Sklave Dozent – Akademiker im Elend
Hungerlöhne an der Universität, freie Lehraufträge, die vor allem frei von Bezahlung sind und Privatdozenten, die umsonst lehren. Das Elend ist Alltag an deutschen Universitäten. Was Außenstehende meist nicht wissen: Wer einmal Professor werden will kann circa ab 40 Jahren damit rechnen. Vorher muss er sich qualifizieren, also seinen Doktor machen, als Privatdozent habilitieren und jedes Semester Lehrveranstaltungen nachweisen.
Arbeiten ohne Lohn
Das Fiese an der Geschichte: Ohne den Nachweis regelmäßiger Lehrveranstaltungen fällt eine mögliche Habilitation flach. Die Folge ist: Nachwuchswissenschaftler, also hoch qualifizierte Menschen, arbeiten buchstäblich für gar nichts. Ein bezahlter Lehrauftrag ist in den Geisteswissenschaften ein Glücksfall. Die meisten Akademiker, die Lehraufträge geben, arbeiten umsonst.
Dabei lässt sich ein solcher Lehrauftrag, auch wenn er nur 4 Stunden pro Woche umfasst, nicht nebenbei erledigen. Die Betroffenen müssen Prüfungen abnehmen, Hausarbeiten bewerten, die Seminare und Exkursionen vorbereiten. Die Arbeit unterscheidet sich nicht wesentlich, ob ein Dozent einen oder drei Lehraufträge hat. In dieser Zeit können sie kaum anderweitig arbeiten, ohne ihr Thema aus den Augen verlieren.
Angehender Professor Hartz
Die Folge ist. Viele Nachwuchswissenschaftler, die weiter an der Uni arbeiten wollen, beziehen Hartz-IV. Jetzt müssen sie sich zusätzlich zur unbezahlten Arbeit auch noch permanent vor dem Jobcenter rechtfertigen, jeden Monat Bewerbungen schreiben auf Stellen, die für sie nicht in Frage kommen, weil sie dann ihre (unbezahlte) Arbeit nicht mehr erledigen könnten.
Bisweilen geraten sie an einen mitfühlenden Sachbearbeiter, der ihr Problem versteht und vielleicht selbst einen Einblick in das Elend an der Uni hatte. Die Regel sieht aber so aus, dass die Mitarbeiter des Jobcenters ohne eigenen wissenschaftlichen Hintergrund die akademische Tätigkeit als Luxus ansehen.
Armut mit Titel
Selbst Habilitierte haben oft nichts als ihren Titel. Sie können sich zwar Privatdozent nennen, das heißt aber weder Lohn noch Brot. Sie hangeln sich dann von einem begrenzten Projekt zum nächsten. Unentgoltene Tätigkeit macht einen Großteil dieser Projekte aus, sei es die Mitarbeit an einem wissenschaftlichen Sammelband, das Erstellen einer Stadtchronik oder die alltägliche Recherche.
Fällt eine Drittmittel- oder Zwischenfinanzierung aus, dann müssen sie sich arbeitslos melden. Ohne Bezahlung müssen sie aber dennoch unterrichten, weil sie sonst ihren Titel als Privatdozent verlieren.
Hartz IV bis zum Lebensende?
Wer micht kontinuierlich aklademisch arbeitet, wird kein Professor. Wenn überhaupt, bedeutet das mindestens fünf Jahre Arbeit als Privatdozent – das übrigens nach einer mehrjährigen Promotion, die ebenfalls ein Leben am Existenzminimum bedeutete.
Klappt es nicht mit der Professur, heißt es für viele Hochqualifizierte: Weiter Hartz IV bis zum Lebensende. Eine Rente konnten sie nicht ansparen – ohne Einkommen geht das nicht.
Die Initiative Berliner Privatdozenten setzt sich gegen diesen Missbrauch der Akademiker jetzt zur Wehr: Sie fordern 3.000 Euro pro Seminar für Privatdozenten.
Sieg oder stirb
Das deutsche Professorensystem ist gnadenlos: Wer eine Professur bekommt, hat nach langen Jahren harter Arbeit den Jackpot geknackt, und das bedeutet: Unzählige Wissenschaftler werden ausgesaugt bis zum letzten Blutstropfen, um dann von Hartz IV abhängig zu sein.
Wer „alles richtig“ macht, also sein Studium besonders in den Geisteswissenschaften ernst nimmt, sich in die Themenschwerpunkte vertieft, in Fachmagazinen publiziert, forscht und lehrt, als Wissen schafft ist trotzdem in größter Gefahr, an den sozialen Rand der Gesellschaft gedrückt zu werden.
Titel wie „Privatdozent“ oder „außerplanmäßiger Professor“ hören sich grandios an, bezeichnen aber nur Menschen, die bei enormer Qualifikation ohne Skrupel ausgebeutet werden.
Keine Alternative?
Das Establishment an den Universitäten weiß nur zu gut, dass für wirkliche Wissenschaftler irgendein Job außerhalb der Wissenschaft keine Alternative sein kann. Sie werden von den bezahlten Etablierten ausgegrenzt und gedemütigt. Depressionen und psychosomatische Krankheiten sind die Folge.
Sklavenarbeit
Die Situation der Habilitierten und freien Lehrbeauftragten entspricht feudalen Verhältnissen. Beamtete Professoren halten sich diese „Mitarbeiter“ wie Leibeigene. Weder beamtete Professoren noch die Unileitungen haben Interesse daran, diese Situation zu ändern: Für sie bedeutet es ungemein billige und dabei best ausgebildete Arbeitskräfte.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Besonders grotesk ist es bei vermeintlich linken Professoren, die von dieser nahezu vorkapitalistischen Vernutzung von Menschenleben profitieren. Doch wie in religiösen Erlösungsfantasien könnte die Ausbeutung nicht funktionieren, wenn die Opfer nicht mitspielen würden.
Die Sklaven des akademischen Betriebs klammern sich an die Hoffnung, irgendwann doch noch zum Professor berufen zu werden. Sie werben Drittmittel an, leben von Erbschaften oder vom Geld des Jobcenters.
Keine „richtigen“ Dozenten
Da nur die wenigsten den „Platz an der Sonne“ ergattern können, solidarisieren sich die Verdammten der Universitäten nicht mit Leidensgenossen, oft verschweigen sie sogar die Bedingungen, unter denen sie leben und leiden, weil sie fürchten, bei Studierenden nicht als „richtige Dozenten“ zu gelten.
So arbeiten die Ausgebeuteten den Ausbeutern zu. Unentwegt produzieren sie Werte und Wissen für die Universitäten, von denen die beamteten Professoren – es lässt sich nicht anders sagen – schmarotzen.
Kafkas Universität
Ein Bild wie aus einer Erzählung von Franz Kafka ist bittere Wirklichkeit: Privatdozenten, die ihren Studierenden das Kapital von Karl Marx und den Begriff der Ausbeutung erklären und sich selbst zu Bedingungen ausbeuten lassen, gegenüber denen ein Ein-Euro Job ein Fortschritt wäre – denn ein Euro pro Stunde ist mehr als kein Euro. (Dr. Utz Anhalt)
Bild: bilderstoeckchen – fotolia
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