Fast genau drei Jahre nach dem Rechtskreiswechsel, der schutzsuchenden Ukrainerinnen und Ukrainern seit Juni 2022 den direkten Zugang zum Bürgergeld eröffnete, will die schwarz-rote Bundesregierung die Sonderregel abschaffen.
Künftig sollen alle, die ab 1. April 2025 einreisen, wieder nach den deutlich niedrigeren Sätzen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) unterstützt werden.
Die Koalition begründet den Schritt mit dem Ziel, Leistungen für verschiedene Schutzgruppen anzugleichen und „Sozialleistungsmissbrauch entschlossener zu bekämpfen“ – so wörtlich im Koalitionsvertrag.
Auswirkungen des Rechtskreiswechsels
Deutschland hat laut Ausländerzentralregister inzwischen gut 1,25 Millionen in der Bundesrepublik lebende Kriegsvertriebene aus der Ukraine registriert; 1,65 Millionen waren es zeitweilig seit Beginn des russischen Angriffs.
Für sie galt bislang Sozialrecht nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II), weil der Bundestag im Mai 2022 aus humanitären und verwaltungspraktischen Gründen einen Wechsel aus dem AsylbLG beschlossen hatte.
Die Jobcenter boten damit Integrationsleistungen aus einer Hand – von Sprachkursen bis zur Arbeitsvermittlung.
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Was sich bei den Leistungen ändert
Mit der Rückkehr ins AsylbLG sinken die monatlichen Regelsätze spürbar: Ein alleinstehender Erwachsener bekäme künftig 441 Euro statt 563 Euro, Paare erhielten 397 Euro statt 506 Euro; auch für Kinder fällt das Minus je nach Altersstufe zweistellig aus.
Die Differenz entspricht nahezu einem Fünftel der bisherigen Grundsicherung. Da das AsylbLG zudem Vorrang für Sach- statt Geldleistungen vorsieht und striktere Wohnsitzauflagen enthält, verschärfen sich die materiellen Bedingungen weiter.
Union und SPD betonen, die Reform sei eine Frage der „Glaubwürdigkeit des Sozialstaats“. Dennoch zeigt eine aktuelle Kalkulation des Bundesfinanzministeriums, dass die Einsparungseffekte begrenzt bleiben:
Zwar entlaste der niedrigere Regelsatz den Bundeshaushalt, doch parallele Ausgleichszahlungen an Länder und Kommunen wirken gegenläufig. Der Etatposten Grundsicherung steigt 2025 trotzdem auf knapp 52 Milliarden Euro – ein Rekordwert.
Arbeitsmarktintegration unter Druck
Forschende des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung warnen davor, dass Kürzungen ausgerechnet jene treffen, die ihre Arbeitsmarktintegration noch nicht abschließen konnten.
Erwerbstätig sind derzeit erst grob ein Drittel aller in Deutschland lebenden Ukrainerinnen und Ukrainer; bei Frauen ist die Quote noch niedriger, weil Kinderbetreuung, Sprachbarrieren und Unsicherheit über die Aufenthaltsdauer hemmen.
Sinkende Leistungen könnten den Druck erhöhen, jede kurzfristige Erwerbsgelegenheit anzunehmen – selbst wenn sie nicht qualifikationsadäquat ist. Langfristig, so IAB-Forscher Enzo Weber, drohe das Ziel verlässlicher Fachkräftesicherung aus dem Blick zu geraten
welt.de
Kritik
Kirchliche Wohlfahrtsverbände kritisieren die Pläne als integrationspolitischen Rückschritt. Die Diakonie wirft der Regierung vor, humanitäre Standards zu unterlaufen und Geflüchtete in prekäre Lebenslagen zu drängen.
Auch sozialrechtliche Bedenken werden laut: “Eine rückwirkende Anwendung des Stichtags, wie sie erwogen wird, könnte gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoßen, warnt. Dr. Utz Anhalt von Gegen-Hartz.de.
Rechtlich bleibt der vorübergehende Schutz nach § 24 AufenthG unangetastet, weil die EU-Massenzustrom-Richtlinie bis März 2026 verlängert wurde. Doch Brüssel lässt den Mitgliedstaaten Spielraum bei den Sozialleistungen.
Anhalt hält daher Klagen gegen die Absenkung zwar für möglich, aber nicht zwingend aussichtsreich – entscheidend dürfte sein, ob das Existenzminimum verfassungsrechtlich gewahrt bleibt.
Entscheidung noch vor der Sommerpause
Der Gesetzentwurf soll noch vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause verabschiedet werden und rückwirkend gelten. Ob die Regierung diesen ehrgeizigen Zeitplan einhält, entscheiden die Anhörungen im Ausschuss für Arbeit und Soziales in den kommenden Wochen.
Sollte das Vorhaben scheitern, bliebe die bisherige Regelung bestehen – doch politisch ist die Rückkehr ins AsylbLG zur symbolträchtigen Kraftprobe geworden.