Wird eine Kindergeldnachzahlung an das Bürgergeld angerechnet? – Urteil

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Im Fall einer Kindergeldnachzahlung, die nicht rechtzeitig dem Amt gemeldet wurde, hat das Bundessozialgericht (BSG) die Revision der Klägerin zurückgewiesen und damit das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts  bestätigt.

Die Entscheidung ist von Bedeutung für Bürgergeld-Bezieher nach dem SGB II, da sie die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Berücksichtigung von Einkommen präzisiert.

Nachzahlung von Kindergeld

Die Klägerin lebte im Januar 2018 mit ihrem Sohn in einem Haushalt. Beide bezogen Leistungen nach dem SGB II vom zuständigen Jobcenter.

Die Zahlung des Kindergelds für ihren Sohn wurde ab dem 1. September 2017 zunächst abgelehnt, jedoch später im Dezember 2017 rückwirkend ab September 2017 wieder bewilligt.

Die Kindergeldnachzahlung für September bis November 2017 in Höhe von 576 Euro wurde der Klägerin am 6. Dezember 2017 gutgeschrieben, und ab Januar 2018 erhielt sie laufend monatlich 194 Euro Kindergeld.

Das Jobcenter war über die vorübergehende Einstellung der Kindergeldzahlung informiert, nicht jedoch über die spätere rückwirkende Wiederbewilligung.

Im März 2019 erfuhr das Jobcenter von dieser Kindergeldnachzahlung und hob daraufhin die Leistungsbewilligung für Januar 2018 teilweise auf, indem es 143,72 Euro zurückforderte.

Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos, ebenso die Klage vor dem Sozialgericht (SG) und die Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG).

Welche Rechtsgrundlagen wurden herangezogen?

Die Kernfrage betraf die Rechtmäßigkeit der teilweisen Aufhebung und Rückforderung der SGB II-Leistungen. Das Gericht stützte seine Entscheidung auf:

  • § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 SGB III und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X: Diese Regelungen ermöglichen es dem Jobcenter, eine Bewilligung von Leistungen aufzuheben, wenn sich nachträglich wesentliche Änderungen in den Einkommensverhältnissen ergeben.
  • § 11 SGB II: Regelt, dass Einkommen, zu dem auch Kindergeld zählt, auf den Bedarf anzurechnen ist.

Warum wurde die Kindergeldnachzahlung als Einkommen berücksichtigt?

Die Kindergeldnachzahlung wurde im Januar 2018 berücksichtigt, da sie der Klägerin im Dezember 2017 zugeflossen war.

Nach § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II ist eine einmalige Einnahme – wie eine Nachzahlung – im Folgemonat zu berücksichtigen, wenn für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Anrechnung erbracht wurden. Dies traf im Fall der Klägerin zu, da die Leistungen für Dezember 2017 bereits vor der Kindergeldzahlung ausbezahlt worden waren.

Ein Argument der Klägerin war, dass die Kindergeldnachzahlung auf mehrere Monate verteilt werden sollte, um die negativen Auswirkungen auf ihre Leistungen abzumildern.

Nach § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II ist eine Aufteilung möglich, wenn durch die Berücksichtigung der einmaligen Einnahme der Leistungsanspruch im Zuflussmonat entfällt.

Das BSG stellte jedoch klar, dass diese Regelung nicht auf Kindergeldnachzahlungen anzuwenden ist, da diese spezifisch als Einkommen des Kindergeldberechtigten (hier: der Klägerin) zu betrachten sind, wenn sie nicht zur Deckung des Bedarfs des Kindes benötigt werden.

Warum wurde keine Aufteilung auf sechs Monate vorgenommen?

Das Gericht erläuterte, dass Kindergeld gemäß § 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II vorrangig dem Kind zuzurechnen ist, soweit es für dessen Bedarf benötigt wird. Überschreitet das Kindergeld den Bedarf des Kindes, wird der übersteigende Betrag dem Einkommen des Kindergeldberechtigten zugerechnet.

Im vorliegenden Fall führte dies dazu, dass die Kindergeldnachzahlung im Januar 2018 als Einkommen der Klägerin berücksichtigt wurde, da sie den Bedarf ihres Sohnes überstieg.

Das Argument der Klägerin, die einmalige Einnahme müsse auf sechs Monate verteilt werden, wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass § 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II speziellere Regelungen enthält, die vorrangig zur Anwendung kommen.

Der Zweck dieser Regelung ist es, das Kindergeld vorrangig zur Deckung des Bedarfs des Kindes zu verwenden, bevor es als Einkommen des Elternteils gewertet wird. Eine Aufteilung wäre nur dann in Betracht gekommen, wenn die einmalige Einnahme direkt den Leistungsanspruch der Klägerin betroffen hätte, was hier nicht der Fall war.

Versicherungspauschale wurde nicht abgezogen

Ein weiterer Streitpunkt war die Absetzung der Versicherungspauschale. Nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist von dem Einkommen eine Pauschale für private Versicherungen abzusetzen. Die Klägerin argumentierte, dass diese Pauschale für jeden Monat, für den die Nachzahlung erfolgte, abgezogen werden sollte.

Das Gericht entschied jedoch, dass die Pauschale nur einmal im Monat des tatsächlichen Zuflusses der Einnahme abzusetzen ist. Die Entscheidung beruht auf dem Monatsprinzip, das für die Anrechnung von Einkommen nach dem SGB II maßgeblich ist.

Eine Ausnahme wurde in der Vergangenheit nur in Fällen gemacht, in denen durch die einmalige Einnahme ein besonderer Anreiz zur Erwerbstätigkeit geschaffen werden sollte, was hier nicht gegeben war.

Warum wurde die Jahresfrist gewahrt?

Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X hat das Jobcenter die Möglichkeit, innerhalb eines Jahres nach Kenntniserlangung von der Änderung der Verhältnisse eine Leistungsbewilligung aufzuheben. Im vorliegenden Fall erhielt das Jobcenter erst im März 2019 durch Einsicht in die Daten der Familienkasse Kenntnis von der Kindergeldnachzahlung. Da der Bescheid zur Rückforderung im Januar 2020 erlassen wurde, war die Jahresfrist gewahrt.

Welche Konsequenzen hat das Urteil für Bürgergeld-Bezieher?

Die Entscheidung verdeutlicht die strikten Anforderungen an die Meldung von Änderungen in den Einkommensverhältnissen.

Eine verspätete oder unterlassene Meldung kann zu Rückforderungen führen, da Nachzahlungen wie Kindergeld als Einkommen im Zuflussmonat berücksichtigt werden müssen, sofern keine gesetzlich vorgesehene Ausnahme greift.

Leistungsbezieher sollten sich bewusst sein, dass Kindergeld, das den Bedarf des Kindes übersteigt, als Einkommen des Elternteils angerechnet wird.

Diese Einkünfte können die Höhe der bewilligten Leistungen reduzieren und zu Rückforderungen führen, wenn sie nicht rechtzeitig gemeldet werden. Das Urteil bestätigt zudem, dass eine Versicherungspauschale nur einmal im Monat des Zuflusses abgezogen werden kann, unabhängig davon, wie viele Monate die Nachzahlung betrifft. (Aktenzeichen: B 4 AS 14/23 R)