Bürgergeld: Jobcenter darf Geldgeschenk zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit nicht anrechnen

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Eine zweckgebundene Geldschenkung der Mutter und der Schwester der Bürgergeldempfängerin in Höhe von ca. 3.274,00 € zur Begleichung rückständiger Nebenkosten der Eigentumswohnung der Leistungsempfängerin ist vom Jobcenter nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Die Schuldentilgung diente der Vermeidung von Wohnungslosigkeit.

Hätte die Hilfeempfängerin nämlich ihr Wohneigentum verloren, hätte das Jobcenter ihr eine Mietwohnung finanzieren müssen.

Angemessener Wohnraum steht jedem Leistungsberechtigten nach dem SGB II zu. Damit liegt ein Fall des § 11 a Abs. 5 Nr. 2 SGB II vor. Verhandelt und entschieden vom SG Chemnitz, Urt. v. 14.02.2019 – S 10 AS 531/18 –

Abwendung von Wohnungslosigkeit – sittliche Pflicht zum Unterhalt – § 11 a Abs. 5 Nr. 2 SGB II –

Tilgung von Wohnungsschulden

Nach Auffassung der Kammer war der Betrag in Höhe von 3.274,13 Euro zur Tilgung der Schulden für die Wohnung bestimmt, da der Betrag nicht für den Verbrauch zum Lebensunterhalt vorgesehen war.

Eine rechtliche Pflicht der Mutter und der Schwester der Leistungsbezieherin für die erwähnten Zuwendungen ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere besteht auch keine gesetzliche Unterhaltspflicht.

Geschwister sind untereinander nicht zum Unterhalt verpflichtet.

Die 1962 geborene Klägerin hat auch keine gesetzlichen Unterhaltsansprüche mehr gegenüber ihrer Mutter.

Zur sittlichen Verpflichtung zu einer Leistung meint Geiger im Kommentar von Münder, 6. Auflage 2017, Rdnr.: 17 zu § 11 a SGB II, dass von einer allgemein verbreiteten sittlichen Überzeugung, dass nicht unterhaltsberechtigte Verwandte zu unterstützen sind, nicht die Rede sein kann.
Eher gelte, dass bei Fehlen einer rechtlichen Unterhaltspflicht auch sittlich kein Unterhalt gewährt werden müsse.

Im Interesse einer einheitlichen Rechtsanbindung schließt sich das Gericht dieser Ansicht an.

Eine sittliche Unterhaltspflicht besteht nur dann, wenn auch eine rechtliche Unterhaltspflicht vorliegt.

3.274,13 Euro wurden an die Hausverwaltung zur Tilgung bestehender Nebenkosten überwiesen. Der Betrag sei ausschließlich zu diesem Zweck an die Beschwerdeführerin überwiesen worden.

Der Betrag war nicht für die allgemeine Lebensführung bestimmt und wurde auch tatsächlich nicht so verwendet.

Die Schuldentilgung diente daher nach Auffassung der Kammer der Vermeidung von Obdachlosigkeit.

Angemessener Wohnraum steht jedem SGB II-Leistungsberechtigten zu

Eine Besserstellung der Klägerin gegenüber anderen Leistungsberechtigten ist insoweit nicht ersichtlich.

Bei Nichtzahlung der Nebenkosten hätte die Klägerin ihre Wohnung verloren, das Jobcenter hätte ihr aber eine Mietwohnung finanzieren müssen.

Der tatsächliche Ablauf war nach Ansicht des Gerichts eher günstig für das Jobcenter, da bei einem erzwungenen Auszug aus dem selbstgenutzten Wohneigentum das Jobcenter eine angemessene Mietwohnung hätte finanzieren müssen.

Nach Auffassung des Gerichts liegt ein Fall des § 11 a Abs. 5 Nr. 2 SGB II vor. Offen bleiben konnte, ob auch ein Fall des § 11 a Abs. 5 Nr. 1 SGB II vorliegt.

Das Gericht neigt hier zu einer Bejahung, da die Zuwendungen nicht zum Verbrauch für den Lebensunterhalt bestimmt waren und auch tatsächlich nicht so verwendet wurden.

Praxishinweis: Geldgeschenk darf Regelleistung nicht mindern – BSG-Urteil

BSG, Urt. v. 17.07.2024 – B 7 AS 10/23 R –

Jobcenter darf Geldgeschenk der Mutter für dringende Dachreparatur nicht anrechnen

1. Eine Zuwendung der Mutter für eine Dachreparatur stellt kein anrechenbares Einkommen der hilfebedürftigen Tochter dar.

2. Es liegt eine grobe Unbilligkeit i.S.d. § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II vor, wenn die Mutter einer SGB II-Leistungsempfängerin ihrer Tochter, ohne hierzu rechtlich oder sittlich verpflichtet zu sein, einen Betrag von 7.000 € in bar für die Dachreparatur des im Eigentum der Tochter stehenden Hauses zuwendet.

3. Der von der Mutter der Klägerin zur Verfügung gestellte Geldbetrag war Einkommen und nicht Vermögen im Sinne des SGB II, weil er im Leistungszeitraum/nach Antragstellung zugeflossen ist. Er führte jedoch nicht zum Wegfall des Anspruchs nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X.

4. Die Berücksichtigung des von der Mutter – ohne rechtliche oder sittliche Verpflichtung – zur Begleichung der Dachdeckerrechnung zugewendeten Geldbetrages als Einkommen wäre für die Klägerin grob unbillig im Sinne des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II.

5. Da die Geldschenkung nicht zu einer Verbesserung der finanziellen Situation des Leistungsberechtigten geführt hat und das Jobcenter die Reparaturkosten ohnehin hätte übernehmen müssen, handelt es sich somit nicht um zu berücksichtigendes Einkommen.

Wann liegt eine grobe Unbilligkeit im Sinne des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II nicht vor – wäre also anrechenbares Einkommen?

Beispiel:

Schenkung von 5.000,00 € in bar zur Anschaffung eines Kfz während des SGB II-Leistungsbezugs

Eine grobe Unbilligkeit im Sinne des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II liegt nicht vor, wenn die Mutter eines SGB II-Leistungsempfängers ihrem 61-jährigen Sohn, ohne hierzu rechtlich oder sittlich verpflichtet zu sein, einen Betrag in Höhe von 5.000 € in bar für die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs schenkt ( LSG Mecklenburg – Vorpommern L 8 AS 9/13 B ER ).