Geheim gehaltene Studie zeigt, dass Bürgergeld Regelsätze viel zu niedrig sind

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Bundesarbeitsminister Hubertus Heil müsste es eigentlich besser wissen, dennoch wird der Regelsatz des Bürgergeldes nicht erhöht, sondern 2025 eingefroren.

Eine bisher unveröffentlichte Studie zeigt, dass die Regelleistungen nicht ausreichen, um eine ausgewogene Ernährung der Kinder zu gewährleisten.

Studie bleibt unter Verschluss

Ein bislang unveröffentlichtes Gutachten der Universitätskinderklinik Bochum, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegeben wurde, zeigt, dass eine gesunde und ausgewogene Ernährung von Kindern schlichtweg mit dem derzeitigem Regelsatz nicht möglich ist.

Eine gesunde Entwicklung von Kindern hängt maßgeblich von einer ausgewogenen und nährstoffreichen Ernährung ab. Kinder benötigen Vitamine, Mineralstoffe und andere essentielle Nährstoffe, um zu wachsen, sich zu konzentrieren und ein starkes Immunsystem aufzubauen.

Eine unzureichende Versorgung kann zu langfristigen gesundheitlichen Problemen führen, darunter Wachstumsstörungen, Konzentrationsschwächen und ein erhöhtes Risiko für chronische Erkrankungen.

Studien zeigen, dass eine ausgewogene Ernährung mehr kostet als eine kaloriendichte, aber nährstoffarme Ernährung, die oft auf günstige Grundnahrungsmittel wie Nudeln oder Brot zurückgreift. Diese Lebensmittel machen zwar satt, tragen jedoch kaum zu einer ausreichenden Vitamin- und Nährstoffversorgung bei.

Was zeigt das Gutachten der Universitätskinderklinik Bochum?

Das Gutachten, das vom Forschungsdepartment Kinderernährung (FKE) der Universitätskinderklinik Bochum erstellt wurde, basiert auf Preisanalysen von November 2022. Es nutzt das Modell einer „optimierten Mischkost“, das von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung als das aktuelle Standardmodell für eine gesunde Kinderernährung anerkannt ist.

Die Ergebnisse des Gutachtens sind alarmierend: Für Kinder bis sechs Jahre beträgt der durchschnittliche monatliche Betrag für eine gesunde Ernährung rund 95,49 Euro, was dem Betrag entspricht, der Bürgergeldempfängern laut Regelsatz für Lebensmittel zur Verfügung steht.

Für ältere Kinder und Jugendliche liegt der errechnete Bedarf jedoch etwa zehn Prozent über den gewährten Sozialleistungen.

Besonders kritisch ist die Situation bei männlichen Jugendlichen ab 15 Jahren, deren Kalorienbedarf signifikant höher ist. Hier ergeben sich Kosten von rund 199 Euro im Monat, während das Bürgergeld nur 166 Euro vorsieht – eine Differenz von fast 20 Prozent.

Diese Zahlen zeigen eine klare Deckungslücke auf, die durch den Anstieg der Lebensmittelpreise im Jahr 2023 weiter verschärft wurde.

Warum wurde das Gutachten nicht veröffentlicht?

Trotz der Erkenntnisse hält das Bundesministerium für Arbeit und Soziales das Gutachten seit Mitte 2023 unter Verschluss.

Die Linken kritisieren diese Entscheidung scharf und werfen der Bundesregierung vor, “Kinderarmut nicht mit der nötigen Priorität zu behandeln”.

Heidi Reichinnek, Vorsitzende der Gruppe Die Linke im Bundestag, spricht von einem „absoluten Unding“, dass die Expertise trotz ihrer wichtigen Erkenntnisse nicht öffentlich gemacht wurde und die Regelsätze für das Bürgergeld nicht angepasst wurden.

Das Ministerium selbst weist die Interpretation des Gutachtens zurück. Es argumentiert, dass der Regelsatz beim Bürgergeld ein Pauschalbetrag sei, der nicht speziell für Nahrungsmittel oder andere Verwendungszwecke festgelegt werde. Zudem basiere die Berechnung der Regelsätze auf Haushaltsbefragungen aus dem Jahr 2018 und werde nur alle fünf Jahre erneuert.

Die jährlichen Anpassungen an Lohnentwicklungen und Inflation würden zwar berücksichtigt, aber nicht auf spezifische Konsumbereiche wie Ernährung heruntergebrochen.

Welche Auswirkungen hat eine unzureichende Ernährung auf Kinder?

Wissenschaftler warnen seit Jahren vor den Folgen einer unzureichenden Ernährung bei Kindern, insbesondere in ärmeren Familien. Mangelernährung führt nicht nur zu körperlichen Problemen wie Wachstumsverzögerungen, sondern beeinträchtigt auch die kognitive Entwicklung und das soziale Verhalten von Kindern.

Eine Ernährung, die auf billigen, nährstoffarmen Lebensmitteln basiert, kann langfristig die Gesundheit gefährden und die Chancen der Kinder auf eine erfolgreiche schulische und berufliche Zukunft schmälern.

Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesernährungsministeriums hat bereits in früheren Berichten auf „armutsbedingte Mangelernährung“ und die zunehmende Gefahr von Hunger in Deutschland hingewiesen.

Diese Entwicklungen sind nicht nur das Resultat schlechter Essgewohnheiten, sondern oft auch der Tatsache geschuldet, dass das Geld für eine gesunde Ernährung schlicht nicht ausreicht.

Verstoß gegen das Menschenrecht auf angemessene Nahrung

Juristische Gutachten, wie das Ende 2023 von Hamburger Juristen im Auftrag der Linken erstellte, gehen sogar so weit, die gegenwärtige Situation als Verstoß gegen das Menschenrecht auf angemessene Nahrung zu bewerten.

Die Bundesregierung stehe in der Pflicht, eine gesunde Ernährung für alle Bevölkerungsteile sicherzustellen. Dieses Menschenrecht sei derzeit in Deutschland nicht erfüllt, da das Bürgergeld nicht ausreiche, um den Bedarf an gesunden Lebensmitteln zu decken.

Politische Forderungen, das Bürgergeld an die realen Lebenshaltungskosten und die spezifischen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen anzupassen, werden immer lauter.

Die Linke fordert eine deutliche Erhöhung der Regelsätze der Regelsätze in der Grundsicherung und Bürgergeld, um Kinderarmut zu bekämpfen und eine gesunde Entwicklung sicherzustellen.

Muss das Bürgergeld angepasst werden?

Die Frage, ob das Bürgergeld für eine gesunde Kinderernährung ausreicht, lässt sich angesichts der vorliegenden Fakten eindeutig verneinen. Die Kosten für eine ausgewogene Ernährung übersteigen in vielen Fällen die zur Verfügung gestellten Beträge, was vor allem für ältere Kinder und Jugendliche gilt.

Die Nichtveröffentlichung des Gutachtens und das Fehlen einer armutsfesten Berechnung der Regelsätze  seitens der Ampel-Koalition lassen vermuten, dass das Wohl der Kinder in Familien, die vom Bürgergeld abhängig sind, anscheinend nicht sehr wichtig erscheinen.

Armutsfeste Regelsätze

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hatte kürzlich ein Gutachten veröffentlicht, in dem die tatsächlichen Regelleistungen berechnet wurden, wenn sie denn armutsfest sein sollen. Der Regelbedarf müsste laut der Ausarbeitung mindestens 813 Euro (Eckeregelsatz, Single) betragen.