Viele Betroffene scheitern bei der Begutachtung zur Pflegegrad-Einstufung, obwohl ihnen ein Anspruch zustehen würde. Der Grund: Entscheidende Aspekte im Pflegegutachten bleiben oft unberücksichtigt – vor allem das Modul „Umgang mit der Erkrankung“.
Wer genau hier gezielt dokumentiert, wann und wobei Hilfe nötig ist, kann deutlich mehr Punkte erzielen – und sich so schon mit geringem Aufwand Pflegegrad 1 sichern. Das zeigt ein Blick auf bisher wenig beachtete Teilbereiche wie therapeutische Maßnahmen im Alltag.
Inhaltsverzeichnis
Pflegebegutachtung: Worauf es wirklich ankommt
Pflegegrade basieren auf einem Punktesystem, das die Selbstständigkeit einer Person in sechs Lebensbereichen misst. Neben der Mobilität oder der Selbstversorgung bewertet das Modul 5 – insbesondere der Unterpunkt „Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen“ – den Bedarf an Unterstützung bei medizinisch verordneten Maßnahmen.
Ein Beispiel: Wer regelmäßig zu einer Physiotherapie begleitet werden muss oder zu Hause tägliche Übungen nur unter Aufsicht durchführen kann, erhält relevante Punkte im Pflegegrad-Gutachten. Diese Punkte können entscheidend sein, um überhaupt in die Pflegeversicherung aufgenommen zu werden.
Der unterschätzte Hebel: Modul 5 im Pflegegrad-Gutachten
Besonders wirkungsvoll sind hier die Untermodule:
- 5.11 – Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung
- 5.14 – Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen
Der Clou: Bereits zwei regelmäßige Therapie-Termine pro Woche – etwa bei der Logopädie oder Ergotherapie – können ausreichen, um relevante Punkte zu erzielen. Voraussetzung ist, dass die betroffene Person beim Aufsuchen der Praxis Hilfe benötigt, etwa beim Gehen, Umziehen oder im öffentlichen Verkehr. Begleitet eine dritte Person den Weg zur Therapie, wird der Unterstützungsbedarf anerkannt.
Auch das Durchführen von vom Arzt oder Therapeuten verordneten Übungen zu Hause zählt – vorausgesetzt, sie erfolgen regelmäßig (z. B. morgens und abends) und können nicht vollständig selbstständig umgesetzt werden.
Konkrete Umsetzung im Alltag: So funktioniert’s
Wer zum Beispiel Schwierigkeiten beim Gleichgewicht hat und beim Aufstehen vom Stuhl unsicher ist, kann im Rahmen eines Heimübungsplans gezielt gefördert werden. Wenn diese Übung – etwa aus der Physiotherapie – nur mit Begleitung durchgeführt werden kann, ergibt sich daraus Pflegebedarf. Auch bei Schluckstörungen (Logopädie) oder psychischen Beeinträchtigungen (z. B. Zwangsstörungen) können begleitende Maßnahmen wie Erinnerungshilfen durch Angehörige punktewirksam dokumentiert werden.
Für viele reicht bereits diese Kombination:
- Zwei Praxisbesuche pro Woche mit Unterstützung beim Weg dorthin
- Ein tägliches, begleitetes Heimtrainingsprogramm
Damit lassen sich bis zu 15 Punkte im Modul „Umgang mit der Erkrankung“ erzielen – genug für Pflegegrad 1.
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Pflegegrad beantragen: So holen Sie das Maximum heraus
Viele Betroffene und Angehörige wissen nicht, dass der Unterstützungsbedarf bei medizinischen Maßnahmen systematisch im Pflegegrad-Gutachten erfasst wird. Entsprechend fehlt oft eine klare Dokumentation. Dabei können schon einfache Maßnahmen entscheidend sein:
Nachweise über begleitete Praxisbesuche (z. B. Bestätigungen von Angehörigen oder Fahrdiensten)
Verordnete Therapiepläne mit Hinweisen zur Durchführung
Schriftliche Anleitungen vom Therapeuten zur Unterstützung durch Dritte
Ein besonderer Tipp: Auch bei psychischen Erkrankungen wie Zwangsverhalten, Depression oder psychosomatischen Störungen kann Hilfe durch das soziale Umfeld als pflegerelevant anerkannt werden. Voraussetzung ist, dass die Hilfe regelmäßig und konkret erforderlich ist – z. B. zur Einhaltung von Therapien oder zur Prävention schädlichen Verhaltens.
Praxisbeispiel: Pflegegrad trotz psychischer Einschränkungen
Ein Betroffener mit Dermatillomanie – dem Zwang, Hautunreinheiten zwanghaft zu bearbeiten – berichtete, dass er seine therapeutischen Übungen nur mit Unterstützung durchführen könne. Angehörige erinnern ihn aktiv, alternative Bewältigungsstrategien anzuwenden, da das Verhalten oft unbewusst geschieht. Die Einbindung des Umfelds wurde als unterstützungsrelevant gewertet – und trug zum Erreichen des Pflegegrads bei.
Mehr als nur „Tricks“: Ihr gutes Recht auf Unterstützung
Es geht nicht um Trickserei, sondern um berechtigte Leistungen. Pflegebedürftige haben ein Anrecht darauf, dass ihr tatsächlicher Unterstützungsbedarf vollständig berücksichtigt wird – auch wenn dieser nicht immer auf den ersten Blick sichtbar ist.
Gerade Menschen mit unsichtbaren Einschränkungen – psychisch, kognitiv oder neurologisch – profitieren davon, die Pflegebegutachtung gründlich vorzubereiten und zu wissen, welche Module im Begutachtungsprozess entscheidend sind.