Der vorliegende Fall rechtfertigt die Annahme eines seltenen Ausnahmefalles der Unzumutbarkeit eines Umzuges insbesondere aus gesundheitlichen Gründen.
An die Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. auch zum Folgenden BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 30/08 R; Urteil vom 20. August 2009 – B 14 AS 41/08 R – Gerichtssatz ).”
Zumutbarkeit umgehender und nachzuweisender Kostensenkungsbemühungen – auch durch Umzug – sind in aller Regel anzunehmen.
Der Regelfall sieht nur 6 Monate vor
In der Regel sollen spätestens nach sechs Monaten nur noch die Aufwendungen in Höhe der Referenzmiete erstattet werden. Nichts Unmögliches oder Unzumutbares – kann vom Leistungsbezieher verlangt werden ( Rechtsprechung BSG zum SGB XII, aber auch zum SGB II )
An die Ausnahmen vom Regelfall sind strenge Anforderungen an die Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit zu stellen, denn die Erstattung unangemessener Kosten der Unterkunft bleibt der Ausnahmefall. BSG, Urteil vom 23. März 2010 – B 8 SO 24/08 R –
Bei älteren, kranken Menschen erkennt das Bundessozialgericht aber an, dass sie typisierend immobiler als der Durchschnitt der Bevölkerung sind, weil mit zunehmendem Alter die Anpassungsfähigkeit weiter abnimmt und die Anfälligkeit für Erkrankungen zunimmt und dass wegen des erfahrungsgemäß veränderten Aktionsradius die Wohnung und Wohnumgebung für das körperliche und psychische Wohl des alten Menschen immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Antragstellerin war in ihrer Konzentration deutlich eingeschränkt, auch Merkfähigkeit und Gedächtnis waren eingeschränkt nachweislich ärztliches Gutachten
Ältere Hilfebedürftige leidet unter unter einer Persönlichkeitsstörung, einer Dysthymie, einer Agoraphobie mit Panikstörung, einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einem HWS- und LWS-Syndrom bei degenerativen Veränderungen ohne neurologische Ausfälle, einer Migräne accompagne und einem Tinnitus aurium.
Nur mit Unterstützung in der Lage, sich eine Wohnung zu organisieren, einen Umzug zu planen und zu bewältigen.
Damit war die Antragstellerin nicht in der Lage, sich eigenständig um einen Wohnungswechsel (sei es im selben Ort oder in räumlicher/regionaler Nähe zur bisherigen Wohnung) zu bemühen.
Unmöglich war für die Hilfeempfängerin, die kostenfreien Wochenblätter, die Immobiliendatenbanken o.ä. nach Wohnungsanzeigen zu durchsuchen und umfangreiche Aktivitäten zur Wohnungssuche zu entwickeln
Kein Verweis bei der Wohnungssuche auf die Hilfe ihres Sohnes und dessen Frau
Denn beiden litten selbst unter gesundheitlichen Einschränkungen – ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 wurde festgestellt. So urteilte das LSG Baden- Württemberg mit Urteil vom 17.03.2022 – L 7 SO 1635/19 –
Die Sozialhilfeempfängerin hat danach einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung und im Alter unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung, sie konnte in ihrer Wohnung verbleiben, weil der Umzug auf Grund von gesundheitlichen Einschränkungen für die ältere Dame – unzumutbar – war.
Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock
Die Entscheidung des BSG damals aus dem Jahre 2010 war schon ein Kracher, denn somit war geklärt, wann vom Regelfall für die Erbringung der Kosten der Unterkunft bei Unangemessenheit abzuweichen ist und vor allem, wann ein Umzug für ältere Menschen unzumutbar ist.
Neuere BSG- Rechtsprechung besagt zu diesem Thema folgendes
BSG Urteil vom 06.10.2022 – B 8 SO 7/21 R –
Beim SGB XII (Sozialhilfe), welches für ältere Menschen gilt, sind zu berücksichtigen besondere Umstände wie u.a. Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, soweit diese Faktoren nach den Umständen des Einzelfalls Auswirkungen auf den Unterkunftsbedarf haben.
Der Träger der Sozialhilfe darf Hilfeempfänger, die individuelle Zugangshemmnisse zum Wohnungsmarkt aufweisen, nicht ohne Weiteres auf den allgemeinen Wohnungsmarkt verweisen, sondern hat sie bei der Wohnungssuche bedarfsgerecht zu unterstützen.
Die Entscheidung des BSG lautet wie folgt: Orientierungssatz RA Niklas Sander, Moormerland:
1. Der Zugang zum Wohnungsmarkt gestaltet sich für Personen mit geistigen, psychischen oder seelischen Behinderungen grundsätzlich schwieriger. Vermieter können Vorbehalte gegenüber dieser Gruppe haben. Erkennbare Beeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten können daher die Chancen auf angemessenen Wohnraum mindern.
