Wann kommen die sozialen Unruhen?

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Wann kommen die sozialen Unruhen? Ein Kommentar von W. Stratmann

11.07.2013

Ein Bundesinnenminister erklärte neulich: Unsere Integrationsbemühungen sind erfolgreich. Ich rechne nicht mit sozialen Unruhen. An sich ein belangloser Spruch. Er relativiert sich erst wenn man den Verfassungsschutzbericht zur inneren Sicherheit, die Warnungen der Polizeigewerkschaft und Armutsberichte sichtet. Dabei befallen zumindest mich dunkle Ahnungen. Diese werden noch durch meine Beobachtungen verstärkt.

Zum Beispiel Frau K. in der Provinz. Eine Vollzeitwerktätige. Sie arbeitet in ihrem erlernten Beruf. Alleinerziehende Mutter mit einem Kind. Wenn man für sie und das Kind aus ihrem Einkommen die ungebundene Kaufkraft errechnet, dann erhält man einen Kaufkraftindex von 15,4%. Normal ist 100%. Frau K. schimpft auf Arme und Hartz IV Empfänger. Obwohl man in einem Industrieland der EU schon mit 60% Kaufkraftindex als arm gilt, hält sie sich für gut situiert. Sie sieht das Land an den Hartz IV Empfängern zugrunde gehen und wiederholt ständig alle gängigen Hassklischees. Das mag zunächst wie ein bedauerlicher Einzelfall von Selbstbetrug aussehen. Ist es aber nicht.

Ein anderes Beispiel fand ich in einer Beschäftigungsgesellschaft. Die war sehr abgelegen und wurde im Volksmund Faultierfarm genannt. Dort konnte ich mit gut dreihundert Ein-Eurojobbern sprechen. Fast alle, eigentlich alle, bestritten arbeitslos zu sein. Hartz-IV Empfänger war man auch nicht und hatte aber vielfach ein lautes Gehabe.

Ein krasser Fall von kollektivem Selbstbetrug. Im Vergleich zu Frau K. hat der gemeine Hartz IV Empfänger wohl einen Kaufkraftindex von 19,8%.

Die Beispiele lassen eine gewisse soziale Schieflage vermuten, eventuell auch einen allseits verkannten dunklen Abgrund in unserer Gesellschaft. Aber warum ignorieren diese Leute ihre tatsächliche Situation? Eine Teilerklärung mag mein mehrjähriger Selbstversuch als Kunde von ARGE und Jobcenter geben. Beide Behörden ließen mir ihre Verfolgungsbetreuung erfolgreich angedeihen. Darüber schrieb ich ein Ergebnisprotokoll. Trotz vierhundert seitigen Beweisen, erscheinen die einzelnen Werkzeuge dieser Betreuung so abwegig bis rechtswidrig, dass das Protokoll niemand veröffentlichen will.

Auch hier wäre einerseits, wegen der Veröffentlichungsscheu, wieder die bei uns grassierende Ignoranz von Tatsachen zu erkennen und andererseits kann ich wegen meinen Erfahrungen nachvollziehen wenn jemand seine existenzielle Beziehung zum Jobcenter vertuscht. Aber auch daran kann der kollektive Selbstbetrug im untersten Einkommensbereich eigentlich nicht liegen.

Mir geht’s übrigens jetzt besser. Als offen arbeitsunwilliger Sozialleistungsbezieher komme ich auf einen Kaufkraftindex von 25, 4%. Er wird vermutlich nie mehr steigen.Damit ist wohl der Kernpunkt gefunden. In Deutschland begann Ende der 1990er Jahre eine schleichende Krisenvorbereitung. Die führte, wie in den heutigen südeuropäischen Krisenländern zu Arbeitslosigkeit, Lohndumping, sozialer Unsicherheit und extremen Rentenkürzungen. Man schätzt ca. 23 Mio. Betroffene.

Die von uns heimlich belächelten Südländer erkennen das für sie bedrohliche Handeln ihrer Regierungen und demonstrieren deswegen, oder machen soziale Unruhen. Selbst dortige Staatsdiener solidarisieren sich mit dem Volk. Nur bei uns passiert nichts. Obwohl Artikel 20 des Grundgesetzes sagt „(1) Die Bundesrepublik ist ein .. sozialer Bundesstaat. (…) (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand…“ Sind wir ein Volk von „hasenfüßigen Selbstbetrügern“ und im Kern asozial, für einen gemeinsamen Staat nicht geeignet?

Bild: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de

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