Hartz IV: Unterschichtendebatte

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Unterschichtdebatte kommt zur rechten Zeit

Nichts geht mehr besser, sondern nur ganz anders; DGB muss das Thema in den Mittelpunkt der Großdemonstrationen am 21. Oktober rücken

Bonn. Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebene Gesellschaftsstudie und deren Ergebnisse vom ‘abgehängten Prekariat’ werden vom Erwerbslosen Forum Deutschland untermauert und teils als eine realistische Einschätzung der gegenwärtigen Gesellschaftsstrukturen begrüßt. Die schon 2004 durch Vertreter der sozialen Bewegungen prophezeite neue "Unterschicht" durch Hartz IV habe sich nunmehr traurig bewahrheitet. Der DGB muss dieses Thema am Samstag auf den Großdemonstrationen aufgreifen und dafür sorgen, dass der durch Kurt Beck (SPD) ins Spiel gebrachte Begriff der "neuen Unterschicht" aufgegriffen und positiv besetzt wird, ähnlich des Begriffes: Proletariat. Die an den Herbstdemonstrationen beteiligten Erwerbsloseninitiativen und sozialen Protestbewegungen werden dieses Thema auf jeden Fall aufgreifen, da durch die Studie deutlich geworden ist, dass die durch SPD-Fraktionsvize Stefan Hilsberg bezeichnete Lebenslüge Hartz IV der Rot-Grünen Koalition traurige Wirklichkeit geworden sei. Die durch Volker Kauder (CDU) ins Spiel gebrachte Verleugnung, dass es keine "Unterschicht" gebe, sondern es in Teilen der Gesellschaft eine "Verwahrlosung" gebe würde, wurde durch das Erwerbslosen Forum Deutschland scharf verurteilt. Volker Kauder überspanne den Bogen völlig und trage zu einer bewusst geführten Stigmatisierung von vielen Hartz IV-Betroffenen bei. Dabei leugnet er die Realität von vielen Betroffenen völlig oder stelle sie absichtlich falsch dar.

Dazu Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland:
"Wir sprechen hier von Menschen, die sich als Unterschicht wahrnehmen. Dies nicht nur materiell, sondern sie erleben es tagtäglich, dass es für sie keine Chance gibt. Sei es, dass Kinder in fast allen Bereichen von einer gesellschaftliche und kulturellen Teilhabe ausgeschlossen werden oder Eltern erleben müssen, dass die die von Kurt Beck (SPD) angemahnten Bestrebungen, dass es den Kindern "besser gehen soll" überhaupt nicht realisierbar ist. Wie auch, wenn z.B. für ein Paar Schuhe bei Kindern monatlich 4,40 EUR zur Verfügung stehen oder für musische Bildung – Anschaffung von z.B. Musikinstrumenten oder Unterricht für musische Fächer, Bücher – gerade mal 1,98 EUR monatlich zur Verfügung stehen. Also Bildung und Vorwärtsstreben doch nur für den besseren Mittelstand und Oberschicht. Der DGB ist aufgefordert zusammen mit uns "den sozialen Bewegungen" sich wieder dieser so genannten Unterschichten anzunehmen und diesen Begriff wieder positiv zu besetzen. Es ist ein großer Unterschied mit gesellschaftlichen Nachwirkungen in das parteipolitische und soziale Landschaftsgefüge, ob die Angehörigen dieser wie auch immer genannten Schicht als Täter mangels Willen zum Aufstreben oder als Opfer einer verfehlten Arbeits- und Sozialpolitik betrachtet werden. Es mangelt in Deutschland nicht am illusionären Streben nach Vollbeschäftigung und einem Wirtschaftswachstum, das sich nicht realisieren lässt. Wichtiger erscheint uns, dass es um neue Bewertungen von Leistungen geht. Wenn Leistung schon in der Schule angefangen sich nur auf die Sozialisation von Erwerbsarbeit und unrealistischen Wirtschaftswachstum abstellt, weigern wir uns Realitäten zu akzeptieren. Die Neoliberalen Wirtschaftmodelle mit ihrem vorgegaukelten Wirtschaftswachstum haben sich als Trugschluss erwiesen. Wir benötigen eine neue Wertedebatte, die die Verantwortung unsere Wirtschaft und Kapital für die Gesellschaft endlich wieder mit einschließt.

Besonders das Bündnis der Demonstration vom 3. Juni 2006 (zudem auch das Erwerbslosen Forum Deutschland gehört) "Schluss mit den Reformen gegen uns!" ruft zur Beteiligung an den Herbstdemonstrationen des DGB auf. Anders, wie beim DGB (das geht besser!) ruft das Bündnis mit dem Motto auf: Das geht nur ganz anders" Schluss mit den Reformen gegen uns. Die Forderungen lauten 10 EUR Mindeststundenlohn (netto), 30 Stundenwoche bei vollem Personal- und Lohnausgleich, sowie 500 EUR (repressionsfrei) Mindestgrundsicherung zum Lebensunterhalt zuzüglich Kosten der Unterkunft in einem ersten Schritt.

Laut JUNGE WELT werden es einige Hunderttausend Demonstranten am Samstag in Berlin, Dortmund, Frankfurt, München und Stuttgart erwartet. Schon in den vergangenen Tagen gab es in zahlreichen Städten kleine und größere Aktionen von Einzelgewerkschaften und auch Erwerbsloseninitiativen ließen sich einiges einfallen. In Köln hatten zum Beispiel verschiedene Erwerbsloseninitiativen und das Erwerbslosen Forum Deutschland eine Ak­tion gegen das Beratungsunternehmen Roland Berger organisiert, das der dortigen Arbeitsgemeinschaft aus Sozialamt und Arbeitsagentur rät, nur noch Personen zwischen 25 und 40 intensiv zu vermitteln. In den nächsten Tagen sind noch zahlreiche Aktivitäten geplant. Die sozialen Bewegungen werden jeweils in den Großdemonstrationen einen eigenen bunten Block bilden und gemeinsam mit dem Motto: Das geht nur ganz anders! dabei sein. (ELO-Forum)

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