Ist zwar Vermögen vorhanden und grundsätzlich verwertbar, steht aber nicht tatsächlich bereit, dann darf es zu diesem Zeitpunkt nicht beim Anspruch auf Sozialhilfe berücksichtigt werden. So urteilte das Landessozialgericht Baden-Württemberg im Sinne einer Frau, deren Ehemann ein Haus im Ausland besaß, sich aber weigerte, dieses zu verkaufen. (L20 1273/16)
Die Betroffene befand sich über elf Monate in stationärer Unterbringung, bis sie verstarb. Ihr Ehemann verblieb in der zuvor gemeinsam genutzten Mietwohnung und zahlte dafür eine Warmmiete von 565,21 Euro.
Inhaltsverzeichnis
Träger des Pflegeheims beantragt Sozialhilfe
Die Klinik, in der die Frau untergebracht war, stellte einen Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe zur vollstationären Unterbringung, nachdem der Betreuungsvertrag zwischen der Betroffenen und dem Pflegeheim zustande gekommen war. Die Frau war während der gesamten Zeit der Unterbringung im Heim ohne Einkommen oder Vermögen.
Ehemann erhält Rente, Ehefrau bekommt Pflegeleistungen erstattet
Ihr Ehemann bekam während dieses Zeitraums eine Altersrente von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See. Diese betrug monatlich 471,32 Euro, hinzu kam eine Betriebsrente in Höhe von 134,37 Euro.
Die Pflegebedürftige erhielt von der Bahn-BKK Pflegeleistungen nach der Pflegestufe II, seinerzeit monatlich 1.279,00 EUR. Eine Urlaubs- / Verhinderungspflege, die der vollstationären Aufnahme im Pflegeheim vorausging, in Höhe von 1.550,00 Euro übernahm die Bahn-BKK ebenfalls.
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Streit um Wohnung in der Türkei
Die für den Sozialhilfeantrag zuständige Behörde verwies darauf, dass der Ehemann eine Ferienwohnung in der Türkei besitze. Da es sich nicht um geschütztes Vermögen handelt, müsse diese eingesetzt werden, um die Kosten des Pflegeheims zu bezahlen. Ohne Nachweis über den Verkauf der Wohnung und den Verbleib des Verkaufserlöses müsse der Sozialhilfeantrag abgelehnt werden.
Keine Ferienwohnung, sondern selbst genutztes Eigentum
Der Bevollmächtigte des Ehepaares teilte der für die Sozialhilfe zuständigen Sozialbehörde mit, dass es sich bei dem Wohneigentum nicht um eine Ferienwohnung handelte. Vielmehr benutzt der Ehemann diese Immobilie ausschließlich selbst, und damit handelt es sich um geschütztes Vermögen. Er lebe dort mehrere Monate im Jahr wegen der günstigeren Kosten für die Lebenshaltung.
Lebensmittelpunkt in Deutschland
Die Behörde akzeptierte diese Argumentation nicht. Das Ehepaar lebe seit 1977 in Deutschland, und dort läge seitdem der Lebensmittelpunkt. Es gebe also kein schutzwürdiges Interesse am Erhalt der Wohnung in der Türkei, und diese sei schnellstmöglich zu verkaufen.
Mietkosten sparen
Der Bevollmächtigte hielt dagegen, dass der Ehemann Probleme hätte, die monatliche Miete von 565,21 Euro zu zahlen und sich dafür Geld von Verwandten leihen müsse. Deswegen suche er erstens nach einer günstigen Ein-Zimmer-Wohnung und wolle zweitens mindestens die Hälfte des Jahres in seiner Wohnung in der Türkei leben. Er könne diese also nicht verkaufen.
Position bleibt nach dem Tod der Frau unverändert
Auch nachdem die Frau im Pflegeheim verstorben war, blieb die zuständige Behörde auf ihrem Standpunkt. Es hätte kein Anspruch auf Sozialhilfe bestanden, da der Ehemann der Verstorbenen sein verwertbares Vermögen hätte einsetzen können, also kurzfristig die Eigentumswohnung in der Türkei belasten oder verkaufen. Es sei davon auszugehen, dass eine uneingeschränkte Verwertbarkeit dieser Vermögenswerte möglich gewesen sein.
