Hartz IV: Betriebskostennachzahlung der Wohnung

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Urteil: Betriebskostennachzahlung für die ehemalige Wohnung ist zu übernehmen

Das Sächsische Landessozialgericht (AZ: L 3 AS 188/08) urteilte: Die Betriebskostennachzahlung für die frühere Wohnung eines Hartz IV-Empfängers ist zu übernehmen.

Die Frage, ob Betriebskostennachzahlungen auch dann zu übernehmen sind, wenn das Mietverhältnis, aus welchem sie herrühren, im Zeitpunkt der Fälligkeit der Betriebskostennachzahlung nicht mehr besteht, der Leistungsberechtigte aber im Zeitpunkt der Fälligkeit bedürftig ist, hat über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung.

Betriebskostennachzahlungen sind auch dann als laufender Bedarf nach § 22 Abs. 1 SGB II zu übernehmen , wenn das Mietverhältnis, aus welchem sie herrühren, im Zeitpunkt der Fälligkeit der Betriebskostennachzahlung nicht mehr besteht, der Leistungsberechtigte aber im Zeitpunkt der Fälligkeit bedürftig ist, § 22 Abs. 5 SGB II und § 37 Abs. 1 und 2 SGB II stehen dem nicht entgegen .

Erhält der SGB II-Träger die Rechnung, nach dem der Bewilligungsbescheid erlassen war, muss er die Nachforderung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X übernehmen (LSG Sachsen vom 3.4.2008 – L 3 AS 164/07-, Sächsisches Landessozialgericht L 3 AS 188/08 ).

Der Berücksichtigung der Forderung zur Betriebskosten- und Heizmittelnachzahlung stehen die Regelungen in § 37 Abs. 1 und 2 SGB II, wonach Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Antrag, jedoch nicht für Zeit vor der Antragstellung erbracht werden, nicht entgegen. Diese Regelungen beziehen sich auf die Leistungen der Grundsicherung insgesamt. Für eine Antragstellung im Sinne des § 37 SGB II reicht eine Geltendmachung dem Grunde nach aus (vgl. SG Freiburg, Urteil vom 1. Februar 2008 – S 12 AS 3204/06 –Rdnr. 19; SG Hildesheim, Urteil vom 27 April 2009 – S 43 AS 80/08 – Rdnr. 28).

Nachforderungen auf Mietneben- und Heizkosten, die trotz ordnungsgemäßer Zahlung der vertraglich vereinbarten monatlichen Vorauszahlungen entstehen und vom Vermieter geltend gemacht werden, sind grundsätzlich als gegenwärtiger Bedarf im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzusehen und nicht etwa als Schulden nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 SGB II zu übernehmen (vgl. SächsLSG, a. a. O., Rdnr. 41; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22 Januar 2009 – L 7 AS 44/08 – Rdnr. 50). Hilfebedürftigkeit besteht zunächst nur in Höhe der vereinbarten Vorauszahlung, die sich im Nachhinein als zu gering bemessen herausstellen kann. Denn der Mieter hat tatsächlich nur diese Vorauszahlung zu leisten. Mietschulden liegen hingegen erst vor, wenn der Mieter auf eine mietrechtliche Verpflichtung (vgl. § 241 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]) trotz Fälligkeit (vgl. § 271 BGB) nicht geleistet hat (vgl. SächsLSG, a. a. O., Rdnr. 42).

Wenn – wie vorliegend – der Vermieter am Ende der vereinbarten Rechungsperiode an Hand der dann bekannten Daten feststellt, dass die monatlichen Vorauszahlungen die tatsächlich entstandenen Kosten nicht decken und dementsprechend von dem Mieter eine Nachzahlung fordert, so stellt diese Nachforderung erst zu diesem Zeitpunkt einen gegenwärtigen, nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu befriedigenden Bedarf dar. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsverwaltungsgericht zur Sozialhilfe konnte der Anspruch des Vermieters auf Nachzahlung erst nach endgültiger Abrechnung entstehen und fällig werden, und stellte dementsprechend erst im Zeitpunkt seiner Geltendmachung eine Tatsache dar, die als gegenwärtiger Bedarf zu befriedigen war (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Februar 1988 – 5 C 89/85 – BVerwGE 79, 46 = JURIS-Dokument Rdnr. 10; Berlit, in: Münder [Hrsg.], SGB II [3. Aufl., 2009], § 22 Rdnr. 20, m. w. N.).

