In Deutschland gelten etwa zehn Millionen Menschen als schwerbehindert. Die Zahl schwerbehinderter Menschen nimmt stetig zu, was unter anderem auf die demografische Entwicklung und den steigenden Altersdurchschnitt zurückzuführen ist.
Inhaltsverzeichnis
Was bedeutet Schwerbehinderung und wann wird sie anerkannt?
Eine Person wird als schwerbehindert anerkannt, wenn bei ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 vorliegt. Der GdB wird von einem Versorgungsamt festgelegt und basiert auf der Schwere und Dauer der gesundheitlichen Beeinträchtigung. Chronische und schwer verlaufende Erkrankungen führen häufig zu einem hohen GdB.
Krankheiten wie chronisch entzündliche Darmerkrankungen (z. B. Colitis Ulcerosa), schwere Migräne oder chronische Hepatitis können je nach Verlauf einen GdB von 50 bis 60 oder sogar mehr erreichen.
Ein GdB von 50 oder mehr wird üblicherweise anerkannt, wenn der Erkrankte langfristig auf medizinische Versorgung angewiesen ist, um eine Verschlimmerung zu verhindern. Grundlage hierfür bildet unter anderem ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (C335/11 und C337/11), das den Schutz von Personen mit chronischen Erkrankungen vor Diskriminierung sichert.
Wie beantragt man einen Schwerbehindertenausweis?
Um einen Schwerbehindertenausweis zu erhalten, muss ein Antrag bei der zuständigen Behörde gestellt werden. In den meisten Fällen ist dies das Versorgungsamt, in einigen Bundesländern kann jedoch auch das Landratsamt oder das Landesamt für Soziales zuständig sein.
Der Antrag kann in Papierform oder teilweise auch online eingereicht werden. Nach der Antragstellung holt die Behörde medizinische Gutachten ein, um die gesundheitlichen Einschränkungen zu beurteilen.
Sobald die notwendigen medizinischen Unterlagen vorliegen, erstellt das Versorgungsamt einen Feststellungsbescheid, in dem der GdB sowie gegebenenfalls Merkzeichen aufgeführt werden. Diese Merkzeichen geben an, in welchen Bereichen der Antragsteller besonders eingeschränkt ist (z. B. Gehbehinderung, Hilfsbedürftigkeit).
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Es ist möglich, den Bearbeitungsprozess zu beschleunigen, indem der Antragsteller bereits alle relevanten medizinischen Befunde einreicht. Der ausgestellte Schwerbehindertenausweis dient dazu, die Behinderung in verschiedenen Lebensbereichen, etwa gegenüber Behörden oder Arbeitgebern, nachzuweisen. Ist eine kostenlose Beförderung im öffentlichen Nahverkehr möglich, wird der Ausweis zur Hälfte in Orange gehalten.
