Kann eine Sozialhilfeempfängerin, die eine Schwerbehinderung hat, aus gesundheitlichen und sprachlichen Gründen keine günstigere und angemessene Wohnung finden, darf die Sozialhilfebehörde die zu übernehmenden Unterkunftskosten nicht einfach kürzen.
Der Sozialhilfeträger ist dann vielmehr verpflichtet, die Frau bei der Wohnungssuche zu unterstützen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in einem aktuell veröffentlichten Urteil vom 15. Dezember 2022 (Az.: L 9 SO 429/21). Die Essener Richter ließen wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zu.
Sozialhilfe-Bezieherin ist Schwerbehindert
Die 1951 in Georgien geborene Klägerin, die auf Sozialhilfe angewiesen ist, kam 2009 nach Deutschland und bewohnt nach dem Tod ihres Mannes allein eine 66 Quadratmeter große Wohnung.
Sie ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 70. Wegen ihrer Gehbehinderung wurde ihr das Merkzeichen „G“ zuerkannt.
Da sie der deutschen Sprache kaum mächtig ist, hilft ihr ein Mitarbeiter eines Pflegedienstes aus Gefälligkeit bei Behörden- und Bankgeschäften sowie beim Schriftverkehr.
Sozialamt forderte zur Kostensenkung der Unterkunftskosten auf
Als der Sozialhilfeträger feststellte, dass die Frau in einer unangemessenen Wohnung lebte, wurde sie zur Kostensenkung aufgefordert. Gesundheitliche Gründe stünden einem Umzug in eine billigere Wohnung nicht entgegen.
Dieser Aufforderung kam die Sozialhilfeempfängerin nicht nach. Der Sozialhilfeträger übernahm daher nur noch einen Teil der Miete, zuletzt 429 Euro monatlich. Die ausstehende Miete für die Monate Juli bis Oktober 2017 in Höhe von 89 Euro sowie für die Monate November und Dezember 2017 in Höhe von 95 Euro zahlte die Klägerin aus ihrem Sozialhilfesatz.
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Das LSG entschied, dass die Frau Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten hat. Sie sei nur dann zur Kostensenkung verpflichtet, wenn der Sozialhilfeträger ihr tatsächlich bei der Wohnungssuche helfe. In Betracht kämen etwa die Vermittlung einer geeigneten und angemessenen Wohnung oder ergänzende Sozialleistungen, damit die Klägerin einen Makler beauftragen könne.
Denn bei der Sozialhilfeempfängerin „kommen mehrere Faktoren zusammen, die es ihr in ihrem Zusammenwirken unmöglich machen, ohne fremde Hilfe eine andere Wohnung anzumieten“, heißt es in dem Urteil.
So verfüge die Frau nach den Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) nicht über die notwendige Geschäftserfahrung und die Fähigkeit, ihre Angelegenheiten im Verwaltungsbereich selbst zu regeln. Familiäre Unterstützung sei nicht vorhanden.
Die fehlenden Deutschkenntnisse erschwerten auch die Anmietung einer Wohnung. Hinzu komme ihre eingeschränkte Mobilität, so dass eigenständige Wohnungsbesichtigungen nicht möglich seien.
Sozialamt muss bei der Suche einer Wohnung helfen
Der Sozialhilfeträger könne sich auch nicht darauf berufen, dass der Mitarbeiter des Pflegedienstes bei der Wohnungssuche behilflich sei. Die bisherige Unterstützung bei Behördengängen und finanziellen Angelegenheiten sei eine reine Gefälligkeit gewesen, auf die die Frau keinen Anspruch gehabt habe.
Anmerkung von Detlef Brock
Beim SGB XII ( Sozialhilfe ), welches für ältere Menschen gilt, sind zu berücksichtigen besondere Umstände wie u.a. Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, soweit diese Faktoren nach den Umständen des Einzelfalls Auswirkungen auf den Unterkunftsbedarf haben.
Der Träger der Sozialhilfe darf Hilfeempfänger, die individuelle Zugangshemmnisse zum Wohnungsmarkt aufweisen, nicht ohne Weiteres auf den allgemeinen Wohnungsmarkt verweisen, sondern hat sie bei der Wohnungssuche bedarfsgerecht zu unterstützen ( BSG Urteil vom 06.10.2022 – B 8 SO 7/21 R – ).
Kommt der Leistungsträger dieser Obliegenheit nicht nach, ist grundsätzlich von der konkreten Angemessenheit der Wohnung auszugehen. Konkrete Suchaktivitäten müssen die Betroffenen dann nicht nachweisen ( B 8 SO 7/21 R – ).
Gilt auch für Bürgergeld – Empfänger
BSG, Urteil v. 21.07.2021 – B 14 AS 31/20 R –
Tatsächliche Aufwendungen der Kosten der Unterkunft und Heizung können auch bei Bürgergeld-Empfängern auf Grund des Einzelfalls und seiner Besonderten dazu führen, dass der Leistungsempfänger in seiner Wohnung verbleiben kann oder bei einem Wohnungswechsel den verfügbaren angemessenen Wohnraum erweitern ( BSG, Urteil v. 21.07.2021 – B 14 AS 31/20 R – Rz. 36 ).
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