Die Regelungen in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II und § 22 Abs. 5 SGB II stehen sich in einem Ausschließlichkeitsverhältnis gegenüber. Das bedeutet, dass ein gegenwärtiger Bedarf hinsichtlich der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, der nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu decken ist, nicht zugleich eine Mietschuld im Sinne von § 22 Abs. 5 SGB II sein kann. Ein gegenwärtiger Bedarf im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, der noch nicht gedeckt ist, kann sich auch nicht beispielsweise durch bloßen Zeitablauf in Schulden im Sinne von § 22 Abs. 5 SGB II umwandeln. Daher sind Schulden im Sinne des § 22 Abs. 5 SGB II nur zum einen solche offenen, das heißt von dem Hilfedürftigen noch nicht erfüllten, fälligen Verbindlichkeiten, die aus der Zeit vor Beginn des Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II herrühren. Zum andern können darüber hinaus während des laufenden Leistungsbezugs Schulden im Sinne von § 22 Abs. 5 SGB II entstehen, wenn der Hilfebedürftige seine laufenden zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten über Dritte nicht vollständig erfüllt, obwohl der Leistungsträger Leistungen in gesetzmäßiger Höhe gewährt hatte (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 31. Mai 2006 – L 3 B 273/05 AS-ER – Rdnr. 41).

In Bezug auf die streitige Nachzahlungsforderung ist eine Bedarfslage im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachzahlungsforderung nicht mehr die Unterkunft bewohnte, auf die sich die Forderung bezieht. Denn die Grundsicherung bezweckt, soweit es die Leistungen für Unterkunft und Heizung betrifft, nicht nur, den Hilfebedürftigen durch die Übernahme der angemessenen Aufwendungen vor Wohnungslosigkeit zu bewahren. Vielmehr soll mit dem Arbeitslosengeld II dem Betroffenen und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen ein der Würde des Menschen entsprechendes Leben ermöglicht und der Lebensunterhalt im Rahmen des soziokulturellen Existenzminimums gesichert werden, wenn sie hierzu selbst nicht in der Lage sind (vgl. BT-Drs. 15/1516 S. 44 f.). Dies bedeutet aber, dass ein Hilfebedürftiger, der sich durchgängig im Leistungsbezug befand, der seinen Verpflichtungen aus einem Mietvertrag ordnungsgemäß nachkam, und bei dem die Unterkunfts- und Heizkosten angemessen sind, nicht mit einem Teil dieser Kosten als Schulden zurückgelassen werden darf.

Etwas anderes würde möglicherweise gelten, wenn es sich um Mietschulden handeln würde, die aus der Zeit herrühren, die vor der Hilfebedürftigkeit lagen oder aber wenn im Zeitpunkt der Gegenwärtigkeit des Bedarfs beim Leistungsempfänger Hilfebedürftigkeit nicht mehr vorliegen würde (vgl. Herold-Tews, in: Löns/Herold-Tews, SGB II [2. Aufl., 2009], § 22 Rdnr. 22).

Anmerkung : 1. Für die Frage , ob hilfebedürftige ALG II Bezieher im Rahmen von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) Anspruch auf Zahlung ("Übernahme") von Nebenkosten als Kosten der Unterkunft (im Rahmen des Arbeitslosengelds II, vgl §§ 19 Satz 1, 22 Abs 1 Satz 1 SGB II) haben, wenn sie während des gesamten Zeitraums, auf den sich die Nebenkostenrechnung bezieht, im Leistungsbezug nach SGB II standen, sich wegen der (zu geringen) Höhe der vorläufigen monatlichen Abschlagszahlungen bei der erst im nächsten Jahr erfolgenden Betrieb-/Nebenkostenabrechnung ein Nachzahlungsbetrag ergibt, und sie im Zeitpunkt der Fälligkeit/Geltendmachung dieser Nachforderung durch den Vermieter nicht mehr im Leistungsbezug stehen , ist Prozesskostenhilfe vom Gericht zu gewähren ( Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 1 B 4/09 AS 28 April, 2009 rechtskräftig , Beschluss ) .

Ob ein solcher Anspruch besteht, das heißt ob für die Beurteilung der Hilfe(bedarfs)bedürftigkeit in solchen Fällen auf den Zeitpunkt der Entstehung der Forderung (dem Grunde nach) oder – frühestens – auf den Zeitpunkt der Fälligkeit/Geltendmachung abzustellen ist, ist bisher – soweit ersichtlich – höchstrichterlich noch nicht entschieden. Es handelt sich damit um eine nicht geklärte Rechtsfrage, die nicht einfach und ohne Weiteres aus dem Gesetz heraus zu beantworten ist. Vor diesem Hintergrund ist nicht entscheidend, dass durchaus gewichtige Argumente für die Richtigkeit der vom 7.Senat des LSG NRW hierzu vertretenen Auffassung sprechen (LSG NRW, Beschluss vom 14 November 2008, Az L 7 B 262/08 AS).

2. Betriebskostennachzahlungen, welche einen Zeitraum betreffen, in welchem der Leistungsträger auch unangemessene Kosten im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II zu übernehmen hatte, sind Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, auch wenn die laufenden Kosten nicht mehr voll zu tragen sind(Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 32 AS 1592/09 28 Dezember 2009 , Beschluss). (17.02.2010)

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