Prozesskostenhilfe wegen Sozialhilfe-Ausschluss von EU-Bürgern

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Bundesverfassungsgericht: Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes offen

Ob arbeitsuchende EU-Bürger in Deutschland tatsächlich per Gesetz von Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen werden dürfen, ist noch nicht ausgemacht. Es handelt sich hier um eine schwierige, höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage, so dass betroffene mittellose EU-Ausländer Prozesskostenhilfe beanpsruchen können, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Mittwoch, 15. April 2020, veröffentlichten Beschluss (Az.: 1 BvR 1246/19).

Ende 2016 hatte der Gesetzgeber den Anspruch auf Sozialhilfeleistungen für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht oder für jene, die sich allein zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, weitgehend ausgeschlossen. Allerdings sind danach noch einmonatige Überbrückungsleistungen für Unterkunft und Nahrung möglich. Auch für ein Busticket in die Heimat kommt die Sozialhilfe noch auf.

Anlass für das Gesetz waren Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel vom 3. Dezember 2015. Der 4. BSG-Senat hatte dabei entschieden, dass EU-Ausländer, die allein zur Arbeitsuche nach Deutschland gekommen sind, zwar keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II, dafür aber auf Sozialhilfe haben können (Az.: B 4 AS 44/15 R, B 4 AS 59/13 R und B 4 AS 43/15 R; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag). Voraussetzung hierfür sei das Vorliegen eines „verfestigten Aufenthaltes” in Deutschland. Davon wird meist nach sechs Monaten ausgegangen.

Doch seit Inkrafttreten des Gesetzes, welches EU-Bürger von Sozialhilfeleistungen weitgehend ausschließt, wenn sie allein zur Arbeitsuche nach Deutschland einreisen, gibt es Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit und ob das menschenwürdige Existenzminimum der EU-Ausländer gedeckt wird. Mehrheitlich gehen die Landessozialgericht derzeit davon aus, dass die gesetzliche Regelung nicht gegen das Grundgesetz verstößt, wie etwa das Bayerische LSG oder die LSGs in Stuttgart, Hamburg und Darmstadt. Die LSGs in Potsdam und Essen haben dagegen in Eilverfahren Zweifel geäußert, ob das Gesetz mit der Verfassung im Einklag steht.

Dies gilt ebenso auch für das Sozialgericht Darmstadt, welches ein Verfahren dem Bundesverfassungsgericht bereits zur Prüfung vorgelegt hatte. Die Karlsruher Richter wiesen die Vorlage jedoch am 26. Februar 2020 wegen einer unzureichenden Begründung als unzulässig und damit ohne inhaltliche Prüfung ab (Az.: 1 BvL 1/20; JurAgentur-Meldung vom 4. März 2020).

Im jetzt entschiedenen Fall reiste der griechische Beschwerdeführer 2016 in Deutschland ein. Nachdem er einige Monate eine geringfügige Beschäftigung hatte, erhielt er zunächst von August bis Dezember 2018 noch Hartz-IV-Leistungen. Sein Weiterbewilligungsantrag wurde jedoch ab 2019 abgelehnt, da er sein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche habe.

Im Februar 2019 beantragte der Mann schließlich Sozialhilfeleistungen und verlangte im gerichtlichen Eilverfahren, dass der Sozialhilfeträger ihm vorläufig Sozialhilfeleistungen gewährt. Der Antrag wurde jedoch mit Verweis auf den gesetzlichen Ausschluss von Sozialhilfeleistungen für EU-Bürger, die sich allein zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, abgelehnt. Das LSG Stuttgart hatte keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzliche Regelung. Das Gericht wies zudem den Prozesskostenhilfeantrag zurück.

Doch die Prozesskostenhilfe wurde zu Unrecht abgelehnt, entschied das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 12. Februar 2020. Prozesskostenhilfe dürfe nicht versagt werden, wenn die Entscheidung in der Hauptsache „von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt”. Anderenfalls werde mittellosen Menschen effektiver Rechtsschutz vorenthalten.

Hier handele es sich um eine schwierige, nicht geklärte Rechtsfrage. Ob die gesetzliche Bestimmung verfassungsgemäß sei, sei derzeit offen. Auch wenn die Mehrheit der LSGs von einer Verfassungsmäßigkeit ausgehen, gebe es bei einigen Gerichten daran Zweifel. Zweifel seien zudem auch im Gesetzgebungsverfahren und in der Literatur geäußert worden.

Höchstrichterlich sei die Frage ebenfalls nicht geklärt. Derzeit gebe es ein anhängiges Verfahren beim Bundessozialgericht unter dem Aktenzeichen B 8 SO 7/19 R.

Um eine umfassende gerichtliche Prüfung der Streitfrage gewährleisten zu können, müsse daher das LSG Stuttgart nun neu über den Prozesskostenhilfe-Antrag entscheiden. fle

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