Bürgergeld-Verschärfungen sollen schon vor Inkrafttreten der neuen Gesetze kommen

Lesedauer 6 Minuten

Das „Gesetz zur Neuen Grundsicherung“ wird als Kurskorrektur verkauft: weg von einem stärker vertrauensbasierten Bürgergeld, hin zu mehr Verbindlichkeit, mehr Druck und zugleich mehr Steuerungsfähigkeit für Jobcenter. Auffällig ist dabei nicht nur der Inhalt, sondern auch die Taktung.

Der überwiegende Teil der Neuregelungen soll zum 01.07.2026 starten. Gleichzeitig aber sieht der Entwurf vor, dass ausgerechnet besonders scharfe Sanktionsregeln bereits am Tag nach der Verkündung gelten können. Damit würde ein Teil des neuen Sanktionsregimes nicht bis zum Sommer 2026 warten, sondern – abhängig vom Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens – schon deutlich früher Realität für Leistungsbeziehende werden.

Inkrafttreten in Etappen: 1. Juli 2026 – und dennoch „sofort“

Der Entwurf arbeitet mit einem gestuften Inkrafttreten. Grundsätzlich ist der 1. Juli 2026 als Startdatum gesetzt.

Daneben enthält die Inkrafttretensregelung aber eine zweite Spur: Einzelne Änderungen, die inhaltlich unmittelbar mit dem Entzug des Regelbedarfs bei Arbeitsverweigerung verbunden sind, sollen am Tag nach der Verkündung in Kraft treten.

Verkündung bedeutet in der Praxis: Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt; erst dann wird ein Gesetz wirksam. Genau an diese Schwelle knüpft der Entwurf bei den verschärften Sanktionsmechanismen an.

Das ist das ein deutlicher Hinweis darauf, welchen Stellenwert die Bundesregierung der Sanktionsverschärfung beimisst. Während organisatorische Umstellungen und weitere Reformbestandteile auf den Sommer 2026 terminiert werden, sollen die härteren Rechtsfolgen – sobald das Gesetz formell „durch“ ist – ohne zusätzliche Wartefrist gelten.

Neuer Name, neue Tonlage: vom Bürgergeld zum „Grundsicherungsgeld“

Schon sprachlich setzt der Entwurf ein Signal: Das Bürgergeld wird an vielen Stellen wieder umbenannt, künftig ist vom „Grundsicherungsgeld“ die Rede.

Das ist mehr als Kosmetik. Der Duktus des Entwurfs betont wieder stärker die Erwartung, Hilfebedürftigkeit möglichst vollständig zu beenden – und zwar durch Erwerbsarbeit, wenn irgend möglich. Im Gesetzestext wird ausdrücklich herausgestellt, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Arbeitskraft so einsetzen müssen, dass Hilfebedürftigkeit überwunden werden kann; für Alleinstehende wird Vollzeit als Regelannahme hervorgehoben, sofern individuell zumutbar.

Vermittlungsvorrang wird wieder deutlicher formuliert

Der Entwurf führt einen ausdrücklich normierten Vorrang der Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit ein. Das bedeutet: Nicht die Leistungsgewährung, sondern die rasche Integration in Beschäftigung soll den Takt vorgeben.

Gleichzeitig bleibt eine Hintertür offen: Wenn Qualifizierung oder andere Eingliederungsleistungen erkennbar bessere Chancen auf eine dauerhafte Integration bieten, soll das weiterhin möglich sein.

Für Menschen unter 30 Jahren wird diese Ausnahme besonders betont – hier soll Qualifizierung weiterhin ein typischer Weg bleiben, wenn sie plausibel mehr bringt als eine schnelle, aber fragile Arbeitsaufnahme.

