Bürgergeld: Geforderte Rücknahme von Widersprüchen durch das Jobcenter generell unzulässig

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Immer wieder fordern Jobcenter Leistungsempfänger auf, Widersprüche zurückzunehmen. Oft werden Betroffene dabei aufgefordert zu erklären, dass sie den Widerspruch aufrechterhalten und unterstellt, dass bei Ausbleiben dieser Erklärung der Widerspruch nicht aufrechterhalten würde.

Einige Jobcenter lassen solche Forderungen sogar mit Postzustellungsurkunde (PZU, gelber Brief) zustellen, um so drohendes Unheil zu suggerieren und Druck auf Betroffene auszuüben, Widersprüche zurückzunehmen – einfach indem man das Jobcenter mal ignorieren darf. So schaffen es Jobcenter, dass etwa jeder zehnte Widerspruch zurückgenommen wird.

Was passiert, wenn der Widerspruch zurückgenommen wird?

Wird ein Widerspruch rechtswirksam zurückgenommen, verzichtet der Betroffene auf alle Rechte, die sich aus dem Widerspruch ergeben. Dazu gehören neben der Abhilfe der Widerspruchsgründe auch die Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens.

Sollte die Widerspruchsfrist bereits abgelaufen sein, kann danach nicht erneut Widerspruch eingelegt werden, der Betroffene verzichtet dann auch auf sein Widerspruchsrecht.

Rechtswirksam kann ein Widerspruch jedoch nur durch schriftliche Erklärung zurückgenommen werden und das auch nur solange, wie das Widerspruchsverfahren nicht beendet ist.

Es ist rechtlich nicht möglich, die Rücknahme eines Widerspruches durch Stillschweigen oder Unterlassen zu fingieren. Das Ausbleiben einer vom Jobcenter geforderten Erklärung zur Aufrechterhaltung eines Widerspruchs kann rechtlich nicht zu dessen Rücknahme oder Erledigung führen.

Was passiert, wenn der Widerspruch NICHT zurückgenommen wird?

Wird ein Widerspruch erhoben, ist das Jobcenter gesetzlich verpflichtet, ihn zu bearbeiten. § 85 Abs. 1 SGG regelt, Zitat: “Wird der Widerspruch für begründet erachtet, so ist ihm abzuhelfen.” Wenn eine vollständige Abhilfe der im Widerspruch aufgeführten Gründe erfolgt, ist das Widerspruchsverfahren damit beendet.

Beispiel 1: Das Jobcenter erkennt die Beiträge zur Gebäudehaftpflichtversicherung nicht als Betriebskosten an. Nach einem Widerspruch erlässt das Jobcenter einen Änderungsbescheid, in welchem auch diese Beiträge als Betriebskosten anerkannt werden.

Fordert das Jobcenter nach erfolgter Abhilfe dazu auf, den Widerspruch zurückzunehmen, ist das unzulässig, da das Widerspruchsverfahren mit dem Abhilfebescheid in Form des Änderungsbescheides bereits beendet wurde. Das gilt unabhängig davon, ob sich das Jobcenter im Änderungsbescheid auf den Widerspruch bezieht oder nicht.

Wenn das Jobcenter nach erfolgter Abhilfe den Widerspruch als unbegründet zurückweist, ist dieser Widerspruchsbescheid rechtswidrig, da das Widerspruchsverfahren bereits mit dem Abhilfebescheid beendet wurde.

Das o.g. gilt natürlich nur, wenn allen Widerspruchsgründen abgeholfen wurde. Erfolgte nur eine teilweise Abhilfe, dann hat sich damit auch nur der Teil des Widerspruches erledigt, dem das Jobcenter abgeholfen hat.

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Beispiel 2: Das Jobcenter erkennt die Beiträge zur Gebäudehaftpflicht- und zur Elementarschadenversicherung nicht als Betriebskosten an. Nach einem Widerspruch erlässt das Jobcenter einen Änderungsbescheid, in welchem (nur) die Beiträge der Gebäudehaftpflichtversicherung als Betriebskosten anerkannt werden.

Die restlichen Widerspruchsgründe muss das Jobcenter mittels Widerspruchsbescheid zurückweisen (§ 85 Abs. 2 SGG). Zu diesem Zeitpunkt würde die Rücknahme des Widerspruchs bedeuten, dass man auf die Entscheidung über diejenigen Widerspruchsgründe verzichtet, denen das Jobcenter nicht abgeholfen hat (in Beispiel 2 wären das die Beiträge zur Elementarschadenversicherung).

In Fällen einer nur teilweisen Abhilfe werden mitunter Abhilfebescheide erlassen, in denen behauptet wird, dem Widerspruch wäre vollumfänglich stattgegeben worden.

Auch damit versuchen Jobcenter Betroffene hinter die Fichte zu führen. In solchen Fällen ist das Widerspruchsverfahren jedoch tatsächlich nur teilweise erledigt und die Gründe, denen nicht abgeholfen wurde, rechtfertigen drei Monate nach Erhebung des Widerspruches eine Untätigkeitsklage.

Das Jobcenter kann natürlich den Widerspruch auch vollständig zurückweisen. Gegen eine Zurückweisung, egal ob teilweise oder vollständig, kann Klage erhoben werden.

Warum fordern Jobcenter zur Rücknahme von Widersprüchen auf?

Jobcenter führen eine Statistik über Widersprüche und müssen sich regelmäßig gegenüber der Bundesagentur für Arbeit (BA) rechtfertigen, warum sie Widersprüchen stattgeben.

Auch existiert eine Weisung der BA an alle Jobcenter, nur maximal jedem dritten Widerspruch stattzugeben. Jede Stattgabe führt zu massivem Druck auf Mitarbeiter mit Folgen wie ausfallende Beförderung, Versetzung, Kündigung.

Für das Gegenteil gibt es indes Anerkennung, auch finanzielle. Deshalb wird ein Leistungsempfänger i.d.R. auch nicht zur Rücknahme eines tatsächlich unzulässigen oder unbegründeten Widerspruches aufgefordert, dieser wird zurückgewiesen und verbessert so das Verhältnis zwischen Stattgaben und Zurückweisungen.

Die Rücknahme eines Widerspruchs macht es für das Jobcenter möglich, den Widerspruch trotz erfolgter Abhilfe nicht mehr als stattgegeben, sondern als zurückgenommen in der Statistik aufzuführen, was einer Zurückweisung gleichsteht.

Zusätzlich erhält das Jobcenter mit der Rücknahme einen Grund, um Anträge auf Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens abzulehnen, was sie erfahrungsgemäß auch tun.

Das Gleiche passiert, wenn nach der Abhilfe durch einen Änderungsbescheid ein Widerspruchsbescheid erlassen wird mit der Begründung, dass mit dem Änderungsbescheid die Widerspruchsgründe entfallen sind. So landet der eigentlich stattgegebene Widerspruch als zurückgewiesen in der Statistik und die Kostenerstattung wird abgelehnt.

Natürlich kann man bei teilweiser oder vollständiger Abhilfe gegen die Ablehnung der Kostenerstattung Widerspruch einlegen und gegen den Widerspruchsbescheid – i.d.R. erfolgreich – klagen.