Hartz IV: Beinahe ein Ein-Euro-Job

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Wie ich einmal beinahe einen Ein-Euro-Job bekommen hรคtteโ€ฆ
Aus dem aktuellen Sozialmagazin Mรผnchen.

Mehr als ein Jahr bin ich nun schon โ€œauf Hartz-IVโ€. Vielleicht war ich mit 63 doch zu alt fรผr einen Neuanfang? Niemand will mich haben. Halt nein! Mein Sozialdienst wรผrde mich schon gern beschรคftigen. Fรผr Hilfsdienste und fรผr einen Euro โ€“ pro Stunde. Beinahe hรคtte er mir sogar den Job besorgen kรถnnen. Hilfsarbeit, ein Ein-Euro-Job. Aber nur beinahe โ€ฆ

Immerhin hat mich mein Mรผnchner Sozialdienst aus dem Elend der Wohnungslosigkeit und dem stรคdtischen Obdachlosenheim
herausgeholt. In Mรผnchen kennt das jeder, heiรŸt nur kurz โ€œPilleโ€, von PilgersheimerstraรŸe, und ist das stรคdtische Unterkunftsheim fรผr Mรคnner. Wenigstens in eine betreute Mรคnner-WG hat man mich verfrachtet, eine schรถne Verbesserung. Dann habe ich sogar eine eigene, etwas schรคbige Wohnung bekommen, von der GEWOFAG, einer Wohnungsgesellschaft, gemeinnรผtzig, in Mรผnchen. Und mein Sozialdienst, ganz neu als โ€œFachdienst fรผr Wohnen in Mรผnchenโ€ ins Leben gerufen, eine Abteilung des KMFV Katholischer Mรคnner Fรผrsorge Verein, hat sich ein biรŸchen um mich gekรผmmert: Ein engagierter Einzel-Mitarbeiter hat wirklich getan was er konnte.

Sogar um einen Ein-Euro-Job hat er sich bemรผht, angemessen fรผr meine lebenslange Bรผro-Tรคtigkeit, die ich hinter mir habe. Den Gepรคcktrรคgerjob am Hauptbahnhof, 60 Stunden fรผr 100 Euro wollte ich nicht gerne รผbernehmen, irgendwie fรผhlte ich mich mit 63 und als โ€œBรผrohengstโ€ nicht mehr so fit und so geeignet dafรผr. Und das mit dem Ausbeuten durch die Stadt, oder die Bahn oder wer immer der โ€œArbeitgeberโ€ ist im Bahnhof, diese Ein-Euro- Sklavenarbeit war auch nicht so mein Ding. Mental. Obwohl ich das Geld gut hรคtte brauchen kรถnnen, der Hartz-IV-Regelsatz ist ja nicht so doll โ€ฆ

Eine Frage hรคtte ich da aber noch: Wieviele Koffer muรŸ man denn geschleppt haben, 200, 300, 1000 oder mehr, bis man wieder
die Qualifikation erworben hat, auf den normalen Arbeitsmarkt zurรผckkehren zu dรผrfen und dort eine ehrlich-bezahlte Arbeit zu bekommen? Wieviel Geld spart Staat, Stadt oder wer auch immer in dieser Zeit durch meinen Hungerlohn?

Andererseits nehme ich jemandem, der das gegen gutes Geld ganz gerne gemacht hรคtte doch auch einen lukrativen Job weg โ€“ oder
nicht? Die Trinkgelder fรผr die Koffertrรคger am Hauptbahnhof sollen nicht schlecht sein- hat mir ein Insider verraten. Die hรคtte ich
aber melden mรผssen, und das wรคre mir natรผrlich abgezogen worden, sicher, wenn man sogar einem Bettler seinen Bettellohn an- rechnet, wie in Gรถttingen geschehen.

Also hat es mir besser gefallen, als man auf die Idee kam, mir doch einen Job als eine Art Bรผrobote zu verschaffen. Hilfsarbeiten
in einer Sozialen Einrichtung. Akten von der Filiale in die Zentrale zu transportieren, Kopien zu machen, vielleicht auch โ€˜mal am PC im Internet etwas zu recherchieren. Papier nachfรผllen, oder zur Post zu gehen. Das ist schon sinnvoller โ€“ und entlastet die Sozial- pรคdagogen auch etwas, die dort eine Beschรคftigung gefunden haben. Die haben besseres zu tun โ€“ und sind fรผr solche Tรคtigkeiten auch noch viel zu gut bezahlt. Das wรคre schon eine Entlastung gewesen.

Hรคtte ich gerne gemacht: RegelmรครŸige Arbeit, nicht nur im Bรผro auch unterwegs mit รถffentlichen Verkehrsmitteln, wรคre schon was gewesen fรผr mich. Auch wenn es natรผrlich schon staatliche Sklavenarbeit ist, Lohnwucher sowieso, Ausnutzung einer Notlage, naja, das kommt noch dazu. Mindestlohn gibtโ€™s ja noch nicht. Aber so ist das heutzutage, wenn Du am Boden liegst findet sich immer noch einer, der noch drauftritt und noch etwas aus dir herausholt. Deswegen: Mach ich! Den Job. Ich bin auch gleich hin, zu der Stelle, die mir diesen Job verschaffen kann. Die hat ganz freundliche Mitarbeiter. Sozialpรคdagogen diplomiert, erfahrene Spezialisten. Die haben sich meinen Fall angehรถrt, natรผrlich muรŸte ein Fragebogen ausgefรผllt werden und alles erklรคrt, gesundheitlich bin ich ja ganz in Ordnung und arbeitsfรคhig, auch arbeitswillig, wie man sieht. Zu allen Schandtaten bereit, ha! Sogar zu einem Ein-Euro-Job!