Kooperationsplan und Verbindlichkeit: mehr „Pflicht“ per Verwaltungsakt

Im Zentrum der praktischen Umsetzung steht weiterhin der Kooperationsplan – allerdings mit deutlich höherem Verbindlichkeitsanspruch. Das erste Gespräch zur Potenzialanalyse und zur Erstellung des Kooperationsplans soll grundsätzlich persönlich im Jobcenter stattfinden; Abweichungen sind nur ausnahmsweise vorgesehen.

Vor allem wird ein Instrument ausgebaut, das bislang politisch umstritten war: Verpflichtungen sollen schneller per schriftlichem Verwaltungsakt festgesetzt werden können. Künftig kann bereits das unentschuldigte Fernbleiben von einer Einladung den Einstieg in diese verbindliche Schiene eröffnen.

Betroffene können dann zu konkreten Eigenbemühungen, zur Aufnahme oder Fortführung einer zumutbaren Arbeit oder Ausbildung sowie zur Teilnahme an Maßnahmen oder Sprachkursen verpflichtet werden. Der Kooperationsplan bleibt dabei Bezugspunkt, wird aber weniger als „frei ausgehandeltes“ Arbeitsbündnis verstanden, sondern stärker als Dokumentations- und Steuerungsinstrument, an das Verpflichtungen angelehnt werden.

Zumutbarkeit wird strenger: früherer Arbeitsmarkteinstieg für Erziehende

Eine weitere Verschiebung betrifft die Zumutbarkeitsregeln. Der Entwurf senkt den Zeitpunkt, ab dem Erziehenden die Aufnahme einer Arbeit oder Maßnahme „in der Regel“ zugemutet werden kann. Maßgeblich soll nicht mehr ein späterer, sondern bereits ein früherer Entwicklungszeitpunkt des Kindes sein – vorausgesetzt, Betreuung ist sichergestellt. Auch hier zeigt sich die Stoßrichtung: schnellerer Eintritt in Erwerbstätigkeit, weniger Raum für längere Übergangsphasen.

Sanktionen werden vereinheitlicht und spürbar verschärft

Bei Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen wird die Sanktionsarchitektur deutlich verschoben. Statt eines abgestuften Systems werden höhere Minderungen stärker vereinheitlicht. Für Pflichtverletzungen wird eine einheitliche Minderung von 30 Prozent über drei Monate angelegt. Bei Meldeversäumnissen wird die Minderung ebenfalls angehoben und bei wiederholten Fällen auf eine deutlich spürbare Größenordnung gebracht.

Parallel dazu wird der Schutzmechanismus für Menschen mit psychischen Erkrankungen ausdrücklich als Thema adressiert: Anhörungen sollen persönlicher erfolgen und psychische Erkrankungen im Verfahren besonders berücksichtigt werden.

Das ist einerseits eine Reaktion auf Kritik, dass schriftliche Verfahren und harte Kürzungen Menschen in Krisenlagen treffen können. Andererseits verhindert diese Schutzklausel nicht, dass das Gesamtniveau der Sanktionen deutlich steigt.

Sozialverbände kritisieren zurecht, dass es dennoch vor allem diejenigen treffen wird, die aufgrund seelischer Leiden beispielsweise Termine im Jobcenter nicht einhalten können.

„Arbeitsverweigerung“: Entzug des Regelbedarfs – und zwar schneller

Besonders heikel ist der Bereich, der nach dem Entwurf am Tag nach der Verkündung greifen soll. Hier geht es um die Rechtsfolgen, wenn eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme verweigert wird.

Ist Ihr Bürgergeld-Bescheid korrekt?

Lassen Sie Ihren Bescheid kostenlos von Experten prüfen.

Bescheid prüfen

Der Entwurf gestaltet diese Regelung „praxistauglicher“, wie es in der Begründung heißt: Eine Vorstufe durch frühere Pflichtverletzungen soll nicht mehr Voraussetzung sein, und es wird eine Mindestdauer des Entzugs festgeschrieben. Der Regelbedarf kann damit für mindestens einen Monat und bis zu zwei Monate entfallen.

