GEZ: Übermorgen könnte der Rundfunkbeitrag kippen

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Kippt die Beitragspflicht? Der Rechtsstreit um den ÖRR vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Am 1. Oktober 2025 verhandelt das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig einen Fall, der weit über den Einzelfall hinausweist: Eine Beitragszahlerin klagt gegen die Pflicht, den Rundfunkbeitrag zu entrichten.

Prozessführer ist der Münchener Rechtsanwalt Dr. Harald von Herget. Seine zentrale These: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) verfehle „strukturell“ seinen gesetzlichen Auftrag zur Vielfaltssicherung – mit möglichen Folgen für das gesamte Beitragssystem. Beklagter ist der Bayerische Rundfunk (BR).

Was wird konkret verhandelt?

Das Revisionsverfahren soll klären, ob Bürgerinnen und Bürger selbst dann zur Zahlung verpflichtet sind, wenn der ÖRR seinem Auftrag zur Sicherung der Meinungsvielfalt nicht hinreichend nachkommt.

Das BVerwG hat am 23. Mai 2024 die Revision zugelassen – wegen „grundsätzlicher Bedeutung“ im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Entschieden werden soll damit nicht nur, wie der konkrete Sender seinen Auftrag erfüllt, sondern ob ein etwaiger struktureller Auftragsschwund überhaupt beitragsrechtliche Konsequenzen auslösen kann. Das Aktenzeichen lautet BVerwG 6 C 5.24.

Von Herget führt das Verfahren und verweist auf die Unterstützung renommierter Juristen. Beraterisch eingebunden sind unter anderem der Düsseldorfer Rechtsanwalt Carlos A. Gebauer sowie der Leipziger Staats-, Medien- und Verwaltungsrechtler Prof. Dr. Hubertus Gersdorf.

Diese  Aufstellung soll den Anspruch der Klägerseite zeigen, dass die Debatte nicht nur prozessual, sondern auch grundsätzlicher verfassungs- und medienrechtlicher Natur geführt werden soll.

Drei denkbare Entscheidungspfade

Von Herget skizziert drei Szenarien, die das Gericht einschlagen könnte. Erstens könnte der BR obsiegen. In diesem Fall sieht der Anwalt den Weg nach Karlsruhe, um vor dem Bundesverfassungsgericht effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG einzufordern.

Zweitens könnte die Klägerin gewinnen. Dann müsste das BVerwG voraussichtlich auch die Frage klären, ob dem Beitragszahler ein subjektives Klagerecht zusteht und welche verfassungsrechtlichen Argumente einem solchen Anspruch entgegenstehen könnten.

Drittens wäre eine Zurückverweisung denkbar: Wenn das Gericht weiteren Klärungsbedarf auf der Tatsachenebene sieht, könnte der BayVGH beauftragt werden, nachvollziehbare Kriterien für den Nachweis der Erfüllung des Vielfaltsauftrags zu entwickeln.

Bemerkenswert: Von Herget wertet auch eine solche Zurückverweisung als Erfolg, weil sie den Prüfmaßstab für die Zukunft schärfen würde.

Das mögliche Erdbeben für das Beitragssystem

Sollten die Richter in Leipzig zu der Überzeugung gelangen, dass der ÖRR seine Pflicht zur Vielfaltssicherung „strukturell“ verfehlt, stünde – so die Lesart der Klägerseite – das gesamte Beitragssystem zur Disposition.

Denn die verfassungsrechtliche Legitimation des besonderen Finanzierungsmodells speist sich auch aus dem besonderen Funktionsauftrag.

Wenn dieser Auftrag nicht erfüllt wird, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob die Grundlage für eine allgemeine Beitragspflicht weiterhin trägt – und, falls nicht, in welcher anteiligen Höhe der Beitrag möglicherweise nicht geschuldet wäre.

Empirie als Hebel: Die „Media-Tenor“-Analysen

Zur Untermauerung verweist die Klägerseite auf Langzeitanalysen des Schweizer Medienbeobachters „Media Tenor“. Dessen Forscher hätten seit drei Jahrzehnten zentrale Nachrichtenformate wie „Tagesschau“, „Tagesthemen“, „heute“ und „heute journal“ sowie Wirtschafts- und Sportsendungen „tagtäglich erfasst und ausgewertet“.

