Schwerbehinderung: Rückwirkende Anerkennung des Merkzeichens „aG“ abgelehnt

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Urteil: Keine Anerkennung des Merkzeichens „aG“ bei widersprüchlichen Befunden
Merkzeichen bei Schwerbehinderung rückwirkend festgestellt kann zähflüssig sein. Sorgfältige Prüfungen der Aktenlage und genaue Kriterien müssen dafür erfüllt sein. Ein Urteil des Landessozialgerichtes Hamburg zeigt, wie streng die medizinische Beweislage geführt wird.

Weil ärztliche Befunde zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen, verweigerte das Gericht einer Klägerin die Anerkennung des Merkzeichen „ag“ ( L 3 SB 27/21)

Was bedeutet Merkzeichen „aG“?

Merkzeichen „aG“ steht für außergewöhnlich gehbehindert. Der Rechtsanwalt Peter Knöppel erläutert: „Eine außergewöhnliche Gehbehinderung zur Anerkennung des Merkzeichens aG nach darf sich nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht anderweitige Bewegungseinschränkungen beziehen. Maßstab ist, dass der Schwerbehinderte von den ersten Schritten außerhalb eines Kraftfahrzeugs an nur mit fremder Hilfe oder nur mit äußerster Anstrengung selbst gehen kann.“

Merkzeichen bedeuten Nachteilsausgleiche

Die im Schwerbehindertenausweis notierten Merkzeichen berechtigen zu spezifischen Nachteilsausgleichen.

Beim Merkzeichen „aG“ haben die Betroffenen zum Beispiel Anspruch auf den blauen Parkausweis laut 46 Abs. 1 StVO, und damit das Recht, auf Behindertenparkplätzen zu parken. Die behinderungsbedingte Fahrtkostenpauschale, die bei der Steuer absetzbar ist, beträgt 4.500 Euro (Paragraf 33 Abs. 2a EStG).

Merkzeichen sind heiß umstritten

Je weitreichender die Nachteilsausgleiche bei den jeweiligen Merkzeichen sind, desto höher sind die Anforderungen, um diese Merkzeichen zu erfüllen. Die Feinheiten bei den Kriterien führen immer wieder dazu, dass Sozialgerichte entscheiden müssen, ob in einem bestimmten Fall ein Merkzeichen gegeben ist.

Besonders, ob bei einem Menschen „nur“ das Merkzeichen „G“ vorliegt, also eine erhebliche Gehbehinderung“ oder eine „außergewöhnliche Gehbehinderung“ führt oft zu Konflikten zwischen Betroffenen und den zuständigen Versorgungsämtern.

Rückwirkende Anerkennung

Besonders kompliziert wird es, wenn ein Merkzeichen rückwirkend anerkannt werden soll. Diese rückwirkende Anerkennung muss nämlich nach Aktenlage entschieden werden in dem Sinn, dass keine Sachverständigen hinzugezogen werden können, um die Betroffenen in der Gegenwart zu untersuchen.

Merkzeichen „aG“ wegen Wirbelsäulenbeschwerden und Kniegelenkverschleiß

Die Betroffenen beantragte eine rückwirkende Feststellung des Merkzeichens „aG“ ab dem 9. Februuar 2015. Sie verwies dazu auf Wirbeälsulenprobleme, Kniegelenkverschleiß und eine Rotorenmanschettenruptur, die sie seitdem stark einschränkten. Die zuständige Behörde erkannte ihr zwar das Merkzeichen „aG“ an, aber erst ab dem 1. Januar 2018.

Landessozialgericht erkennt unterschiedliche Angaben

Die Klage der Betroffenen ging bis vor das Landessozialgericht Hamburg. Dieses prüfte die medizinischen Unterlagen und kam zu dem Schluss, dass diese stark unterschiedliche Angaben zur möglichen Gehstrecke der Klägerin machten. Gerade die Länge der Strecke, die ein Mensch zurücklegen kann, gibt aber den Ausschlag dafür, ob das Merkzeichen „aG“ anerkannt wird.

So hätte erst eine Computertomographie vom Februar 2018 belegt, dass sich die Spinalkanalstenose deutlich verschlechtert hätte. Erst damit lag, laut dem Gericht, ein medizinischer Nachweis vor, der den Anspruch auf das Merkzeichen „aG“ begründete.

Was folgt aus dem Urteil?

Um ein Merkzeichen mit weit reichenden Nachteilsausgleichen rückwirkend anzuerkennen, braucht es eindeutiger medizinischer Nachweise für den entsprechenden Zeitraum. Dies ist sogar noch wichtiger als bei einer Anerkennung eines Merkzeichens in der Gegenwart.

Wenn nämlich aktuelle Gutachten sich in Einschätzungen widersprechen, dann lassen sich solche Widersprüche durch zusätzliche Untersuchungen und das Einbeziehen von Sachverständigen vermutlich abschließend klären.

Ein Anspruch in der Vergangenheit lässt sich auf diese Art aber nicht klären, und so bleibt es bei den Widersprüchen.