Immer wieder kommt es vor, dass trotz eindeutiger Rechtslage und Rechtsprechung bestimmte Mehrbedarfe beim Bürgergeld den Jobcentern nicht bekannt sind. Auch im Widerspruchsverfahren werden Ansprüche oft abgelehnt, so dass dann die Gerichte entscheiden müssen.
Wir haben mit Jens E. gesprochen, der gerade vor dem Sozialgericht Hannover Recht bekommen hat (AZ: S 77 AS 986/22), weil ihm der Mehrbedarf für die dezentrale Warmwasseraufbereitung seitens des Jobcenters trotz Widerspruchsverfahren verwehrt wurde.
Das Jobcenter verweigerte Ihnen den Mehrbedarf für die dezentrale Warmwasseraufbereitung, obwohl das Bundessozialgericht hierzu bereits 2022 eindeutig geurteilt hatte. Was war die Begründung?
Vorweggenommen: Das Jobcenter reagierte in den 2 Ablehnungsschreiben nicht einmal auf die Ausführungen des besagten Bundessozialgerichtsurteils (Az: B 7/14 AS 1/21 R), obwohl dies zwei mal – bei Antragstellung und Widerspruch – explizit Erwähnung fand und ich sogar den Wegfall des Zündstromes erwähnte.
In der Begründung ging das Jobcenter lediglich auf deren heiligen “Grahl” den sogenannten “Zündstrom” ein und das damit sowieso schon alle Kosten gedeckt seien. Dass das Bundessozialgericht aber urteilte, das dies eben nicht ausreichend sei, das hat man wohl nicht lesen und oder verstehen wollen. Das damit gesetzlich zustehende Leistungen unterschlagen werden, mag man ebenfalls nicht wahr haben.
Als Beispielrechnung nehmen wir an, Sie, liebe Leser, haben 100 EUR monatliche Gaskosten bei Ihrem Energieversorger. Die 5% “Zündstrom” würden dann 5 EUR monatlich Extra ausmachen, die Sie zur Begleichung Ihrer Stromkosten zusätzlich zur Verfügung haben.
Gesetzlich stehen ihnen aber 2,3% (als alleinige Bedarfsgemeinschaft, Abstufungen stehen im §21 Abs. 7 SGBII) des Grundbedarfs zur dezentralen Erwärmung des Kaltwassers zu. Dies waren in 2022 10,33EUR. Sie sehen eine Unterschlagung des Jobcenters in Höhe von >100% gem. dem BSG Urteil!
Nachdem ihr Widerspruch abgelehnt wurde, reichten Sie eine Klage beim Sozialgericht Hannover ein. Was passierte dann?
Eine Zeit lang nichts, außer Warten. Nachdem der Termin für die Verhandlung angesetzt war, wurden ca. 14 Tage vorher “elektron. EILT!!-Meldungen” zwischen dem Gericht und dem Jobcenter ausgetauscht, worin man der Behörde nahelegte, das gemäß “JURIS-PK” (die Autoren sind alle hochkarätige Mitglieder in verschieden Sozialgerichten, dem BSG selbst und, soweit ich mich recht erinnere, alle mit dem DR. Titel ausgestattet) die Betriebskosten der Kombitherme als Mehrbedarf nach §21 Abs. 7 zu übernehmen sind (juris-PK, §21 SGB II. Rdnr. 143.1). Ein Anspruch auf Zündstrom dürfte nebenbei nicht mehr bestehen.
Man bat das Jobcenter zu prüfen, ob eine prozessbeendende Erklärung abgegeben werden könne.
Und Tatsächlich. Das Jobcenter reagierte prompt und ließ eine allumfassende Anerkennung der Übernahme nach §21 Abs.7 SGB II inkl. außergerichtliche Kosten dem Gericht zukommen.
Daraufhin bat mich das Gericht zu entscheiden. Ich lehnte ab, da ich unter anderem ein belastbares Urteil gesprochen haben wollte, was anderen Bürgergeld-Betroffenen deren Antragstellung wesentlich erleichtern sollte. Es bestand demnach ein sog. “höheres öffentliches Interesse”.
Was kam bei der Verhandlung raus?
Ernüchterung! Die Vorsitzende Richterin der 77. Kammer setzte mich sehr stark unter Druck. Ich solle doch endlich die Anerkennung im Rahmen eines Vergleiches annehmen, da sie wohl kein Grundsatzurteil fällen könne und ich ja mit der Anerkenntnis der Behörde für weitere Bewilligungszeiträume kein Probleme haben würde.
Dies verneinte “glücklicherweise” der Beklagtenvertreter, indem er sinngemäß sagte ” nun, so sicher sei dies nicht”, was mich nach längerem Hin und Her bestärkte, mit dem Urteil eine Rechtssicherheit zu schaffen. Ich habe demnach auf ein Urteil bestanden.
Daraufhin wurde das Jobcenter dann verurteilt, die im Anerkennungsschreiben genannten Beträge auszuzahlen.
Wie wollen Sie nun weiter vorgehen?
Meine außergerichtlichen Nebenkosten, welche in der Verhandlung als Pauschalbetrag vereinbart wurden, will ich einfordern. Den Mehrbedarf aufgrund des Urteils und der Anerkenntnis für den laufenden Bewilligungszeitraum (Welcher sich den anerkannten Zeiträumen anschließt) einfordern und einen Überprüfungsantrag inkl. Nachforderung gem. §44 SGB X stellen, welcher dann die Zeit vor der Antragstellung abdeckt.
Aber hier hatte ich bereits einen Fehler gemacht, da ich naiverweise immer an das Gute im Menschen glaubte und den Überprüfungsantrag gem. §44 SGB X bereits mit der Antragstellung für den Mehrbedarf hätte einreichen müssen.
Möchten Sie noch etwas unseren Lesern mit auf den Weg geben?
Ja. Ich hoffe ich konnte ermuntern, ebenfalls nun verstärkt, wenn Leistungsbeziehende betroffen sind, den Mehrbedarf aufgund der 2 Urteile einzufordern, wobei jedoch erwähnt werden muß, dass mein Anerkenntnisurteil sicher nicht die Wirkung hat, wie das BSG Urteil selbst, da die Anerkenntnis lediglich die Jobcenter der Region Hannover betreffen. Jedoch ist hier ein Umdenken im Gange, das nun angestoßen wurde.
Machen Sie nicht den Fehler wie ich und gehen ohne Rechtsbeistand in die Klage! Denn, wie ich am eigene Leib erfahren musste, sind die Gerichte überlastet und drängen daher gern auf die Anerkennung ohne Urteil, um sich das Leben leichter zu machen! Dann aber haben Betroffene schlechtere Karten in der Hand, als die ihnen ein Urteil geben würde. Schon in der Widerspruchsbegründung sollten Betroffene einen Anwalt hinzuziehen, da da bereits wichtige Weichen gestellt werden.
Mein Dank geht an die Redaktion gegen-hartz.de. Dank Eurer Infos hatte ich erst über das Urteil des BSG erfahren und habe dies noch am selbigen Tage in einen Antrag verarbeiten können, was nun letztendlich zu dem Anerkenntnisurteil führte. Da ihr Eure Arbeit kostenfrei anbietet, darf dies nicht unerwähnt bleiben. Danke!
Herzlichen Dank für das Interview!