500 Euro mehr wegen Schwerbehinderung? Das bestimmt dann die EM-Rente

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Immer wieder kursiert die Behauptung, schwerbehinderte Menschen bekämen automatisch eine deutlich höhere Erwerbsminderungsrente – mitunter ist sogar von pauschalen Zuschlägen um 500 Euro die Rede.

Der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt stellt dazu klar: “Eine Schwerbehinderung kann zwar Ursache einer Erwerbsminderung sein, sie erhöht aber nicht per se die Rentenhöhe. Entscheidend ist, wie die Rente berechnet wird – und an welcher Stelle die Schwerbehinderung im Recht tatsächlich eine Rolle spielt.”

EM-Rente: Nähe zur Altersrente – mit einem wichtigen Unterschied

Die Rente wegen Erwerbsminderung orientiert sich im Aufbau an der Altersrente. Bis zum Eintritt der Erwerbsminderung fließen die bekannten rentenrechtlichen Zeiten in Form von Entgeltpunkten in die Berechnung ein. Maßgeblich sind Zeiten mit Pflichtbeiträgen aus Beschäftigung, freiwillige Beiträge, Kindererziehungszeiten, Zeiten der Berufsausbildung, Wehr- bzw. Ersatzdienst, sowie bestimmte Anrechnungszeiten wie Phasen mit Arbeitslosengeld I oder Krankengeld.

All diese wirken – wie bei der Altersrente – bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Erwerbsminderung beginnt und die EM-Rente einsetzt.

Genau dort trennt sich die Logik von der Altersrente: Ab Rentenbeginn werden neue Entgeltpunkte nicht mehr aus laufenden Beiträgen oder aus typischen Anrechnungszeiten gebildet. Stattdessen greift ein eigener, für die EM-Rente konzipierter Mechanismus.

Die Zurechnungszeit: Das grundsätzliche der Absicherung

Die Zurechnungszeit ist der zentrale Ausgleichsbaustein der EM-Rente. Sie behandelt die Zeit vom Eintritt der Erwerbsminderung bis zu einem gesetzlich bestimmten Alter so, als hätte die versicherte Person weiter gearbeitet und Entgeltpunkte erworben.

Damit wird verhindert, dass das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu unvertretbar niedrigen Renten führt.
In der Praxis bedeutet das: Die bis zum Eintritt der Erwerbsminderung erreichten Entgeltpunkte bilden die Basis.

Hinzu kommen fiktive Entgeltpunkte aus der Zurechnungszeit, berechnet nach den gesetzlichen Vorgaben. Dieser Baustein ist häufig ertragsstark und wird in seiner Bedeutung oft unterschätzt. Er ersetzt aber keine pauschalen Zuschläge, sondern folgt einer rechnerischen Logik, die an der individuellen Versicherungsbiografie anknüpft.

Schwerbehinderung: Kausal für die Rente, nicht leistungserhöhend

Rechtlich ist klar geregelt, dass eine Erwerbsminderung durch Krankheit oder Behinderung verursacht sein kann. Wer aufgrund von Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit die üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht mehr in ausreichendem Umfang erfüllen kann, gilt je nach Leistungsvermögen als teilweise oder voll erwerbsgemindert. Diese Feststellung ist das Eintrittstor zur EM-Rente.

Für die Rentenhöhe selbst existiert jedoch keine Vorschrift, die wegen einer festgestellten Schwerbehinderung – etwa ab einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 – automatisch zusätzliche Entgeltpunkte oder pauschale Euro-Beträge gewährt. Die Schwerbehinderung kann mithin die Anspruchsgrundlage stützen, sie ist aber kein eigenständiger Rentensteigerer.

Teilweise oder volle Erwerbsminderung: Auswirkungen über den Rentenartfaktor

Ob eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung bewilligt wird, beeinflusst die Leistungshöhe über den Rentenartfaktor. Dieses Element der Rentenformel bildet ab, ob die Erwerbsfähigkeit noch in einem gewissen Zeitumfang besteht oder vollständig weggefallen ist.

Auch hier spielt die Schwerbehinderung nur mittelbar eine Rolle, indem sie – zusammen mit medizinischen Befunden – zur Einschätzung des Restleistungsvermögens beiträgt. Ein pauschaler Plusfaktor allein wegen des Status „schwerbehindert“ ist indes nicht vorgesehen.

Nach dem Rentenbeginn: Was nicht mehr zählt

Mit dem Beginn der EM-Rente endet die Anrechnung neuer Zeiten aus Beschäftigung, Arbeitslosengeld I oder Krankengeld für diese Rente.

Die weitere Entwicklung der Rentenhöhe erfolgt ab dann im Wesentlichen über die Zurechnungszeit und allgemeine Rentenanpassungen. Wer davon ausgeht, dass spätere Phasen mit Lohnersatzleistungen automatisch zusätzliche Entgeltpunkte für die bereits laufende EM-Rente bringen, irrt.

Die Systematik ist bewusst so gestaltet, dass der Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung eine Zäsur darstellt.

Abgrenzung zur Altersrente für schwerbehinderte Menschen
Häufig rührt die Verwirrung daher, dass es im Rentenrecht neben der EM-Rente auch besondere Altersrenten gibt, darunter die Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Diese kann andere Zugangsvoraussetzungen und frühere Inanspruchnahmemöglichkeiten eröffnen. Das hat jedoch mit der Berechnung der EM-Rente nichts zu tun. Wer eine EM-Rente bezieht, erhält keine pauschale Erhöhung, nur weil gleichzeitig eine Schwerbehinderung besteht.

Es handelt sich um unterschiedliche Rentenarten mit jeweils eigener Rechtslogik.

Konsequenz für Betroffene: Realistische Erwartungen und Prüfung

Für Versicherte mit anerkannter Schwerbehinderung ist es wichtig, die Erwartung an die EM-Rente realistisch zu justieren.

Die Rentenhöhe hängt von der individuellen Versicherungsbiografie, der bis zum Eintritt der Erwerbsminderung erreichten Entgeltpunktezahl und der Zurechnungszeit ab. Wer zudem wissen möchte, ob eine teilweise oder volle EM in Betracht kommt, benötigt eine fundierte medizinische und rechtliche Bewertung des Leistungsvermögens.

Die Einstufung „schwerbehindert“ ersetzt diese Prüfung nicht und löst keine pauschalen Mehrbeträge aus.

Fazit: Kein Automatismus, sondern eine nachvollziehbare Rechenlogik

Die Aussage „500 Euro mehr EM-Rente wegen Schwerbehinderung“ findet im geltenden Recht keine Grundlage.

Schwerbehinderung kann der Grund sein, warum überhaupt eine Erwerbsminderung vorliegt – sie erhöht die Rente aber nicht automatisch. Maßgeblich sind die bis zur Erwerbsminderung erworbenen Entgeltpunkte, die rechtlich definierte Zurechnungszeit und der Rentenartfaktor je nach Grad der Erwerbsminderung.

Wer seine Ansprüche verstehen oder prüfen lassen möchte, sollte nicht auf vermeintliche Pauschalen vertrauen, sondern auf die konkrete Berechnung und – bei Bedarf – fachliche Beratung.