Um Folgeschäden zu begrenzen, sieht der Entwurf flankierende Mechanismen vor: Unterkunftskosten sollen in solchen Konstellationen regelmäßig direkt an Vermietende gezahlt werden, um Mietrückstände zu vermeiden. Außerdem enthält der Entwurf eine Konstruktion, die den Kranken- und Pflegeversicherungsschutz in Sonderfällen absichert, selbst wenn sonst keine laufenden Zahlungen mehr anfallen würden.

Es ist bemerkenswert, dass diese Verschärfung nicht erst mit dem Start der „Neuen Grundsicherung“ im Juli 2026 kommen soll, sondern unmittelbar nach der formellen Verkündung des Gesetzes. Das wirkt wie ein gesetzgeberischer „Schnellschalter“ – und dürfte genau deshalb rechtlich und sozialpolitisch besonders umkämpft sein.

Drei verpasste Termine und der Status „nicht erreichbar“

Noch einschneidender als die prozentuale Minderung ist eine neue Konstruktion, die nicht mehr nur kürzt, sondern den Anspruch dem Grunde nach entfallen lässt. Wer trotz Belehrung drei aufeinanderfolgenden Meldeaufforderungen ohne wichtigen Grund nicht nachkommt, gilt als „nicht erreichbar“. Der Leistungsanspruch entfällt dann mit Beginn des Folgemonats nach Feststellung des dritten versäumten Termins.

Der Entwurf baut allerdings eine Art „Auffangmonat“ ein: Im ersten Monat der Nichterreichbarkeit sollen weiterhin Leistungen fließen, allerdings ohne Regelbedarf; Unterkunft und Heizung können dabei weiterhin abgesichert werden und sollen in bestimmten Konstellationen direkt an Vermietende gehen. Meldet sich die Person innerhalb dieses Monats persönlich im Jobcenter, soll sie als durchgehend erreichbar gelten. Bleibt auch diese persönliche Meldung aus, entfällt der Anspruch bis zur nächsten persönlichen Vorsprache vollständig.

Bemerkenswert ist zudem die Familienlogik: In Mehrpersonen-Bedarfsgemeinschaften soll der Anspruchsentfall grundsätzlich nur die „nicht erreichbare“ Person treffen, während die übrigen Mitglieder – insbesondere Kinder – weiter Leistungen erhalten. Gleichzeitig ist ausdrücklich angelegt, dass Jobcenter bei Haushalten mit minderjährigen Kindern eng mit der Kinder- und Jugendhilfe zusammenarbeiten und Kinderschutzfragen in den Blick nehmen.

Vermögen: Abschied von der Karenzzeit und neue Altersfreibeträge

Auch auf der materiellen Seite schiebt der Entwurf die Anspruchsvoraussetzungen in Richtung strengerer Bedürftigkeitsprüfung. Die Karenzzeitregeln beim Schonvermögen sollen gestrichen werden.

An ihre Stelle tritt ein nach Lebensalter gestaffelter Freibetrag pro Person in der Bedarfsgemeinschaft, der in mehreren Stufen ansteigt. Gleichzeitig wird in einer Sonderregel klargestellt, dass selbstgenutztes Wohneigentum während der Karenzzeit bei den Unterkunftsregeln nicht als Vermögen berücksichtigt wird.

In der Praxis dürfte das zu einer deutlich häufigeren Vermögensprüfung gleich zu Beginn des Leistungsbezugs führen – und damit zu mehr Abgrenzung, wer überhaupt Zugang zur Leistung erhält.

Unterkunftskosten: Deckelung ab dem ersten Tag und Blick auf die Mietpreisbremse

Bei den Unterkunftskosten wird eine neue Obergrenze eingeführt: Tatsächliche Aufwendungen sollen nicht als Bedarf anerkannt werden, soweit sie mehr als das Anderthalbfache dessen überschreiten, was örtlich als abstrakt angemessen gilt. Diese Deckelung soll ausdrücklich unabhängig von einer Karenzzeit ab dem ersten Tag wirken; nur für unabweisbare Härtefälle sind Ausnahmen angelegt.