Krankheiten und Grad der Behinderung (GdB)
Abhängig vom Ausmaß der Einschränkungen wird der GdB für jede Krankheit individuell festgelegt. In der nachfolgenden Tabelle sind häufige Erkrankungen und deren GdB aufgeführt:
Chronische Krankheit |
Grad der Behinderung
|
Adipositas, leicht | 10-20 |
Adipositas, mittel | 20-30 |
Adipositas, schwer | 30-40 |
Leichte Allergien, z.B. Heuschnupfen | 10-20 |
– Schwere Allergien (anaphylaktischer Schock) | 30-50 |
Bronchialasthma | 0-50 |
Leichte, chronische Schmerzen (z.B. gelegentliche Rückenschmerzen) | 10-20 |
Mittelschwere chronische Schmerzen (z.B. Fibromyalgie) | 30-50 |
Schwere chronische Schmerzen, z.B. fortwährende Schmerzen | 50-70 |
Demenz, frühes Stadim | 50-70 |
Demenz, mittleres Stadium | 70-90 |
Demenz, spätes Stadium | 90-100 |
Diabetes, dessen Therapie eine Unterzuckerung auslösen kann | 20 |
Diabetes, mit notwendiger tägliche Blutzuckerkontrolle wegen Unterzuckerungsgefahr | 30-40 |
Diabetes, mit mindestens viermal täglicher Insulininjektion und Blutzuckermessung | 50 |
Dystonie, leicht | 20-30 |
Dystonie, mittel | 30-50 |
Dystonie, schwer | 50-70 |
Epilepsie, seltene Anfälle mit mehreren Monaten Pause dazwischen | 30-40 |
Epilepsie, häufigere Anfälle mit mehrwöchigen Pausen | 40-50 |
Epilepsie, häufige Anfälle mit mehrtägigen Pausen | 60-80 |
Epilepsie, fast tägliche oder sehr schwere Anfälle | 90-100 |
Fatigue-Syndrom | 30-50 |
Gelenkschmerzen, leichte (z.B. Arthrose) | 10-20 |
Gelenkschmerzen, mittelschwer (z.B. Rheumatoide Arthritis) | 30-50 |
Herz- und Kreislaufkrankheiten (z.B. nach Herzinfarkt)
|
|
– Herzleistung, Einschränkung bei mittelschwerer Belastung | 20-40 |
– Herzleistung, Einschränkung bei alltäglicher leichter Belastung | 40-80 |
– Herzleistung, Einschränkung ohne Belastung | 90-100 |
Hoher Blutdruck, Hypertonie | 10-20 |
Krebs im Frühstadium | 30-50 |
Krebs im fortgeschrittenen Stadium | 50-80 |
Migräne, leicht | 10-20 |
Migräne, mittel | 20-30 |
Multiple Sklerose im Frühstadium | 50-70 |
Multiple Sklerose im fortgeschrittenen Stadium | 70-100 |
Parkinson-Krankheit im Frühstadium | 50-70 |
Parkinson Krankheit im fortgeschrittenes Stadium | 70-100 |
Periphere Arterielle Verschlusskrankheit | 30-50 |
Schlaganfall, leicht | 50-60 |
Schlaganfall, mittel | 60-80 |
Schlaganfall, schwer | 80-100 |
Kognitive Behinderung oder chromosomale Abweichung |
Grad der Behinderung
|
Geistige Behinderung, leicht (IQ 50-70) | 50-70 |
Geistige Behinderung, mittel (IQ 35-50) | 70-90 |
Geistige Behinderung, schwer (IQ unter 35) | 90-100 |
Trisomie 21 | 50-100 |
Williams-Beuren-Syndrom | 50-100 |
Körperliche Behinderung |
Grad der Behinderung
|
ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) im Frühstadium | 50-70 |
ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) im fortgeschrittenen Stadium | 70-100 |
Amputation eines Armes | 50-80 |
Amputation eines Beins | 40-60 |
Amputation beider Beine am Oberschenkel | 60-80 |
Amputation einer Hand und eines Beins | 70-90 |
Amputation beider Hände | 80-100 |
Aphasie, Sprachverlust | 30-50 |
Cerebralparese, leicht | 30-50 |
Cerebralparese, mittel | 50-70 |
Cerebralparese, schwer | 70-100 |
Darmfunktionsstörungen | 20-40 |
Inkontinenz, leicht | 20-30 |
Inkontinenz, mittel | 30-50 |
Inkontinenz, schwer | 50-70 |
