Behinderte müssen bei Corona-Triage geschützt sein

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Der Gesetzgeber muss „umgehend” Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingten sogenannten Triage treffen. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Dienstag, 28. Dezember 2021, veröffentlichten Beschluss gefordert (Az.: 1 BvR 1541/20). Andernfalls bestehe das Risiko, dass Menschen in einer Triage-Situation bei der Zuteilung intensivmedizinischer Behandlungsressourcen wegen einer Behinderung benachteiligt werden.

Nach dem Karlsruher Beschluss darf der Gesetzgeber konkrete Kriterien für Triage-Entscheidungen vorgeben, muss dies aber nicht. Die „Letztverantwortung” liege bei den Ärzten.

Aus Sorge vor Benachteiligungen hatten die neun schwer und teils schwerst behinderten Beschwerdeführer verlangt, dass der Gesetzgeber konkrete Vorgaben für den Fall macht, dass in den Krankenhäusern die Intensivplätze knapp werden sollten.

Grund sind die bislang als maßgeblich geltenden „Empfehlungen”, die die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) in Berlin zusammen mit weiteren Fachverbänden erarbeitet hat. Im Fall einer Triage verweisen diese maßgeblich auf das „Kriterium der klinischen Erfolgsaussichten”.

Bundesverfassungsgericht besteht aber nicht auf konkreten Kriterien

Wie nun das Bundesverfassungsgericht betont, könne dies dazu führen, dass eine Behinderung pauschal mit schlechten Genesungsaussichten verbunden werde. In einer auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen ausgerichteten Gesellschaft könne aber eine Benachteiligung wegen einer Behinderung nicht hingenommen werden.

Dabei stellten die Karlsruher Richter die Überlebenswahrscheinlichkeit als Triage-Kriterium allerdings nicht grundsätzlich infrage. Dies müsse sich aber „eindeutig nur auf die aktuelle Krankheit” beziehen. Keine Rolle spielen darf demnach die generelle Lebenserwartung.

Zwar stellten die DIVI-Empfehlungen ausdrücklich klar, dass eine Benachteiligung aufgrund von Grunderkrankungen oder Behinderungen nicht zulässig ist. Dennoch könnten die Empfehlungen „zu einem Einfallstor für eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen werden”.

Zur Begründung verwies das Bundesverfassungsgericht auf die eingeholten Stellungnahmen. Ärzte, Facheinrichtungen und Sozialverbände hätten mehrfach betont, dass die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen oft sachlich falsch beurteilt werde und eine „unbewusste Stereotypisierung” zu ihrem Nachteil drohe.

Extreme Entscheidungssituation

„Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte befinden sich im Fall einer pandemiebedingten Triage in einer extremen Entscheidungssituation”, heißt es weiter in dem Karlsruher Beschluss. Bei seiner Regelung müsse der Gesetzgeber daher die „gebotene Geschwindigkeit von Entscheidungsprozessen” ebenso berücksichtigen „wie die Letztverantwortung des ärztlichen Personals”.

Welche Maßnahmen in dieser Situation zweckdienlich sind, müsse der Gesetzgeber entscheiden, so das Bundesverfassungsgericht in seinem jetzt schriftlich veröffentlichten Beschluss vom 16. Dezember 2021. Dazu gehöre auch die Entscheidung, „ob er Vorgaben zu den Kriterien von Verteilungsentscheidungen macht”. Dies sei zulässig, aber nicht zwingend. Denkbar seien auch Vorgaben für die Aus- und Weiterbildung des intensivmedizinischen Personals oder zum Verfahren, etwa ein Mehraugen-Prinzip. mwo

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