auf Basis von 80 Prozent des letzten Bruttolohns weiter in die Rentenkasse ein. Dadurch lassen sich Rentenabschläge hinauszögern oder im besten Fall vermeiden.

Allerdings gilt dies ohne Einschränkung nur bis zwei Jahre vor dem eigentlichen Rentenbeginn. Danach werden Zeiten der Arbeitslosigkeit nur dann angerechnet, wenn die Arbeitslosigkeit durch eine Firmeninsolvenz oder eine Unternehmensschließung verursacht wurde.

Wie lässt sich der Rentenabschlag reduzieren oder sogar umgehen?

Bei einer vorgezogenen Rente fällt in vielen Fällen ein Abschlag von 3,6 Prozent pro Jahr an, um das man früher in den Ruhestand geht. Wer regulär beispielsweise mit 67 Jahren in Rente gehen würde, kann je nach Geburtsjahrgang bereits mit 63 Jahren aufhören zu arbeiten, muss dann aber lebenslang entsprechende Abzüge hinnehmen.

Wenn man allerdings zwischenzeitlich ALG I nutzt und erst danach in die Rente wechselt, kann sich der Zeitraum, in dem Abschläge zu zahlen wären, verkürzen.

Zudem bleibt während der Arbeitslosigkeit die Wahl, ob und wann der Rentenantrag tatsächlich gestellt wird. Die Arbeitsagentur darf nicht dazu zwingen, die Rente vorzeitig zu beantragen, solange ein Anspruch auf Arbeitslosengeld 1 besteht.

Ist es wirklich möglich, bis zu sechs Jahre früher in Rente zu gehen?

In der Theorie ergibt sich das Zeitfenster von sechs Jahren durch die Kombination aus den maximal zwei Jahren ALG I und den bis zu vier Jahren, um die man früher in Rente gehen kann.

Wer also plant, sechs Jahre vor dem regulären Rentenalter nicht mehr zu arbeiten, könnte diese Phase mit Arbeitslosigkeit und einer vorgezogenen Rente überbrücken.

Allerdings setzt dies eine sehr gute Planung voraus: Nicht jeder hat Anspruch auf die vollen 24 Monate ALG I, und vorzeitiger Rentenbezug ohne Abschläge ist nur unter bestimmten Voraussetzungen wie den 45 Beitragsjahren möglich.

In vielen Fällen ist außerdem zu berücksichtigen, dass das Einkommen vor Rentenbeginn nicht durch eigene Kündigung (ohne triftigen Grund) enden sollte, weil sonst die Gefahr einer mehrmonatigen ALG-Sperrzeit besteht.

Welche Nachteile gibt es?

Verschiedene Fallstricke können die Gesamtrechnung deutlich verändern. Wer selbst kündigt, muss damit rechnen, für drei Monate keine Leistungen zu erhalten, was eine finanzielle Lücke verursacht und unter Umständen die Bezugsdauer des ALG I verkürzt.

Unklarheiten können sich auch aus dem Bezug einer Abfindung ergeben, wenn ein Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitgeber geschlossen wird. Abfindungen können zwar genutzt werden, um Rentenabschläge durch Sonderzahlungen an die Rentenkasse auszugleichen, doch eine solche Vorgehensweise will gut geplant und steuerlich durchgerechnet sein.

Überdies fällt die spätere Rente insgesamt etwas niedriger aus, wenn man früher aufhört zu arbeiten, da die Beiträge in die Rentenkasse während der regulären Beschäftigung – auf 100 Prozent des Bruttos – wegfallen.

In der Arbeitslosigkeit wird nur auf Grundlage von 80 Prozent des vorigen Bruttolohns weitergezahlt, was die Höhe der späteren Rente weiter reduzieren kann.

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Pflichten beim Arbeitslosengeld

Ein Punkt, der selten bedacht wird, ist die Verpflichtung, im ALG‑I-Bezug bestimmte Pflichten gegenüber dem Jobcenter oder der Agentur für Arbeit zu erfüllen. Terminvereinbarungen oder Meldepflichten schränken die persönliche Freiheit ein und können beispielsweise längere Reisen erschweren.

Im Ruhestand ist man in dieser Hinsicht deutlich unabhängiger. Wer sich bewusst für die Arbeitslosigkeit vor der Rente entscheidet, sollte also berücksichtigen, dass gewisse Erwartungen und Forderungen seitens der Behörde bestehen.

Anhand eines Praxisbeispiels zeigen wir, wie ein solcher Weg in die frühere Rente ohne Verluste aussehen könnte:

Ein Praxisbeispiel für den früheren Renteneintritt

Herr Schneider ist 61 Jahre alt und hat vor, seinen Ruhestand möglichst früh zu beginnen. Er gehört zu dem Geburtsjahrgang, für den das reguläre Rentenalter bei 66 Jahren und sechs Monaten liegt.