Muskeldystrophie, frühes Stadium | 30-50 |
Muskeldystrophie, fortgeschrittenes Stadium | 50-70 |
Rückenmarkschaden, leichte unvollständige Halsmarkschädigungen. Keine Störung der Mastdarmfunktion oder Blasenfunktion. | 30-60 |
Rückenmarkschaden, unvollständige Brustmarkschädigungen oder Lendenmarkschädigung (Teillähmung beider Beine). Keine Störung der Mastdarmfunktion oder Blasenfunktion. | 30-60 |
Rückenmarkschaden, unvollständige Brustmarkschädigungen oder Lendenmarkschädigung (Teillähmung beider Beine) und Störung der Mastdarmfunktion oder Blasenfunktion | 60-80 |
Rückenmarkschaden, unvollständige bis vollständige Halsmarkschädigung oder Brustmarkschädigung mit Lähmungen von Armen und Beinen sowie Mastdarmfunktion oder Blasenfunktion. | 100 |
Osteoporose | 20-40 |
Schädel-Hirn-Trauma, leicht | 20-40 |
Schädel-Hirn-Trauma, mittel | 40-60 |
Schädel-Hirn-Trauma, schwer | 60-80 |
Sialorrhoe, vermehrter Speichelfluss | 10-20 |
Neurodiversität |
Grad der Behinderung
|
ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) | 30-70 |
ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) | 30-80 |
Autismus-Spektrum-Störung, leicht | 50-80 |
Autismus-Spektrum-Störung, mittel-schwer | 100 |
Dyslexie (Lese-Rechtschreibstörung), Legasthenie mit Konzentrationsstörungen | 20-40 |
Dyslexie (Lese-Rechtschreibstörung), Legasthenie mit starken Auswirkungen auf Schulleistung und des Weiteren | 50 |
Dyskalkulie (Rechenstörung, RS) | 20-40 |
Psychische Krankheit oder Behinderung. |
Grad der Behinderung
|
Umfasst Depression, Burnout, Zwangsstörung, affektive Störungen, affektive Psychose, Schizophrenie, Trauma, Post-Traumatische Belastungsstörung und Ähnliches.
|
|
Leichte psychische Störung (z. B. leichte Depressionen oder leichte soziale Anpassungsstörungen). | 0-20 |
Mittlere psychische Störung (z. B. phobische Störungen oder affektive Psychose mit bis zu zwei Phasen im Jahr) | 30-40 |
Starke psychische Störung (z. B. starke Zwangsstörungen) | 50-100 |
Sehbehinderung |
Grad der Behinderung
|
Farbenblindheit | 10-20 |
Schwere Sehbehinderung auf einem Auge | 20-30 |
Blindheit auf einem Auge | 30-40 |
Sehbehinderung (beide Augen) | 40-70 |
Schwere Sehbehinderung (beide Augen) | 50-80 |
Hörsehbehinderung (z.B. Hörsehbeeinträchtigung bei Taubblindheit) | 50-100 |
Komplette Blindheit | 100 |
Hörbehinderung
|
|
Tinnitus (chronisches Ohrgeräusch) | 10-40 |
Geringe Schwerhörigkeit (ein Ohr) | 0 |
Geringe Schwerhörigkeit (beide Ohren) | 15-20 |
Mittelgradige Schwerhörigkeit (ein Ohr) | 10 |
Mittelgradige Schwerhörigkeit (beide Ohren) | 30-40 |
Hochgradige Schwerhörigkeit (ein Ohr) | 10-15 |
Hochgradige Schwerhörigkeit (beide Ohren) | 50-80 |
Taubheit (ein Ohr) | 20 |
Taubheit (beide Ohren) | 80-100 |
Taubblindheit | |
Usher-Syndrom (Typ I) | 70-100 |
Usher-Syndrom (Typ II) | 50-80 |
Usher-Syndrom (Typ III) | 30-60 |
Progressive Taubblindheit | 60-80 |
Erworbene Taubheit mit Sehbehinderung | 70-90 |
Erworbene Taubblindheit | 80-100 |
Angeborene Taubheit mit Sehbehinderung | 80-100 |
Kongenitale Taubblindheit | 100 |
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Diese Tabelle zeigt, dass eine große Zahl von Erkrankungen als Schwerbehinderung anerkannt werden kann, abhängig davon, wie stark sie das alltägliche Leben beeinträchtigen.
