Die schwarz-rote Bundesregierung arbeitet an einer Neujustierung des bisherigen Bürgergelds, das künftig wieder „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ heißen soll.
Inhalte sind schärfere Mitwirkungspflichten, ein strengeres Sanktionsregime und strukturelle Änderungen im Leistungsbezug.
Wohlfahrtsverbände warnen vor sozialen Schäden, etwa wenn Fehlverhalten Einzelner die gesamte Bedarfsgemeinschaft trifft oder existenzsichernde Leistungen für Kinder in Mitleidenschaft geraten.
Inhaltsverzeichnis
Forderungen aus der Wirtschaft: Härtere Auflagen, geringere Regelsätze
Der Wirtschaftsrat der CDU hält die geplanten Verschärfungen für unzureichend. In einem Positionspapier verlangt die Organisation, die Arbeitsbereitschaft von Leistungsbeziehenden künftig durch verpflichtende gemeinwohlorientierte Tätigkeiten zu überprüfen.
Wer sich verweigere, solle mit empfindlichen Kürzungen bis hin zum Leistungsstopp rechnen. Zudem sollen Regelsätze abgesenkt und unter der Ampel eingeführte Anhebungen rückgängig gemacht werden.
Man wolle damit „Spielräume zur Entlastung der Leistungsträger“ herbei führen. Der Verband rechnet vor, dass bereits die Rückführung eines Viertels der rund 3,9 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeld-Beziehenden in Arbeit den Bundeshaushalt um bis zu 30 Milliarden Euro entlasten könnte.
Einsparziele der Politik und die Frage nach der Realistik
Kanzler Friedrich Merz hatte Milliardeneffekte in Aussicht gestellt, die aktuelle Entwurfslogik liefert jedoch zunächst deutlich bescheidenere Zahlen: Für 2026 kalkuliert das Arbeitsministerium laut Medienberichten lediglich mit Einsparungen von rund 86 Millionen Euro, für 2027 mit etwa 69 Millionen Euro; ab 2028 könnten Mehrausgaben entstehen – unter anderem wegen zusätzlicher Vermittlungs- und Kontrollaufwände.
Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und fiskalischer Realität ist inzwischen eines der zentralen Argumente der Kritiker.
Ökonomische Einordnung: „Mehr als fraglich“
Arbeitsmarktökonominnen und -ökonomen sehen die Aussicht auf zweistellige Milliardenersparnisse skeptisch. Das Institut der deutschen Wirtschaft verweist darauf, dass selbst bei strengerer Ausrichtung die kurzfristig realisierbaren Spareffekte begrenzt bleiben, solange Konjunktur, Qualifikationsprofile und Vermittlungsinfrastruktur nicht zugleich wirken.
In Analysen und Interviews heißt es, Einsparungen „von mehreren Milliarden“ seien unter den gegebenen Annahmen „mehr als fraglich“.
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Bescheid prüfenWas die Reform konkret verändert – und wo Risiken liegen
In der Sache zielt die Koalition auf ein „Fördern und Fordern 2.0“: mehr Pflichten, schnellere und härtere Sanktionen sowie eine Rückkehr zur Bezeichnung „Grundsicherung“.
Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch mahnt dabei klare Grenzen an: Pflichtverletzungen müssen Konsequenzen haben, doch die bestehenden Regelungen reichten aus; Leistungen für Kinder dürften „unter keinen Umständen“ gekürzt werden.
Sozialverbände warnen außerdem, dass strenger gefasste Regeln im Bereich Unterkunft und Heizung das Risiko von Mietschulden und Wohnungslosigkeit erhöhen könnten, wenn Zahlungen leichter entfallen.
Stimmen aus Opposition und Zivilgesellschaft
Die politische Gegenkritik ist deutlich. Die Linke hält die Verschärfungslinie für sozialpolitisch verfehlt und rechtlich heikel. Fraktionschefin Heidi Reichinnek sprach jüngst von „menschenunwürdig“ und warnte vor einem Kurs, der die gesellschaftliche Spaltung vertiefe. Auch innerhalb der SPD-Familie gibt es mahnende Stimmen, die vor Übersteuerung und Symbolpolitik warnen.
Befunde aus der Praxis
Parallel zu den politischen Planspielen mehren sich empirische Hinweise auf enge Budgets in Bürgergeld-Haushalten. Eine 2025 veröffentlichte Befragung des Instituts Verian im Auftrag des Vereins Sanktionsfrei kommt zu dem Ergebnis, dass eine Mehrheit der Befragten den Regelsatz als nicht ausreichend empfindet; teils werde beim Essen gespart, Eltern verzichteten zugunsten ihrer Kinder.
Der lange Schatten der Regelsatz-Debatte
Die Regelsätze waren zum 1. Januar 2024 deutlich angehoben worden – für Alleinstehende um 61 Euro auf 563 Euro, begründet mit der außergewöhnlichen Inflation.
Diese Anhebung dient nun Gegnern als Referenzpunkt: Die einen sehen Fehlanreize und fordern Korrekturen. Sozialverbände verweisen hingegen auf reale Preisniveaus, die die Kaufkraft der Leistungen weiterhin belasten.
Entwurf noch in diesem Jahr – Umsetzung mit offenem Ergebnis
Die Bundesregierung will den Gesetzesentwurf noch in diesem Jahr vorlegen. Wie groß der fiskalische Effekt tatsächlich ausfällt, hängt weniger an der Sanktionsschraube als an der arbeitsmarktpolitischen Wirksamkeit der gesamten Reformarchitektur: Qualifizierung, Betreuung, Vermittlung und regionale Arbeitskräftenachfrage entscheiden darüber, ob Menschen nachhaltig in Beschäftigung kommen.
Klar ist bislang nur, dass die unmittelbaren Spareffekte der geplanten Neuerungen sehr begrenzt sind – und dass die gesellschaftliche Akzeptanz der Reform davon abhängt, ob sie erkennbar Chancen eröffnet statt nur Druck zu erhöhen.
Hinweis zur Einordnung der Zahlen und Zitate: Berichte und Stellungnahmen stammen u. a. aus FAZ/WELT, Diakonie Deutschland, IW Köln sowie der Studie von Verian/Sanktionsfrei; maßgebliche Aussagen des CDU-Wirtschaftsrats sind dem Verbandspapier zu entnehmen