Nach gut 40 Arbeitsjahren in einem mittelständischen Unternehmen verdient er zuletzt rund 4000 Euro brutto.

Sein Blick in die Renteninformation der Deutschen Rentenversicherung zeigt ihm, dass er bei einem sofortigen Rentenbeginn mit 63 Jahren und sechs Monaten zwar Rente beziehen könnte, jedoch lebenslange Abschläge von knapp 7,2 Prozent (2 Jahre × 3,6 Prozent) hinnehmen müsste.

Außerdem ist die zu erwartende Rentenhöhe nach Steuern und Sozialabgaben geringer, als er es für seine Lebensplanung braucht.

Da er bereits 40 Beitragsjahre auf dem Konto hat und sich die 45 Jahre in greifbarer Nähe befinden, informiert er sich genauer über die Möglichkeit, vor seinem geplanten Renteneintritt Arbeitslosengeld 1 zu beziehen. Zusammen mit der Personalabteilung seines Unternehmens und einer Beratungsstelle klärt er folgende Punkte:

1. Anspruch auf Arbeitslosengeld 1

Da Herr Schneider 61 Jahre alt ist und in den vergangenen 48 Monaten ununterbrochen sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, könnte er bei einer Kündigung (durch den Arbeitgeber) bis zu 24 Monate Arbeitslosengeld 1 beziehen.

2. Planung des Beschäftigungsendes

Herr Schneider und sein Arbeitgeber beschließen, das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zum 31. Dezember eines Jahres zu beenden. Er ist zu diesem Zeitpunkt 62 Jahre alt und kann sich daher direkt bei der Agentur für Arbeit arbeitslos melden.

3. Höhe des Arbeitslosengeldes 1

Auf Basis des vorherigen Nettoverdienstes von rund 2500 Euro (angenommen, wenn man Steuern und Sozialabgaben vom Brutto abzieht) würde sein Arbeitslosengeld 1 rund 60 Prozent davon betragen, also etwa 1500 Euro monatlich. Ein Blick in seinen Rentenbescheid zeigt dagegen, dass seine zu erwartende Rente (wenn er mit 63 Jahren und sechs Monaten in Rente gehen würde) bei ungefähr 1300 Euro netto liegt.

Vorteile durch den ALG-I-Bezug

Während der Arbeitslosigkeit sammelt Herr Schneider weiterhin Versicherungszeiten in der Rentenversicherung, denn die Agentur für Arbeit zahlt weiterhin Beiträge ein – allerdings auf 80 Prozent der früheren Basis.
Durch die letzten zwei Jahre in einem festen Arbeitsverhältnis (und somit hohem Bruttogehalt) fällt das Arbeitslosengeld 1 relativ hoch aus.

Er kann durch den ALG-I-Bezug den Renteneintritt so hinauszögern, bis er die 45 Beitragsjahre vollmacht und damit abschlagsfrei in Rente gehen kann.

Ende der Arbeitslosigkeit und Beginn der Rente

Nach knapp zwei Jahren Arbeitslosengeldbezug ist Herr Schneider kurz vor seinem 64. Geburtstag. Er hat nun die 45 Beitragsjahre erreicht und kann in die sogenannte “Altersrente für besonders langjährig Versicherte” wechseln. Die Rente bezieht er jetzt ohne Abschläge, was für ihn eine dauerhafte Ersparnis bedeutet.

Nachteile?

Während der Arbeitslosigkeit ist Herr Schneider verpflichtet, sich bei der Agentur für Arbeit zu melden und möglichen Jobangeboten nachzugehen, sofern sie seinen Qualifikationen entsprechen. Dieser Punkt ist in seinem Fall eher theoretisch, da es für seinen Berufszweig kurz vor Rentenbeginn kaum Vermittlungsmaßnahmen gibt.

Da die Beiträge während der Arbeitslosigkeit auf Basis von 80 Prozent seines früheren Bruttoeinkommens gezahlt werden, wäre seine Rente etwas geringer, als wenn er bis zum Renteneintritt weitergearbeitet hätte. Er hat dies aber in seinen Finanzplan einbezogen und mit seinen Ersparnissen abgeglichen.

Insgesamt bewerten Herr Schneider und seine Familie die Entscheidung positiv. Er hat zwei Jahre früher aufgehört zu arbeiten, als ursprünglich geplant, und trotzdem durch die Anrechnung der Arbeitslosigkeit seine 45 Beitragsjahre geschafft.

Nach Ablauf des ALG I war er noch nicht regulär rentenberechtigt, konnte nun aber als besonders langjährig Versicherter abschlagsfrei in den Ruhestand wechseln.