Zusätzlich verknüpft der Entwurf die Angemessenheitsprüfung mit mietrechtlichen Vorgaben: Liegt die vereinbarte Miete über dem nach Mietpreisbremse zulässigen Niveau, soll sie in diesem Kontext als unangemessen gelten; Leistungsberechtigte sollen dann zur Rüge eines vermuteten Verstoßes angehalten werden. Das verschiebt das System spürbar: Unterkunftskosten werden nicht nur sozialrechtlich gedeckelt, sondern in Teilen über mietrechtliche Argumentation „zurückgedrückt“.

Missbrauchsbekämpfung: engeres Netz zwischen Jobcentern und Zoll

Der Entwurf flankiert die Sanktionsverschärfung mit Maßnahmen gegen missbräuchliche Leistungsinanspruchnahme. Jobcenter sollen Hinweise auf vorsätzliche Schwarzarbeit oder Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns an zuständige Behörden der Zollverwaltung melden.

Außerdem werden neue Regeln zur Arbeitgeberhaftung angelegt. Das zielt erkennbar darauf, Konstellationen zu adressieren, in denen Erwerbstätigkeit zwar stattfindet, aber nicht korrekt gemeldet wird oder unter Mindestlohnniveau läuft – und parallel ergänzende Leistungen beansprucht werden.

Warum dieses Tempo brisant ist

Die ungewöhnliche Geschwindigkeit entsteht nicht nur aus politischem Willen, sondern auch aus der Logik der Übergänge: Ein Systemwechsel mit einem Fixdatum im Sommer 2026 wirkt planbar. Wenn aber einzelne Sanktionsnormen „sofort nach Verkündung“ greifen, kann der Alltag in den Jobcentern bereits Monate vorher kippen – abhängig davon, wann Bundestag und Bundesrat das Vorhaben verabschieden und wann die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt erfolgt.

Für Betroffene bedeutet das vor allem Unsicherheit: Die Rechtslage könnte sich nicht erst mit dem großen Stichtag 01.07.2026 ändern, sondern bereits vorher – und zwar ausgerechnet in dem Bereich, der existenziell am sensibelsten ist. Für Jobcenter bedeutet es zusätzlichen Umstellungsdruck, weil sie ein neues Sanktionsinstrumentarium unter Umständen mitten im laufenden Bewilligungsjahr scharf schalten müssten.

Rechtspolitisch dürfte die Debatte vor allem an zwei Punkten hängen: an der faktischen Härte der Anspruchsentfälle bei Arbeitsverweigerung und Nichterreichbarkeit sowie an der Frage, wie belastbar die vorgesehenen Schutzmechanismen im Einzelfall funktionieren.

Sozialgerichte und Beratungsstellen werden sich voraussichtlich früh mit Abgrenzungen beschäftigen müssen, etwa bei der Frage, wann ein „wichtiger Grund“ vorliegt, wie streng persönliche Meldungen zu verstehen sind und wie Härtefallgesichtspunkte – insbesondere mit Blick auf Kinder – tatsächlich berücksichtigt werden.

Quellen

Konsolidierte Fassung RefE: „Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch …“, Version 19.12.2025 (PDF; Inkrafttreten, Vorziehen einzelner Sanktionsregelungen, Bezug zur Aufhebung bestehender Regeln).

Gesetzentwurf der Bundesregierung: „Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze“ (BMAS-PDF; Regelungen zu Nichterreichbarkeit, Kooperationsplan/Verwaltungsakt, Vermittlungsvorrang, Schonvermögen, Unterkunftskosten-Deckelung, Arbeitsverweigerung, Inkrafttretenslogik in der Begründung).