Bürgergeld: Sozialwidriges Verhalten setzt einen Verschuldensvorwurf voraus

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Das Jobcenter darf von einem Leistungsempfänger nicht rund vier Tausend Euro an Bürgergeld Leistungen zurückfordern ( Ersatzanspruch § 34 SGB 2 ), wenn kein sozialwidriges Verhalten des Klägers vorliegt ( LSG Schleswig – Holstein Az. L 6 AS 89/19 ).

Weil Im Regelfall schließen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kündigung durch den Arbeitgeber die Anwendung von Ersatzansprüchen des Jobcenters aus.

Ein sozialwidriges Verhalten im Sinne von § 34 SGB II setzt nach der Rechtsprechung einen gesteigerten Verschuldensvorwurf voraus. Dieser liegt im Falle einer Kündigung wegen arbeitsvertragwidrigen Verhaltens nur dann vor, wenn die Kündigung aufgrund dieses Verhaltens eindeutig rechtmäßig ist. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kündigung schließen die Anwendung von § 34 SGB II im Regelfall aus.

Vor der Geltendmachung des Ersatzanspruchs muss das Jobcenter die Rechtmäßigkeit der Kündigung vollumfänglich überprüfen.

Auch für Bürgergeld Bezieher gilt: Es besteht keine Rechtspflicht, sich gegen eine unrechtmäßige Kündigung zu wehren

Der 6. Senat des LSG Schleswig-Holstein kommt deshalb zu der Auffassung, dass es unerheblich ist, ob sich der Arbeitnehmer gegen die Kündigung ein arbeitsgerichtliches Verfahren angestrengt hat.

An der Rechtmäßigkeit der Kündigung bestehen im vorliegenden Fall durchgreifende Zweifel:

Tatsächlich verbraucht eine Abmahnung das Kündigungsrecht für den konkret abgemahnten Sachverhalt. Wird wegen einer Verfehlung abgemahnt, kann nicht anschließend wegen derselben Verfehlung gekündigt werden.

Nur Arbeitsvertragsverstöße eines gewissen Gewichts oder einer bestimmten Dauer erlauben dem Arbeitgeber zudem die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Immer muss die Kündigung die „ultima ratio“ sein, um Schaden vom Betrieb abzuwenden, das heißt, die Weiterbeschäftigung darf dem Arbeitgeber aus betrieblichen und persönlichen Gründen nicht mehr zumutbar sein.

Werden Arbeitsverhinderungen wiederholt und trotz Abmahnung nicht angezeigt und belegt, kann eine Kündigung gerechtfertigt sein. Die Verletzung der Anzeigepflicht bei Arbeitsunfähigkeit bzw. bei anderweitiger Arbeitsverhinderung ist zwar grundsätzlich geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

Gegen die Wirksamkeit der Kündigung spricht hier eindeutig, dass vor der Kündigung kein entsprechendes Fehlverhalten des Klägers dokumentiert ist.

Fazit

Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kündigung schließen die Anwendung von § 34 SGB II aus.

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Anmerkung vom Experten für Bürgergeld Detlef Brock

1. Hier war auch kein über ein allenfalls sanktionswürdiges Verhalten hinausgehender gesteigerter Verschuldensvorwurf dem Kläger zu machen. Die erforderliche wertungsmäßige Vergleichbarkeit des Verhaltens des Klägers mit einer vorsätzlichen Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit ist nicht gegeben.

2. Er beantragte die Leistungen nach dem SGB 2 erst mit einigen Wochen Abstand zu seinem Krankengeldbezug und nahm auch bereits nach wenigen Monaten wieder eine Beschäftigung auf.

3. Das Jobcenter kann, muss aber nicht bei Vorliegen der Voraussetzungen vor der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II eine Sanktion verhängen.

Denn unabhängig davon, ob dies tatsächlich geschehen ist, können die Voraussetzungen eines sozialwidrigen Verhaltens aufgrund des zwischen diesen Vorschriften bestehenden Stufenverhältnisses nur dann erfüllt sein, wenn ein arbeitsvertragswidriges Verhalten vorliegt, das eine Sanktion rechtfertigen würde und darüber hinaus im Hinblick auf die Allgemeinheit als Solidargemeinschaft eine besondere Pflichtverletzung im Sinne eines gesteigerten Verschuldensvorwurfs besteht.

Wenn bereits zweifelhaft ist, ob die Kündigung rechtmäßig war und eine Sanktion gemäß § 31 SGB II gerechtfertigt hätte, scheidet die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II – im Regelfall aus.

Mein Rat an Betroffene

Beruft Euch auf die Rechtsprechung des BSG zum Ersatzanspruch nach § 34 SGB 2

Danach gilt: Der Ersatzanspruch nach § 34 SGB 2 bleibt von der Festsetzung einer Leistungsminderung nach § 31 unberührt, das heißt, ein sozialwidriges Verhalten kann auch dann zum Eintritt der Ersatzpflicht führen, wenn wegen diesem Verhalten bereits eine Leistungsminderung nach § 31 SGB 2 eingetreten ist.

§ 34 SGB 2 setzt im Verhältnis zu § 31 SGB 2 jedoch einen grundsätzlich gesteigerten Verschuldensvorwurf voraus und ist auf eng auszulegende – deliktsähnliche – Ausnahmetatbestände begrenzt.

BSG, Urteile vom 29. August 2019 – B 14 AS 49/18 R – und vom 3. September 2020 – B 14 AS 43/19 R –

Praxistipp vom Sozialrechtsexperten – Wann ist ein Verschuldensvorwurf des Jobcenters nach der Rechtsprechung zum Bürgergeld rechtswidrig

Das bloße Motiv zur Inanspruchnahme von Elternzeit ohne korrespondierendes, nach außen tretendes sozialwidriges Verhalten erlaubt keinen Verschuldensvorwurf ( so aktuell LSG Hessen, Urt. v. 19.03.2025 – L 6 AS 111/23 – ).