2. Wenn diese Beeinträchtigungen zu einer erheblichen Einschränkung oder Verschlossenheit des Wohnungsmarkts führen, ist in der Regel eine individuelle Unterstützung durch den Leistungsträger notwendig, um eine Wohnung zu finden.
3. Wenn der Leistungsträger dieser Verpflichtung nicht nachkommt, ist grundsätzlich von der konkreten Angemessenheit der Wohnung auszugehen. Die Betroffenen müssen dann keine konkreten Suchaktivitäten nachweisen.
Rechtstipp zum SGB XII
LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 28.02.2024 – L 2 SO 3252/22 –
1. Die beiden über siebzigjährigen chronisch kranken Klägern mit deutlicher Einschränkung der Mobilität und nachvollziehbarem Umzug in den Innenstadtbereich und Bestätigung des Gesundheitsamts, dass eine Erdgeschosswohnung notwendig gewesen ist, haben Anspruch auf Übernahme ihrer tatsächlichen Miete bei Verschlossenheit des Wohnungsmarkts.
2. Bei Verschlossenheit des Wohnungsmarkts ( Beschränkung auf Wohnungen im Erdgeschoss oder Parterre ) muss der Sozialhilfeträger im Einzelfall die tatsächlichen Kosten der Unterkunft übernehmen ( Anlehnung an BSG, Urteil vom 06.10.2022 – B 8 SO 7/21 R ).
Was können alte, kranke und behinderte Sozialhilfeempfänger tun, wenn von der Behörde ein Umzug gefordert wird – sind sie auf sich allein gestellt?
Definitiv nein, denn es liegt inzwischen eine gefestigte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, wie die ” Angemessenheit von Unterkunftskosten bei individuellen Zugangshemmnissen zum Wohnungsmarkt zu behandeln ist”.
Was müssen die älteren Menschen nachweisen, vorbringen?
Auch das betrifft wieder den Einzelfall.
Vorlegen sollte man unbedingt:
1. Eine attestierte Notwendigkeit eines Verbleibs in ihrer Wohnung aus psychischen Gründen, Krankheitsgründen, Behinderung, Merkzeichen, Rollstuhl, – nicht abschließend – weitere Möglichkeiten denkbar.
2. Sozialhilfeträger verweisen gern darauf, dass Verwandte bei der Wohnungssuche helfen könnten – Könne diese das, ist das okay, aber wenn die Verwandten selbst gesundheitliche Einschränkungen haben, darf das Sozialamt nicht darauf verweisen, es muss natürlich Kenntnis davon haben.
Ist der Betroffene selbst aus individuellen Gründen nicht in der Lage nach Wohnungen suchen, Wohnungsanzeigen aufzugeben bzw. sich an zuschauen, muss das Sozialamt dem Leistungsbezieher dabei helfen, denn nach BSG – Rechtsprechung 8. Senat gilt:
Beim SGB XII ( Sozialhilfe ), welches für ältere Menschen gilt, sind zu berücksichtigen besondere Umstände wie u.a. Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, soweit diese Faktoren nach den Umständen des Einzelfalls Auswirkungen auf den Unterkunftsbedarf haben.
Was muss das Sozialamt tun, um diesen Menschen zu helfen – Unterstützung ist angesagt!
Der Träger der Sozialhilfe darf Hilfeempfänger, die individuelle Zugangshemmnisse zum Wohnungsmarkt aufweisen, nicht ohne Weiteres auf den allgemeinen Wohnungsmarkt verweisen, sondern hat sie bei der Wohnungssuche bedarfsgerecht zu unterstützen.
Ältere kranke Menschen haben oft ein Problem – sie haben Probleme bzw,´sind eingeschränkt bei der Konzentration, Merkfähigkei, Aufnahme von Dingen, ihr Gedächtnis ist auf Grund es Alters nicht mehr so aufnahmefähig, usw., wenn dies medizinisch attestiert wird, muss der Sozialhilfeträger tätig werden und den Hilfebedürftigen
1. Bei der Wohnungssuche, Sichten von Wohnungsanzeigen usw. behilflich sein
2. Oder den Verbleib in der alten Wohnung anerkennen, ein Verbleib ermöglichen auf Grund von Krankheit, Pflege oder Behinderung, sozialem Umfeld – Liste ist nicht abschließend!
Schlusswort
Inzwischen liegt eine gefestigte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, wie die Angemessenheit von Unterkunftskosten bei individuellen Zugangshemmnissen zum Wohnungsmarkt zu behandeln ist.
Lesetipp: Schwerbehinderung: Das Sozialamt muss bei der Wohnungssuche helfen – Sozialhilfe-Urteil