Das Gericht stärkt das Recht Behinderter mit erforderlichem Betreuungsangebot in Wohngemeinschaften auf Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft. Der Sozialhilfeträger muss die volle Miete eines Behinderten in einer Wohngemeinschaft übernehmen, wenn seine Krankheit den Wohnungswechsel verhindert.
1. Zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft in einer behindertengerecht, betreuten Wohngemeinschaft nach § 42a Abs. 4 SGB XII, einem Projekt einer Elterninitiative, die es den jungen Menschen ermöglicht, mit teilweise seit der Kindheit vertrauten Menschen zusammenzuleben
2. Es besteht keine Obliegenheit eines Schwerstbehinderten zur Kostensenkung durch einen Wohnungswechsel bei psychischer Erkrankung.
3. Ein Schwerbehinderter, welcher in einer behindertengerechten Wohngemeinschaft in einem Wohnprojekt wohnt, hat Anspruch auf Übernahme seiner tatsächlichen Miete bedingt durch Krankheit und Behinderung ( aktuell veröffentlicht vom 9.Senat des LSG NRW – Orientierungssatz Detlef Brock).
4. In einer solchen Konstellation, in der der Behinderte selbst keine andere Wohnung anmieten kann, sind die Unterkunftskosten zu übernehmen, bis der Betroffene entsprechende Unterstützung bei der Wohnungssuche tatsächlich erhält (Urteil des Senates vom 08.09.2022 – L 9 SO 281/21 – ).
5. Ein Umzug des Behinderten aus der vertrauten und von ihm selbstbestimmt gewählten Wohnung wäre nicht zumutbar (dazu BSG Urteil vom 23.03.2010 – B 8 SO 24/08 R).
6. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob einzelne besondere Wohnformen vorhanden sind, in denen evtl. günstige Unterkunftskosten anfallen, da der Kläger zwischen allen zugelassenen besonderen Wohnformen ein Wahlrecht hätte, er also nicht auf die preisgünstigste besondere Wohnform verwiesen werden könnte.
Begründung des Gerichts
Dem Kläger war es – und ist es wohl auch dauerhaft – nicht möglich oder zumutbar, seine Unterkunftsaufwendungen zu senken.
Besondere persönliche Lebensumstände des Leistungsberechtigten, die im Rahmen der konkreten Angemessenheit zu berücksichtigen sind, können auch zu einem verstärkten Schutz des sozialen Umfelds im Vergleich zu Leistungsberechtigten ohne persönliche Besonderheiten führen.
Solche Umstände für individuelle, konkret von den Bedarfen anderer Leistungsberechtigter abweichende Bedarfe sind etwa die Situation von Alleinerziehenden, gesundheitliche Aspekte sowie ein erforderliches Betreuungsangebot
Die Wohngemeinschaft ist auf die individuellen, behinderungsbedingt erforderlichen Belange gerade des Klägers zugeschnitten. Es handelt sich um ein Projekt einer Elterninitiative, die es den jungen Menschen ermöglicht, mit teilweise seit der Kindheit vertrauten Menschen zusammenzuleben.
Ein solches Bedürfnis nach einem vertrauten persönlichen Umfeld ist vor dem Hintergrund der Behinderung des Klägers schutzbedürftig.
Aber selbst wenn man davon ausgehen würde, dass ein Umzug grundsätzlich zumutbar wäre, käme eine Absenkung der Unterkunftskosten nur in Betracht, wenn der Sozialhilfeträger dem Behinderten Unterstützung bei der Wohnungssuche leistet (vgl. dazu Urteile des Senates vom 15.12.2022 – L 9 SO 429/21 und vom 08.09.2022 – L 9 SO 281/21).
Eigenständige Wohnungssuche war nicht möglich
Da der Kläger aufgrund seiner Behinderung zu einer eigenständigen Wohnungssuche nicht in der Lage ist, wäre es sogar erforderlich gewesen, eine zumutbare Wohnalternative für den Kläger zu benennen. Dies ist nicht erfolgt.
Verweisung auf andere Wohnformen scheidet aus, zum Bsp. wegen fehlender 24 Stunden-Betreuung
Eine Verweisung des Klägers auf besondere Wohnformen scheidet aus, weil – ungeachtet der Frage, ob eine solche Unterbringung im streitigen Zeitraum überhaupt möglich war – dadurch allenfalls eine geringe Kostenersparnis erzielt werden könnte. Die Berechnung der zustehenden Unterkunftskosten richtet sich daher nicht nach § 42a Abs. 5 SGB XII, sondern nach § 42a Abs. 4 SGB XII.
Grundsätzlich kann er damit die Unterkunftskosten erhalten, die für einen Einpersonenhaushalt angemessen sind.
Praxistipp: BSG, Urt. v. 23.03.2021 – B 8 SO 14/19 R – zu § 42a Abs 3 Satz 1 SGB XII
Ein Bezieher von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, der in einem Mehrpersonenhaushalt mit Familienangehörigen lebt, ohne dass tatsächlich Aufwendungen entstehen, hat Anspruch auf pauschalierte fiktive Unterkunftskosten.
Wichtiger Hinweis:
Nach der neusten Rechtsprechung des BSG ( B 8 SO 18/22 R ) zu den Unterkunftskosten und dem Kopfteilprinzip ist Vorsicht geboten, denn es gilt keine pauschale Erhöhung der Unterkunftskosten bei Zusammenwohnen mit nichtbehinderten Mietern.
Mein Tipp:
Wenn schwerbehinderte Leistungsempfänger mit nichtbehinderten Personen in einer Wohnung zusammen leben, dann sollte man den Mietvertrag so gestalten, dass eine behindertengerechte Ausstattung allein den behinderten Menschen zugeordnet werden kann, zum Bsp. Zimmer zur Ruhephase oder für die Pflegekraft.
Denn es bleibt Familienmitgliedern vorbehalten, die Aufteilung der Wohnkosten vertraglich im Einzelnen zu vereinbaren (vgl dazu BSG vom 29.11.2012 – B 14 AS 36/12 R -).
Vom Kopfteilprinzip zur Aufteilung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung kann abgewichen werden, wenn eine andere Aufteilung aufgrund eines Vertrags bei objektiver Betrachtung angezeigt ist.
Leseempfehlung für Bürgergeld/Sozialhilfeempfänger bei Unzumutbarkeit eines Umzugs aus gesundheitlichen Gründen: Unzumutbarkeit eines Umzuges bei Sozialhilfeempfängern insbesondere aus gesundheitlichen Gründen.
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.