Keine Mittel für die Kosten der Unterbringung
Der Träger der Pflegeeinrichtung legte Widerspruch ein mit der Begründung, dass der Ehefrau tatsächlich keine Mittel zur Verfügung gestanden hätten, um die Kosten des Pflegeheims zu tragen. Eine reale Verwertbarkeit des Hausgrundstückes dürfe nicht einfach unterstellt werden, besonders bei einer selbst genutzten Immobilie im Ausland.
Behörde lehnt den Widerspruch ab
Die Behörde lehnte den Widerspruch ab. Da der Ehemann in Deutschland zur Miete lebe, gelte die Wohnung in der Türkei nicht als selbst genutztes Wohneigentum. Zudem liegt der Wert der Eigentumswohnung auch noch über den gesetzlichen Freigrenzen für Vermögen, um einen Anspruch auf Sozialhilfe zu bekommen.
Sozialgerichte betonen die Tatsächlichkeit
Sowohl ein Sozialgericht in erster Instanz als auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg im Berufungsverfahren lehnten die Argumente der Sozialbehörde ab, und das in jeglicher Hinsicht. Es gelte nämlich das Tatsächlichkeitsprinzip.
Es waren keine Mittel vorhanden
Der Ehemann hat der Ehefrau keine Mittel zur Verfügung gestellt, um den Heimunterhalt zu finanzieren. Er hat es abgelehnt, seine Eigentumswohnung in der Türkei zu verwerten und zu verlassen. Seine Mittel könnten also nicht für den Anspruch seiner Frau auf Sozialhilfe berücksichtigt werden, und sie selbst habe keine Finanzen gehabt.
Der Sozialhilfeträger haftet, und nicht der Hilfebedürftige
Nicht realisierte Ansprüche ließen sich nicht als Vermögen berücksichtigen, sondern gingen auf den Sozialhilfeträger über. Versäume der Sozialhilfeträger es, die Ansprüche zu realisieren, dann dürfe dies nicht zulasten des Hilfebedürftigen gehen.
Selbst, wenn es sich bei der Wohnung in der Türkei um prinzipiell verwertbares Vermögen gehandelt hätte, hätte die Frau also Anspruch auf Sozialhilfe gehabt.
Der Lebensmittelpunkt liegt in der Türkei
Die Instanzen der Sozialgerichte stellten jedoch außerdem klar, dass es sich bei der Eigentumswohnung sehr wohl um selbst genutztes Wohneigentum handelte, und demnach nicht um verwertbares Vermögen, denn der Ehemann hätte seinen Lebensmittelpunkt in der Türkei.
Konkreter Bedarf im jeweiligen Monat
Das Landessozialgericht stellte weiterhin klar: Vermögen ließe sich, auch wenn es verwertbar sei, nur dann berücksichtigen, wenn es als „bereites Mittel“ den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat decken könne.
Bereite Mittel bedeutet Vermögen in Geldwert
Dabei handele es sich ausschließlich um Vermögen in Geld oder Geldeswert, das im Bedarfszeitraum zur Existenzsicherung eingesetzt werden könne. Da der Ehemann die Wohnung nicht verkauft hätte, hätte ein solches Vermögen nicht vorgelegen, um die Existenz zu sichern.
Ein Hinweis auf fiktives Vermögen sei nicht zulässig, denn es ginge um die tatsächlich vorhandenen Mittel. Daran ändere sich auch nichts, weil nicht die Betroffene selbst, sondern der Träger des Pflegeheims den Anspruch auf Sozialhilfe erhebt.
Die Sozialbehörde musste also die volle Sozialhilfe zahlen für alle Monate, die die Ehefrau im Pflegeheim verbracht hatte.