Zu allem fรคhig โ€“ aber zu nichts zu gebrauchen?
Mental habe ich mich schon auf den Job eingestellt, regelmรครŸige Arbeitsstunden, natรผrlich erst ab 9.00 Uhr, denn vorher gilt mein Sozialticket hier in Mรผnchen nicht. Das Geld hรคtte ich bitter nรถtig, obwohl es natรผrlich schon eine Schande ist fรผr Politik und Gesellschaft jemanden fรผr 1 Euro und 30 Cents malochen zu lassen. Aber man ist ja willig! Maximal 30 Stunden in der Woche werden zugestanden, etwa 130 im Monat โ€“ fรผr maximal 150 Euro. Sagt man mir. Umgerechnet? Ja, das sind 1,15 Euro die Stunde. Toller Stundenlohn! Ich bin begeistert!

Antrag also gestellt, in Zusammenarbeit mit fachlich kompetenten diplomierten Sozialpรคdagogen, unterschrieben, alles positiv, mental darauf eingestellt, vorbereitet, vorgefรผhlt bei der ARGE, diesem grundgesetzwidrigen Verwaltungs-Konstrukt das fรผr Langzeitarbeitslose und Sozialgeld zustรคndig ist. Auch positiv.

Klappt ja alles โ€“ und dann kam der Gegenschlag:
Nicht offiziell, nein, nur so zwischen Tรผr und Angel, im Vorbeigehen hieรŸ es dann: โ€œโ€ฆ das mit dem Job klappt รผbrigens nichtโ€ฆ.โ€ Warum? Nun, da gibt es irgendwo, im Sozialgesetzbuch anscheinend, einen Paragraphen 428. Denn hatte man mir beim ersten Hartz-IV-Antrag โ€œnahegelegtโ€. Der sagt im Prinzip, daรŸ man ab dem hohen Alter von 58 Jahren โ€œdem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfรผgung stehen muรŸโ€. Bis zur Rente, die es fรผr mich noch nicht gibt โ€“ weil ich noch keine 65 war, erst 63, damals. Das hat fรผr die Politik und die augenwischende Statistik den Vorteil, daรŸ man darin nicht mehr als โ€œarbeitssuchendโ€ oder Arbeitsloser, oder gar โ€œLangzeitarbeitsloserโ€ mehr auftaucht. Schรถn โ€“ geschรถnt.

Fรผr den Unterzeichner dieser Sonderregelung hat es den Vorteil, daรŸ er keine Bewerbungen mehr schreiben muรŸ, die ja ohnehin in meinem hohen Alter von 63 Jahren ziemlich vergeblich gewesen wรคren. Oder etwa nicht? Oder kann sich jemand vorstellen einen Bรผrohengst fรผr die Restlebenszeit von hรถchstens 2 Arbeitsjahren mit Begeisterung einzustellen? Wo vor allen Tรผren 20 jรคhrige Jugendliche stehen, aller Art, und mit den FรผรŸen scharren โ€“ und fรผr einen Job fast alles tun?

Naja, das war so der Paragraph, der meinem Ein-Euro-Job wohl das Genick gebrochen hat: Ein-Euro-Jobs sind nรคmlich dazu da, den Job-Inhaber wieder auf den normalen, ersten Arbeitsmarkt zurรผckzufรผhren! Aha! Das sagt man wenigstens โ€“ aber die wenigsten glauben das auch. Da ich das aber per Unterschrift unter den schรถnen Paragraphen zugestimmt habe, entfรคllt diese Voraussetzung fรผr den ausbeuterischen Job als Bรผrobote. Hoppla!

Mit inzwischen 64 muรŸ man nicht mehr "zurรผckgefรผhrt" werden. Nein, eigentlich muรŸ man ausgeschieden werden. Also nichts mit Job, nichts mit geregelter Arbeit, nichts mit Selbstausbeutung, nichts mit einem strukturellen Aufbau meines Tagesablaufs, nix mit 150 Euro "Zusatzgehalt" fรผr 130 Stunden Arbeit im Monat. Aber auch nichts mit Versklavung, Selbstausbeutung, Ausbeutung durch Staat und Stadt und Hilfsarbeiten fรผr eine Sozialeinrichtung. Auch dieser Krug ist an mir vorรผbergegangenโ€ฆ. Alles hat auch seine guten Seiten! Toll! Es bleibt โ€“ die Erinnerung โ€ฆ... wie ich einmal beinahe einen Ein- Euro-Job bekommen hรคtte โ€ฆ. (c) Sozialmagazin, 04.08.2009)

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