Aus Sicht von Hergets soll diese Datenbasis belegen, dass der ÖRR den gesetzlichen Auftrag zur Vielfaltssicherung nicht erfüllt.

Für die Leipziger Richter stellt sich damit auch die methodische Frage: Inwieweit taugen solche Inhaltsanalysen als Beleg für strukturelle Defizite, und wo verläuft die Schwelle zwischen programmlicher Schwerpunktsetzung und rechtserheblicher Pflichtverletzung?

Die Debatte berührt auch einen heiklen Punkt der Rundfunkverfassung: Der Funktionsauftrag des ÖRR ist traditionell objektiv-rechtlich verankert.

Ob und in welchem Umfang einzelne Beitragszahler subjektiv-rechtliche Ansprüche aus einer möglichen Pflichtverletzung herleiten können, ist umstritten.

Genau hier könnte das BVerwG Leitplanken setzen – entweder, indem es ein Klagerecht bejaht und ausdifferenziert, oder indem es die Hürden hoch ansetzt und auf die politische beziehungsweise medienaufsichtsrechtliche Ebene verweist.

Die Klägerseite argumentiert, dass die Beitragspflicht mit einem individuellen, grundrechtlich geschützten Vorteil – der freien politischen Willensbildung – begründet werde; aus dieser Begründung folge dann auch die Möglichkeit, einen Anspruch auf Vielfaltssicherung geltend zu machen.

Reformdruck und die Frage nach der Wirksamkeit

Politisch stehen Reformen des ÖRR seit Längerem auf der Agenda. Von Herget zeigt sich dennoch skeptisch, ob gesetzliche Nachjustierungen allein rasch „Besserung in Sachen Vielfalt und Objektivität“ bewirken.

Der Medienstaatsvertrag enthalte die einschlägigen Anforderungen bereits; entscheidend seien „die Köpfe“, die diese Anforderungen in den Redaktionen tatsächlich leben.

Diese Perspektive verschiebt den Blick von abstrakten Strukturdebatten hin zur redaktionellen Praxis – und damit zu Kriterien, an denen sich Vielfalt im Programm konkret festmachen lassen muss.

Die Klägerin verfügt nach Darstellung der Prozessvertreter nicht über ausreichende Mittel; die Arbeit werde durch Spenden getragen, die über den Bund der Rundfunkbeitragszahler gesammelt werden.

Die Position des BR

Der Beklagte, der Bayerische Rundfunk, hält sich – wie in laufenden Verfahren üblich – mit Stellungnahmen zurück. Der Sender beantwortete auch auf Nachfrage unserer Redaktion keine Fragen zur eigenen Verhandlungsstrategie oder zu möglichen Konsequenzen eines Unterliegens.

Für die Prozessbeobachtung heißt das: Die Argumente des BR werden sich erst in der mündlichen Verhandlung und in den Schriftsätzen entfalten

Was in Leipzig auf dem Spiel steht

Die Verhandlung vor dem BVerwG ist in mehrfacher Hinsicht ein Lackmustest. Zum einen prüft sie die Tragfähigkeit eines Finanzierungsmodells, das seinen verfassungsrechtlichen Sinn aus dem besonderen Informationsauftrag bezieht.

Zum anderen zwingt sie zu einer methodisch belastbaren Bestimmung dessen, was „Vielfaltssicherung“ im täglichen Programm tatsächlich heißt und wie sich Abweichungen von diesem Anspruch rechtlich greifen lassen. Je nachdem, welchen Pfad das Gericht wählt – Bestätigung der bisherigen Linie, Korrektur mit justiziablen Individualansprüchen oder Remittierung zur Tatsachenaufklärung – dürfte das Urteil entweder Ruhe in eine hitzig geführte Debatte bringen oder sie auf eine neue, präzisere Grundlage stellen.

Ausblick

Am 1. Oktober 2025 wird Leipzig zum Forum einer Grundsatzentscheidung über das Verhältnis von Beitrag, Auftrag und Rechtsschutz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Ob das Verfahren am Ende die Beitragspflicht ins Wanken bringt, den Prüfmaßstab für journalistische Vielfalt schärft oder „nur“ prozessuale Weichen stellt – es wird die Rundfunkordnung in Deutschland nachhaltig prägen.