Nach vielen Mutmaßungen und Verlautbarungen liegt nun der Koalitionsvertrag auf dem Tisch. Überwog zunächst die Hoffnung, dass das Hartz IV System durch eine bedarfsgerechte und sanktionsfreie Grundsicherung abgelöst würde, überwiegt nun die Ernüchterung. Das sog. Bürgergeld ändert nichts am Hartz IV-System.
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Koalitionsvertrag zeigt: Das sog. Bürgergeld verändert nichts am Hartz IV-System
“Der Koalitionsvertrag der Ampel liegt auf dem Tisch. Das, was in Bezug auf die Grundsicherung darinsteht, ist in Teilen katastrophal”, kritisiert Harald Thomé von der Sozialberatungsstelle Tacheles. Zwar soll Hartz IV in ein Bürgergeld umbenannt werden, aber es zeigt sich, dass die beiden Parteien SPD und die Grünen, die damals die Agenda 2010 umsetzten, das System nur umfirmieren wollen. Sie wollen sich damit aus der Verantwortung stehlen, klagt Thomé.
Das “neue” Bürgergeld bleibt somit Hartz IV. Es wird keine höheren Regelleistungen geben, die Sanktionen bleiben bestehen und eine Lösung für die Wohnkostenlücke ist ebenfalls nicht in Sicht.
Keine Regelsatz-Erhöhungen geplant
Wurde zunächst noch vermutet, dass die Regelleistungen spürbar angehoben werden, sagt nunmehr der Koalitionsvertrag, dass eine Erhöhung nicht geplant ist.
Dabei ist schon länger bekannt, dass die Regelleistungen deutlich zu niedrig bemessen sind. Sozial- und Erwerbslosenverbände mahnen seit einiger Zeit, dass die Regelsätze in der Grundsicherung auf minimum 600 EUR erhöht werden müssten, um ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.
Preissteigerungen werden nicht beachtet
Die massiven Preissteigerungen der Lebenshaltungs- und Energiekosten finden überhaupt keinen Anklang bei der künftigen Bundesregierung. Es ist noch nicht einmal ein Solidar- oder Sonderzuschlag geplant. “Hier nichts zu regeln ist schäbig!”, kritisiert der Sozialrechtsexperte Thomé. “Hier nichts zu regeln ist vermutlich auch verfassungswidrig, denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinen beiden Regelsatzurteilen von 2010 und 2014 bei kurzfristig „auftretenden, extremen Preissteigerungen“ zwingend kurzfristige Anpassungen vorgeschrieben”, so der Experte weiter.
Zu diesem Ergebnis gelangte auch Prof. Anne Lenze in einem Gutachten. Ein derartige Situation würde nunmehr vorliegen, da die Lebenshaltungs- und Energiekosten in die Höhe schnellen. Die Ampel-Koalition sieht hier allerdings keinen Handlungsbedarf. Es sollen keine Änderungen bei der Regelleistungen vorgenommen werden. Auch ein Sonderzuschlag ist nicht geplant.
Daher sagt Thomé klipp und klar: “Solange die Regelleistungen im SGB II/ SGB XII/AsylbLG nicht angehoben werden, ist das Grundsicherungssystem Armut per Gesetz und bleibt Hartz IV, auch wenn es jetzt einen anderen Namen bekommen soll.”
Sanktionen werden nicht abgeschafft
In einigen Veröffentlichungen ist zu lesen, dass es ein Sanktionsmoratorium geben soll. Diese Annahme basiert vor allem auf ein veröffentlichtes Papier von Sven Lehmann (Grüne). So schreibt der Grünenpolitiker: „Bis zur gesetzlichen Neuregelung keine Sanktionen. Bis Ende 2022 wollen wir die Mitwirkungspflichten der Bürgergeldbeziehenden neu regeln. Bis dahin gilt ein Sanktionsmoratorium: Es werden keine Sanktionen unter das Existenzminimum mehr verhängt“ (…) „Kosten der Unterkunft und Heizung werden grundsätzlich von Sanktionen ausgenommen und Unter-25-Jährige nicht mehr verschärft sanktioniert“ (Das neue Bürgergeld, Sven Lehmann MdB, 24. November 2021).
In dem Papier des Politikers ist allerdings nur dargestellt, es gäbe keine „Sanktionen unter dem Existenzminimum“ und keine Sanktionen der „Kosten der Unterkunft und Heizung“ sowie „Unter-25-Jährige (werden) nicht mehr verschärft sanktioniert“.
Das bedeutet allerdings, dass sich am jetztigen Zustand nichts ändert. Sanktionen nur bis 30 % des Regelsatzes, keine Sanktionierung der Kosten der Unterkunft und keine verschärften Sanktionen für Bezieher unter 25 Jährigen. “Das ist das, was das BVerfG in seinem Sanktionsurteil bereits vorgegeben hatte und wo Tacheles nach dem Urteil des BVerfG die Begrenzung der Sanktionen auf 30 % in den Weisungen festklopfen konnte.”
Diese Regelung, wonach die Sanktionen auf 30 Prozent begrenzt sind, sind keine Änderung, sondern bereits Realität. “Auch möchte ich anmerken: es bedarf zu einem Sanktionsmoratorium eine gesetzliche Regelung, das diese gewollt ist, ist auch nicht im Koalitionsvertrag enthalten. Dafür ist aus den Ampelpapieren zu entnehmen, dass in Zukunft Sanktionen unter „Achtung der Würde des Einzelnen“ erfolgen sollen”, mahnt Thome´.
Sanktionen mit Menschenwürde?
Ob die Sanktionen nun von der alten oder der neuen Bundesregierung ausgesprochen werden, macht für die Betroffenen überhaupt keinen Unterschied. Denn die einen sagen: “Wer nicht arbeitet, soll nicht essen”, die anderen “Sanktionen mit Menschenwürde”. So kann man nicht davon sprechen, dass das angeblich neue Bürgergeld eine “neue” Beziehung auf Augenhöhe sein soll. Sanktionen, also Strafen, bedeutet nunmal nicht, sich auf Augenhöhe zu begegnen, wenn der eine den anderen abstrafen kann. Wie soll dabei von einem “Vertrauensverhältnis” ausgegangen werden?
Soziale Kälte auch bei älteren Menschen
Bezüglich SGB XII sind ebenfalls keine Änderungen geplant. Einzig ein höherer Zuverdienst bei vorzeitiger Rente ist im aktuellen Koalitionsvertrag geplant. Änderungen beim Schonvermögen, Regelleistungen, KFZ, langlebigen Gebrauchsgütern oder Unterkunftskosten sind nicht geplant. “Das ist ein beschämender Umgang mit den Alten und Kranken. Sie sind und bleiben damit verdammt auf lebenslange Unterfinanzierung und bittere Armut. Man könnte es auch durch die Ampel fortgesetzte planmäßige Organisation des „sozialverträglichen Ableben“ nennen”, sagt der Sozialexperte.
Nur kleinere Verbesserungen aber kein wirkliches Bürgergeld
Die Änderungen bei der Kindergrundsicherung, Übernahme der Sozialschutzeregelungen (bei Neuantragstellenden), besserer Zuverdienst bei Schüler und Studierende sind immerhin kleine und auch wichtige Veränderungen. Aber grundlegend bleibt es bei einem System, dass eben nicht ein „Bündnis für Gerechtigkeit“ ist, wie es vollmundig als Einleitung beim Koalitionsvertrag hieß. Fazit: “Das Koalitionspapier ist ein Armutszeugnis für alle Beteiligten.” (Bild: Der Paritätische)
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