Krankheiten, die oft nicht als Schwerbehinderung bekannt sind
Viele Menschen denken bei Schwerbehinderung an offensichtliche körperliche Einschränkungen wie das Fehlen von Gliedmaßen oder Lähmungen. Tatsächlich gibt es jedoch viele Krankheiten, die ebenfalls als schwerbehindert gelten, ohne dass diese äußerlich sichtbar sind.
Zu diesen Erkrankungen zählen unter anderem:
- Krebserkrankungen: Abhängig von der Schwere und dem Verlauf der Behandlung können Krebspatienten einen GdB von 50 oder mehr erhalten.
- Schlaganfälle: Folgen eines Schlaganfalls wie Lähmungen oder Sprachstörungen führen häufig zu einem hohen GdB.
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Chronische Herzprobleme wie Herzinsuffizienz oder arterielle Verschlusskrankheiten werden oft mit einem GdB von 50 bis 100 eingestuft.
- Diabetes mellitus: Wenn Diabetes zu schwerwiegenden Komplikationen wie Nerven oder Organschäden führt, wird ein GdB von mindestens 50 anerkannt.
- Psychische Erkrankungen: Depressionen, Schizophrenie oder schwere Angststörungen können ebenfalls als Schwerbehinderung eingestuft werden, insbesondere wenn sie den Alltag erheblich beeinträchtigen.
- Tinnitus: Schwere Formen von Tinnitus, die mit psychischen Störungen oder sozialer Isolation einhergehen, können einen GdB von 50 erreichen.
Demenz als Ursache für eine Schwerbehinderung
Demenz ist eine Erkrankung, die sowohl körperliche als auch geistige Fähigkeiten stark einschränken kann. In den meisten Fällen ist Demenz irreversibel und schreitet kontinuierlich fort. Alzheimer ist die bekannteste Form der Demenz und macht etwa 60 Prozent der Fälle aus.
Betroffene leiden oft unter erheblichen Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, die sie zunehmend auf fremde Hilfe angewiesen machen. Demenzerkrankungen werden in der Regel als Schwerbehinderung anerkannt, besonders wenn die Erkrankung das soziale Leben und die Selbstständigkeit des Betroffenen massiv einschränkt.
Pflegegrad bei Schwerbehinderung
Viele Krankheiten, die zu einer Schwerbehinderung führen, bedingen gleichzeitig einen hohen Pflegebedarf. In solchen Fällen ist es ratsam, parallel zur Beantragung des Schwerbehindertenausweises auch einen Pflegegrad zu beantragen.
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Pflegegrade bestimmen die Höhe der Pflegeleistungen, die dem Betroffenen zustehen. Je nach Schwere der Behinderung kann dies von einer ambulanten Pflege bis hin zur 24-Stunden-Betreuung reichen.
Merkzeichen und deren Bedeutung
Zusätzlich zum GdB gibt es im Schwerbehindertenausweis sogenannte Merkzeichen, die besondere Beeinträchtigungen kennzeichnen. Zu den häufigsten Merkzeichen gehören:
- G: Dieses Merkzeichen steht für Gehbehinderung und wird auch bei inneren Erkrankungen wie chronischer Niereninsuffizienz vergeben.
- H: Dieses Merkzeichen weist auf Hilflosigkeit hin, etwa bei Kindern mit schweren Erkrankungen wie Mukoviszidose.
- aG: Das Merkzeichen für außergewöhnliche Gehbehinderung wird bei Personen vergeben, die sich nur mit großen Mühen oder gar nicht mehr ohne Hilfe fortbewegen können.
Die Merkzeichen sind wichtig, da sie verschiedene Ansprüche regeln, etwa die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Nahverkehr oder bestimmte Steuervergünstigungen.
- Über den Autor
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht, Gesundheitsprävention sowie bei gesellschaftspolitischen Themen. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und engagiert sich politisch für Armutsbetroffene.